Geschichte der deutschen Minderheit
Beeindruckendes Werk, doch weitere Forschung nötig
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Peter Hopps schwergewichtiges Buch mit kritischem Blick auf das Wirken des ab 1920 bis Mitte der 1930er Jahre dominierenden Spitzenmanns der deutschen Nordschleswiger lenkt den Blick auch auf selbstgerechtes Treiben in den Reihen der deutschen Minderheit nach 1945.
Bei der Vorstellung des 612 Seiten starken Buches „Johannes Schmidt-Wodder (1869-1959). Eine politisch-historische Biographie mit besonderer Berücksichtigung seiner Beziehungen zum europäischen Norden“ war im Landesarchiv Schleswig zu Recht von einem „Meilenstein der regionalen Geschichtsforschung“ die Rede. Das bestimmt nicht vom Textumfangs her schwergewichtige Buch liefert anhand der ausführlichen Beschreibung des Bildungsweges, vor allem der Studienzeit des seit 1896 im Dorf Wodder im stark dänisch geprägten Nordwesten Nordschleswigs als Pastor tätigen Theologen, Einblicke in die Geisteshaltung eines Großteils der deutschen Akademiker im aufstrebenden deutschen Kaiserreich in den Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende.
Verehrung des Heldenkaisers
Der junge Theologe, der sich während seiner Studienjahre in Leipzig, Greifswald und Kiel im Verein Deutscher Studenten (VDSt) engagiert hatte, verehrte den „Heldenkaiser“ Wilhelm II. und berauschte sich wie viele studierte Leute am deutschen Nationalstolz, der sich in folgenden Jahrzehnten zum verhängnisvollen Größenwahn aufblähen sollte. Während sich die seit 1864 dort herrschende preußische Obrigkeit in seiner nordschleswigschen Heimat feindlich und unterdrückend gegen die dänisch orientierten Landsleute aufspielte, entwickelte Schmidt-Wodder großes Interesse an der nordisch-germanischen Welt. Reisen und Lektüre machten ihn mit der Geisteswelt vor allem Dänemarks bekannt.
Schmidt-Wodder schätzte Grundtvig
Zeitlebens bewegte ihn der „dänische, nationale Volkserwecker“ Grundtvig. Peter Hopp liefert interessante Einblicke in die Gedankenwelt Schmidt-Wodders, vor allem durch die Auswertung unzähliger Briefe Schmidt-Wodders, besonders auch an seine Frau Johanna. Peter Hopp arbeitet heraus, dass Schmidt-Wodder trotz der Gründung seines „Friedensvereins“, der sich für eine Abkehr von Zwangsmaßnahmen gegen die dänischen Schleswiger einsetzte, nicht von seinen deutschnationalen Vorstellungen abrückte, die keine Grenzverschiebungen zugunsten Dänemarks vorsahen, sondern eine Gewinnung der „stammverwandten“ Dänen für ein überlegenes deutsches Großreich. Es zeichnen sich auch Gedanken ab, dass Schmidt-Wodder sich für eine „geschicktere“ deutsche Politik gegenüber den Dänen in Nordschleswig einsetzte, um die Königsaugrenze zu sichern. Mit der deutschen Niederlage 1918 und dem Ausgang der Volksabstimmungen 1920 sollte sich zeigen, dass der Pastor in einem standhaft dänischen Dorf mehr Durchblick gehabt hatte als die preußischen Machthaber.
Nach dem Ende des Kaiserreichs 1918 war von einem vernünftigen Umgang mit den dänischen Nordschleswigern bei Schmidt-Wodder zunächst nicht viel zu spüren. Hopp berichtet, dass Schmidt-Wodder tief enttäuscht über die Versailler Friedensbedingungen für Deutschland war, denen keinerlei Verhandlungen unter Einbeziehung der Regierung der neuen deutschen Republik vorausgegangen waren. Ihn tröstete es offenbar nicht, dass sich in Dänemark die moderate Linie des dänisch-nordschleswigschen Spitzenpolitikers H. P. Hanssen bei der Ausgestaltung der Abstimmungszonen in Schleswig durchsetzte, mit der schon vor einer Entscheidung der Bevölkerung angesichts der bekannten Stimmung innerhalb der Zone 1 feststand, dass die neue deutsch-dänische Grenze südlich von Tondern und nördlich von Flensburg verlaufen werde.
Debatte mit H. P. Hanssen
Hopp berichtet über den Höhepunkt der deutsch-dänischen Auseinandersetzung in der 1. Zone, einer Diskussion zwischen Schmidt-Wodder und H. P. Hanssen in Rapstedt (Ravsted) am 8. Februar 1920 zwei Tage vor der Volksabstimmung. Schmidt-Wodder, der die „En-bloc-Abstimmung in der 1. Abstimmungszone, in der 2. Zone wurde gemeindeweise abstimmt, als „Vergewaltigung deutscher Teile“ des Gebiets geißelte, hielt anschließend jahrzehntelang an der Forderung fest, es müsse eine Revision der Grenzziehung geben. Dabei wurde stets ins Feld geführt, dass Schmidt-Wodders Wirkungsstätte seit 1919, die Stadt Tondern, mit rund 75 Prozent deutschen Stimmen am 10. Februar 1920 wegen der „Ungerechten“ En-bloc-ABstimmung dänisch wurde. Nach Schmidt-Wodders Wahl in das Folketing im Herbst 1920, er war nun der Spitzenakteur der deutschen Nordschleswiger, verkündete dieser bei seiner Rede im Folketing, dass er eine Grenzrevision anstrebe.
In seinem eigenen Presseorgan, der „Neuen Tondernschen Zeitung“ (NTZ), wetterte er besonders gegen H. P. Hanssen, vermutlich weil dieser der Versuchung widerstanden hatte, größere Teile Schleswigs mit Dänemark zu vereinen, was ja eine größere deutsche Volksgruppe in Dänemark nach sich gezogen hätte. Peter Hopp liefert in den folgenden Kapiteln sehr umfangreiches Material zu Schmidt-Wodders „Konzeptionen einer nordischen Politik“, „idealistischen, aber realitätsfernen“ Positionen, wie Hopp diese bewertet. Dieser Bereich im Wirken Schmidt-Wodders stand im Mittelpunkt der Dissertation.
Politisches Tagesgeschäft wenig beleuchtet
So findet man weniger Material im Buch Hopps über das politische Tagesgeschäft des Folketingsabgeordneten, der trotz eigener finanzieller Probleme eine große Reiseaktivität und Engagement in europäischen Minderheitenorganisationen neben einer ungeheuren Produktion von Schriften an den Tag legte. Peter Hopp hat über 40 Jahre lang Schriften Schmidt-Wodders ausgewertet und in seinem inhaltsreichen Werk verarbeitet. Dennoch gibt es sicher noch einiges in der Geschichte der Minderheit nach 1920 zu entdecken, die neben der relativ liberalen Behandlung im dänischen Staat auch ein Schwinden ihres Einflusses im Landesteil beobachten angesichts dänischer Investitionen und Aufbauarbeit feststellen musste, während aus dem Deutschland der Weimarer Republik mit jahrelangen bürgerkriegsähnlichen Zuständen, Inflation und Wirtschaftskrisen wenig Unterstützung für die deutschen Nordschleswiger in Sicht war.
Die „Hilfe“ für die Minderheit war vor allem ein Thema für die rechten Kreise in Schleswig-Holstein und Deutschland, mit denen sich Schmidt-Wodder als Gesinnungsgenosse verbündete. Bemerkenswert ist, dass Schmidt-Wodder angesichts der Dominanz der Nationalsozialisten schon vor 1933 in Schleswig-Holstein und nach deren Machtübernahme noch eigene Positionen erlaubte, allerdings auch opportunistisch eingefärbt. Abgesehen von der Unmöglichkeit, sich eine deutsche Volksgruppe in Nordschleswig, aus der sich sozialdemokratische Teile schon längst verabschiedet hatten, als antifaschistischen Hort demokratischer Werte vorzustellen.
Draht zu dänischen Politikern
Bei der Lektüre des Buches von Hopp findet man Hinweise, dass Schmidt-Wodder trotz seiner Rolle als parlamentarischer Einzelkämpfer, auch noch nach seiner „Entmachtung“ durch die nordschleswigschen Nazis, auf die er wohl teilweise verächtlich als Radaumacher herabsah, viele Kontakte zu nordschleswigschen Politikern wie J. P Nielsen (Sozialdemokraten) und Adolf Svensson (Konservative) pflegte. Bei diesen aber ebenso wie bei Prof. Aage Friis, einem der Baumeister der dänischen „Wiedervereinigungspolitik“ Vertrauen verspielte, je mehr er sich für die Nationalsozialisten einspannen ließ.
Das Engagement Schmidt-Wodders für Gefangene der deutschen Besatzungsmacht zwischen 1940 und 1945 war, wie Hopp vermutet, wohl ein Aspekt, der den 1946 kurzfristig festgenommenen Schmidt-Wodder vor juristischen Konsequenzen bewahrte, obwohl gegen ihn wegen des Verdachts des Hochverrats ermittelt wurde. Aus heutiger Sicht der deutschen Minderheit sind die von Hopp zusammengetragenen Informationen über Schmidt-Wodders bestürzende „Durchhalte-Artikel“ von 1944/1945 ebenso wie dessen Verteidigung und Verharmlosung des Nationalsozialismus in den Jahren nach 1945 Grund, diesem eine Rolle als ruhmvollen Spitzenmann zuzugestehen.
Die Zusammenarbeit Schmidt-Wodders bei der Propagierung des Rostock-Mythos, der Kollaborateuren und NS-Tätern in Dänemark eine weiße Weste verleihen sollte, mit dem zwielichtigen NS-Mann Dr. Lorenz Christensen, wirft auch ein Licht auf einen leichtfertigen Umgang der eigentlich 1945 geläuterten und demokratisierten deutschen Minderheit mit der eigenen dunklen Vergangenheit. Wer tiefer in die Geschichte der Minderheit eindringen will, sollte sich Zeit für die Lektüre des Buches nehmen.
Peter Hopp: Pastor Johannes Schmidt-Wodder (1869-1959): Wachholtz. Kiel 2021. 612 Seiten. Preis: 49,90 Euro.
https://www.nordschleswiger.dk/de/nordschleswig-daenemark-politik-kultu…;
https://www.nordschleswiger.dk/de/leitartikel/aus-traurigen-tatsachen-u…