Reportage Teil 1

Tommy - ein Nordschleswiger kämpft gegen den IS

Tommy - ein Nordschleswiger kämpft gegen den IS

Tommy - ein Nordschleswiger kämpft gegen den IS

Sara Wasmund, Tim Wegner
Nordschleswig
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Tommy Mørck
Tommy Mørck unterwegs in Rojava. Foto: Privat

Der aus der deutschen Minderheit stammende Tommy Mørck reiste nach Syrien, um gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zu kämpfen. Zurück in Apenrade sprachen Sara Wasmund und Tim Wegner vom Nordschleswiger mit ihm über seine Erlebnisse in Syrien. Ein Interview über Kriege, Chaos und Träume. Der erste von zwei Teilen über die Geschichte von Tommy Mørck.

Nur 4.113 Kilometer trennen Nordschleswig vom Norden Syriens. Doch zwischen dem Leben in Krusau und Kobane liegen Welten. Hier das hüggelige dänische Auenland mit der deutschen Minderheit, dort das von Bürgerkrieg und Terror verwüstete Land, in dem die Kurden für Autonomie kämpfen. Hier der BDN (Bund Deutscher Nordschleswiger) als Brückenbauer zwischen Mehr- und Minderheit, dort die kurdische Volksverteidigungseinheit YPG, die das autonome Gebiet Rojava gegen die Terrororganisation Islamischer Staat verteidigt. 

Was bringt einen Nordschleswiger dazu, in den Nahen Osten zu fliegen, um der YPG im Kampf gegen den IS beizustehen? Tommy Mørck hat genau das getan. Nicht als Nato-Soldat des dänischen Heers in einem F-16-Kampfjet. Sondern privat und auf eigene Faust. Mørck ist in Nordschleswig zwischen Krusau und Apenrade aufgewachsen, hat die deutschen Schulen in Pattburg und Tingleff besucht und sein Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig gemacht. Im vergangenen Jahr beschließt er, nach Syrien zu fliegen, um die Revolution der Kurden vor Ort zu unterstützen. Kurz darauf findet er sich im Kampf gegen den IS an der Front bei Rakka wieder. Und erhält einen neuen Namen. Bakûr Berxwedan: Widerstand des Nordens. 

Wonach sucht man in einem fremden Land, im Kampf gegen einen fremden Feind? Wie ist der Alltag in einer Miliz im Krieg gegen den IS und: Was ist man, wenn man aus eigenem Antrieb in Syrien zwischen den Fronten kämpft: Freiheitskämpfer, Abenteurer oder ein Kriegsverbrecher zwischen den Fronten? Im Interview mit den Journalisten Sara Wasmund und Tim Wegner stellt sich Tommy Mørck diesen und weiteren Fragen.

Journalistin Sara Wasmund im Gespräch mit Tommy Mørck in Apenrade. Foto: DN

Es ist Donnerstagnachmittag, die Fenster des Turmzimmers im Medienhaus geben den Blick frei auf dunkle Wolken, die über Apenrade hinwegziehen. Vor genau einem Jahr reiste Tommy Mørck in den Irak und nach Syrien, heute erzählt er bei glutenfreiem Mamorkuchen und Kaffee von seiner Reise. Sommer, Regen, Kuchen, ein typisch dänischer Nachmittag. Kommt es dir in solchen Momenten selbst surreal vor, dass du noch vor ein paar Monaten in Syrien gegen den IS gekämpft hast?

„Es war für mich ein größerer Kulturschock, von dort wieder nach Hause zu kommen. Aber dann bin ich wieder in den alten Rhythmus reingekommen. Rein in unsere gemütliche dänische Kultur”, sagt Tommy Mørck und der leichte Spott in seiner Stimme ist kaum zu hören. Manchmal, wenn er von Freunden oder Familie nach seiner Zeit in Syrien gefragt wird, wird ihm klar, was er erlebt hat. ”Dann halte ich manchmal inne und denke: Ok, es war schon wirklich anders und auch extrem, das was ich gemacht habe. So habe ich es dort gar nicht empfunden. Aber die Kultur, in die ich zurückgekommen bin, spiegelt es mir wider.“

Die Frage, die ihm am häufigsten gestellt wird: Wie kommt man dazu, in den Nahen Osten zu reisen und gegen den IS zu kämpfen? Tommy Mørck  muss ausholen, um eine Antwort zu formulieren, warum er sich der kurdischen Miliz angeschlossen hat. ”Ich war immer sehr interessiert an Politik, sowohl lokal als auch global. Ich habe immer eine Solidarität zu den Menschen in der Welt empfunden, die unterdrückt werden. Nach dem Irak-Krieg zu Beginn der 2000er sah ich, zu was die Kurden in der Lage sind. Der Irak, das System war zusammengebrochen und die Kurden hatten sich im Norden eingerichtet. Ich war sehr überrascht, dass sie das konnten. Ein Volk, über Jahrzehnte, Jahrhunderte unterdrückt. In einem Land, das vom Krieg zerstört ist.” 

 

Tommy Mørck ist fasziniert von dem, was in dem Autonomiegebiet namens Rojava vor sich geht. Dort haben sich die drei Kantone Efrin, Kobane und Cizire im Januar 2014 herausgebildet und sich eine neue "politische Verfassung" gegeben, die den "demokratischen Konföderalismus" anstrebt.

Als sich die Lage mit dem Bürgerkrieg in Syrien zuspitzt und er vom Vordringend des IS hört, beginnt er, sich umfassend über die Revolution in Rojava zu informieren. ”Ich fand heraus, welche Ideologie hinter dieser Gesellschaft steht. Stellte fest, dass ich mich mit ihr identifizieren konnte.” 

Den Ausschlag, die Revolution und die Kurden vor Ort aktiv zu unterstützen, gibt dann aber nicht sein Interesse. Sondern ein Gefühl der Verantwortung. ”Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Zum einen als Däne. Denn die Dänen waren ja zusammen mit den Amerikanern und den Engländern diejenigen, die den Krieg im Irak begonnen hatten”, sagt Mørck. Er nennt den Krieg illegal. ”Ein Krieg ohne Mandat der UN, der den gesamten Irak destabilisiert hat und die Grundlage zum Entstehen des IS gelegt hat. Der IS hat die Situation in Syrien zusätzlich zum Bürgerkrieg noch schlimmer gemacht. Und dann hatte ich auch ein schlechtes Gewissen als Mensch. Ich war hier zuhause im gemütlichen Dänemark. Ich wohnte damals in Aarhus und dachte: Wie kann ich hier sitzen und nicht alles tun, um zu helfen.” 

Alles tun – für Mørck geschieht das bis dahin auf der politischen Ebene. Als Leiter des Büros der Partei Alternative im Großkreis Ostjütland in Aarhus ist er als  Politiker und Aktivist tätig, überreicht Spenden, sammelt Unterschriften. ”All solche Sachen. Aber ich hatte immer den Eindruck, dass ich noch mehr machen kann. Wenn ich etwas getan hatte, stellte sich keine Zufriedenheit ein. Bis zu dem Punkt an dem mir klar wurde: Der nächste Schritt müsste es sein, dorthin zu reisen.”

Er tut den nächsten Schritt. 

Doch wie reist man in ein Kriegsgebiet um sich der Revolution in Syrien anzuschließen? ”Ich konnte ja nicht einfach in ein Reisebüro gehen und einen Flug buchen”, sagt Tommy Morck, ”wobei Reisen nach Syrien, nach Damaskus, ja stattfinden. Aber ich wollte in den Norden des Landes.” Er bucht ein Ticket nach Istanbul, dort steigt er um in einen Flieger nach Erbil,  eine Stadt im kurdischen Bereich des Nordiraks. 

”Als ich im Irak gelandet bin, hatte ich keinerlei Kontakte. Also habe ich mich über einen Monat im Irak aufgehalten. Und dann kam ich in Kontakt mit der YPG”, erzählt Mørck. 

Karte der Krisenregionen Foto: DN

Die YPG:

Die Volksverteidigungseinheiten (kurdisch Yekîneyên Parastina Gel) sind eine bewaffnete kurdische Miliz in Syrien. Die YPG kontrolliert verschiedene mehrheitlich kurdisch besiedelte Gebiete in Nordsyrien. Die Volksverteidigungseinheiten sind in Syrien Teil der Demokratischen Kräfte Syriens. Die USA betrachten die Kurdenmiliz YPG als effektive Armee im Kampf gegen den IS. Die Türkei hingegen betrachtet die YPG als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei selbst für mehr Autonomie für die Kurden kämpft. Die PKK wird auch von der EU und den USA als Terrorgruppe eingestuft. Die Türkei will verhindern, dass kurdische Einheiten im Norden Syriens Territorialgewinne erzielen. Im April hatten türkische Kampfflugzeuge kurdische Stützpunkte in Syrien bombardiert, was die Spannungen zwischen Washington und Ankara verschärft hatte. 

Fachartikel über die YPG und die Kurdenfrage

Wieso gerade die YPG, hast du die gezielt gesucht oder wie kam das zustande?

”Ich war ja dorthin gereist, um die Revolution zu unterstützen. Ich bin nicht dorthin gereist, um gegen den IS zu kämpfen. Ich hatte keine konkrete Vorstellung davon, was ich zu tun hätte. Die Grenze zwischen Irak und Syrien war geschlossen, also konnte ich nicht über die Grenze gelangen. Ich kam nicht rein.” Zu dem Zeitpunkt steht Mørck in Kontakt mit dem zivilen Projekt Rojava Plan. Die Organisation hilft ihm, Kontakte herzustellen. 

”Sie sagten mir: Versuch, die Miliz zu kontaktieren. Und das habe ich dann getan. Ich habe eine E-Mail geschrieben und Kontakt aufgenommen. Man muss einen Antrag stellen, um reinzukommen und eine Bewerbung schreiben, welche Motivation man mitbringt.” Die YPG akzeptiert Mørcks Antrag. Er wird aufgenommen. Er trifft vor Ort im Irak einen Kontaktmann, der seinen Transport organisiert. ”Die YPG sieht es gerne, wenn man ein halbes Jahr in der Miliz bleibt, damit die einem helfen, über die Grenze zu kommen. Es ist für die ja auch ein Aufwand. Ein Risiko für die Leute, die beteiligt sind.”

Mørck kriegt mit: Er ist nicht der einzige Europäer, der sich der Miliz anschließen will. ”Ich habe einen Franzosen kennengelernt, der war zwei Wochen dort, und dann wollte er nicht länger bleiben. Also haben sie ihn zurück in den Irak gebracht, zurück über die Grenze, und haben seinen Flug nach Hause bezahlt. Es gibt keine Pflicht zu bleiben. Man wird nicht erschossen, wenn man vorher nach Hause will. Es ist eher eine Aufforderung, dass man so lange wie möglich bleibt. Ein halbes Jahr minimum.”

Tommy Mørcks Schlafplatz im Basislager in Ain Issa. Er zog freiwillig „ins Depot, da die Kurden es im Schlafraum wirklich warm mögen und gleichzeitig nicht gut darin sind, Rücksicht zu nehmen, was Licht angeht.Gleichzeitig rauchen und reden sie, und schlafen selbst wie ein Stein“, erzählt Mørck. Foto: Privat

Der Alltag mit der YPG Miliz

Mørcks Reise ins Kriegsgebiet beginnt. Wenig später befindet er sich an der Front.

Sein Leben als Teil der YPG nimmt Form an. Das Leben vor Ort, erinnert sich Mørck, es war in zwei Situationen eingeteilt: An der Front sein – und nicht an der Front sein.

An der Front – für Mørck bedeutet das, Teil einer mobilen Einheit zu sein. ”Wir hatten Fahrzeuge und waren an vielen verschiedenen Frontabschnitten, um Unterstützung zu leisten. Als wir draußen an der Front waren, rückte die gerade nach Süden, in die Nähe von Rakka.  Diese Operation begann Anfang November 2016, zwei Tage, nachdem ich in meiner Einheit angekommen war. Ich war von Anfang an mit dabei. Wenn man so vorrückt, dann befreit man alleinstehende Bauernhöfe oder kleine Dörfer. Dort ist die Gegend sehr landwirtschaftlich geprägt.”

Oftmals, so Mørck, sei man in ein komplett leeres Haus gekommen. ”Man hat vielleicht ein paar Decken mit und dann wohnt man dort. Am nächsten Tag muss man weiter. Dorthin, wo andere eine Basis eingerichtet haben. Dann schläft man da und so geht es hin und her.” 

Die Miliz ist gut organisiert. Die Frontkämpfer kriegen Essen auf Rädern. ”Das Essen wird in Kobane hergestellt, ausgefahren und an der Front an alle Einheiten verteilt. Das funktioniert tatsächlich gut. Es gab nur ganz wenige Tage, an denen wir eine Mahlzeit auslassen mussten,  weil sie nicht kommen konnten, da es zu gefährlich war oder so. Man kriegt so eine kleine Styropor-Form mit Alufolie obendrauf. Es ist ordentliches Essen”, sagt Mørck und lacht. ”Ich hatte jedenfalls zugenommen, als ich heimkam.”

Für Mørck gibt es auch das Leben abseits der Front: ”Dann befanden wir uns in einer sichereren Umgebung und hatte einen normaleren Alltag”, sagt Mørck und setzt das ”normal” mit seinen Fingern in Anführungsstriche.  Eines der Basislager befindet sich in Ain Issa. ”Die Stadt war leer, keine Zivilisten mehr vor Ort. Da haben wir in einem Einfamilienhaus gelebt. Wir haben ein paar Bunker auf dem Dach gebaut und Decken ausgelegt, einen Dieselofen eingerichtet und es gab Fernsehen. So haben wir dort gelebt. Tja und dann muss man sowas machen wie putzen, Essen machen,essen. Jeder hat einen Koch-Tag, an dem man für das Essen verantwortlich ist - und für Tee. Die trinken da richtig viel Tee. Eigentlich immer.”

Die Ausmaße des Schreckens. Tommy Mørck überlebt nur knapp diesen Selbstmordanschlag. Die Angst ist für ihn Alltag geworden. Foto: Privat

Und wie habt ihr miteinander kommuniziert? Hast du Kurdisch gelernt?

Ich war zunächst auf einer internationalen Akademie, etwa vier Wochen lang. Da haben wir etwas Sprachunterricht erhalten. Aber das war es dann auch schon. Es reicht, um kurze Gespräche mit Leuten zu führen.”

Ein selbstgebauter Kampfwagen der YPG schleppt einen alten Lastwagen von Assads Regime ab, den die Einheit von Mørck nahe einer Basis fand. Auf dem Bild ist zu sehen, wie der Lkw zur Basis gebracht wird. „Danach haben wir darin Tauben gehalten – Tauben sind ein Symbol des Friedens“, erzählt Mørck Foto: Privat
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