Konferenz zur Zukunft Europas

„Es tut mir weh, dass Minderheiten in Europa nicht als gleichwertige Partner angesehen werden“

„Es tut weh, dass Minderheiten nicht als gleichwertige Partner angesehen werden“

„Minderheiten nicht als gleichwertige Partner angesehen“

Apenrade/Brüssel
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Loránt Vincze
Loránt Vincze sieht im Abschlussbericht der Europäischen Zukunftskonferenz viel Schatten – aber auch ein wenig Licht (Archivfoto). Foto: Cornelius von Tiedemann

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Nationale Minderheiten tauchen nur beim Thema Sprachen im Abschlussbericht der Konferenz zur Zukunft Europas auf. Loránt Vincze, Präsident des europäischen Minderheiten-Dachverbandes FUEN, hakt das Projekt als Versuch ab, Europa unter dem Vorwand der Offenheit zu föderalisieren. Nord- und Südschleswig bleiben für ihn wichtige Vorbilder – weltweit.

Mit der Zukunftskonferenz sollte die EU Bürgernähe und Transparenz zeigen. Die nationalen Minderheiten Europas haben darauf gesetzt, im Zuge der Veranstaltungsreihe Gehör zu finden. Doch nach dem rigorosen Nein der Kommission zur Bürgerinitiative zu Minderheitenschutz auf EU-Ebene zeigt sich FUEN-Chef Loránt Vincze auch nach der Zukunftskonferenz im großen „Nordschleswiger“-Interview enttäuscht – aber kämpferisch.

 

Loránt Vinze, 13 EU-Länder, darunter Dänemark, haben sich gegen eine Reform des EU-Vertrags positioniert. Sie wollen den Einfluss der Nationalstaaten auf die endgültigen Entscheidungen um jeden Preis erhalten. Doch wenn man der FUEN zuhört, ist es genau diese Entscheidungshoheit der Nationen, die eine nachhaltige Minderheitenpolitik blockiert. Ist das richtig verstanden – und was bedeutet das für die nationalen Minderheiten?

Das hängt davon ab, wie man die Europäische Union betrachtet. Viele sehen sie als lebenden Körper, als eigenständige Struktur. Dabei geht es bei der Europäischen Union historisch gesehen um die Zusammenarbeit der Regierungen der Mitgliedsstaaten. Die Mitgliedsstaaten machen also die EU aus.

Wenn die Europäische Union etwas entscheidet, dann sind das die Entscheidungen der Mitgliedsstaaten. Dass die EU eine von den Mitgliedsstaaten losgelöste Einheit wird, kann ich mir nicht vorstellen. Durch diese Föderalisierung, die seit Langem schon auf dem Tisch liegt, soll eine vollkommen unabhängige Einheit Europa geschaffen werden.

Ich weiß aber gar nicht, wie so etwas überhaupt existieren könnte. Und ich fürchte, dass eine solche Struktur den regionalen Interessen, den Interessen kleinerer Sprachen und den Interessen von Minderheiten entgegenstehen würde. Denn ein solches Europa wäre noch einförmiger, eine einzige Sprache würde dominieren.

Für uns geht es um das Thema, das EU-Kompetenz werden soll, nicht um die Struktur der EU.

Loránt Vincze

Ich wäre da also vorsichtig, die Macht zu zentralisieren. Und darum geht es doch hier. Wenn wir etwa die Entscheidung sehen, dass die Listen für die Europawahlen künftig transnational sein sollen, die Listen also aus Mitgliedern aus ganz Europa kommen können, dann ist das in Wirklichkeit ein zentralistischer Zugang. Denn da werden dann Abgeordnete gewählt, die mit den Mitgliedsstaaten gar nichts zu tun haben.

Meine ungarische Gemeinschaft (in Rumänien, Red.) hätte also überhaupt keine Chance, Abgeordnete oben auf so eine Liste zu setzen, denn die rumänische Partei derselben politischen Ausrichtung wäre viel stärker vertreten. Das wäre für uns also in keiner Weise förderlich.

Europäischer Föderalismus

Ein politisches Konzept, mit dem die Europäische Union zu einem föderalen europäischen Bundesstaat ausgebaut werden soll. Im Koalitionsvertrag der deutschen Ampelregierung unter Olaf Scholz wird der Aufbau eines europäischen Bundesstaates angestrebt. Dänemarks Regierung lehnt föderalistische Pläne ab.

Wenn man Statements der FUEN liest, könnte aber doch der Eindruck entstehen, dass Nationalstaaten gerade dafür kritisiert werden, dass sie eine gemeinsame europäische Politik verhindern, durch die die EU Minderheitenrechte annehmen und überwachen könnte …

Durchaus, der Bereich der Minderheitenrechte sollte ein Thema sein, bei dem die Kompetenz zwischen den Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union geteilt wird.

Aber es gibt auch viele andere Politikfelder. Nehmen wir zum Beispiel die Umwelt. Hier braucht es kein föderales System, um gemeinsame Kompetenzen zu schaffen. Das kann einfach entschieden werden.

Wir hoffen auf die Unterstützung der Europäischen Union, die Koordinierung zwischen den Mitgliedsstaaten einzurichten, die Minderheiten zu unterstützen, über Best Practices zu sprechen und Rahmenbedingungen für den Schutz von Minderheiten zu schaffen. Und dies alles kann nicht nur in einer Föderation bestehen. Es kann durchaus auch in der derzeitigen Struktur der EU bestehen.

Für uns geht es um das Thema, das EU-Kompetenz werden soll, nicht um die Struktur der EU.

Minderheitenrechte sind in Europa noch immer kein Menschenrecht, wie wir es gerne hätten.

Loránt Vincze

Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass im Abschlussbericht der Konferenz über die Zukunft Europas die nationalen Minderheiten nur eine untergeordnete Rolle spielten und die Forderungen der FUEN nur in kleinen Teilen aufgegriffen wurden?

Das kommt wieder auf die Perspektive an. Jeder kennt die Geschichte von dem halbvollen oder halbleeren Glas. Die Tatsache, dass wir es ohne unsere durchaus starke Lobby auf vielen Ebenen, nicht nur im EU-Parlament und nicht nur in der FUEN, in den Text des Abschlussberichts geschafft haben, ist ein Erfolg.

Aber es ist natürlich nicht ganz das, was wir wollten. Die Mehrsprachigkeit wird erwähnt, Minderheiten- und Regionalsprachen, die Schutz brauchen, werden erwähnt, es wird Bezug genommen auf die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Das ist wichtig.

Dass ein europäisches Zentrum für Sprachenvielfalt gefordert wird, wie wir es in der Minority SafePack Initiative gefordert haben, ist ein wichtiger Schritt. Aber nicht genug. Das ist nicht alles, was wir wollten.

Wenn man sich den Bericht ansieht, dann beinhaltet der Anhang auch die Vorschläge, die erwogen wurden, aber nicht übernommen wurden. Der Erste davon ist der, in dem es darum geht, einen EU-Mechanismus einzurichten, der sicherstellt, dass die Rechte von Minderheiten gestärkt und überwacht werden.

Es ist also der Erste unterm Strich, was natürlich unglücklich ist, aber ich bin froh, dass überhaupt etwas dabei ist. Es reicht aber nicht, es ist nicht das, was wir wollten, und es tut mir weh, dass, wenn Europa in die Zukunft blickt, Minderheitengruppen nicht als vollwertige Partner betrachtet werden und ihre Gleichberechtigung nicht sichergestellt werden soll. Minderheitenrechte sind in Europa noch immer kein Menschenrecht, wie wir es gerne hätten.

Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen

Die Charta ist die europäische Konvention, mit der Sprachen geschützt und gefördert werden sollen, die von Angehörigen traditioneller Minderheiten verwendet werden.

Mehr auf der Internetseite des Europarats.

Loránt Vincze
Loránt Vincze bei einer Veranstaltung zur Konferenz zur Zukunft Europas in Flensburg (Archivfoto). Foto: Martin Ziemer/FUEN

Wie verstehen Sie es, dass im Bericht nicht von „nationalen Minderheiten“, sondern immer nur von „Minderheiten“ die Rede ist?

Ich denke, in diesem Fall, wo es um Minderheiten- und Regionalsprachen geht, wird sich da auf nationale Minderheiten bezogen – aber eben nur beim Sprachenaspekt. Deshalb bin ich auch nicht zufrieden.

Im Text wird sich überhaupt nicht auf andere als sprachliche Rechte bezogen. Denn bei Minderheitenidentität geht es auch um Bildung, um Zugang zur Sprache in der öffentlichen Verwaltung und so weiter. Es gibt so viele Aspekte, auch regionaler Natur, die nicht berücksichtigt sind.

Es überrascht also nicht, dass nationale Minderheiten als Konzept, als Begriff, so nicht aufgeführt sind. Der Begriff sorgt immer wieder für Kontroversen, auch unter uns selbst übrigens. Nicht alle Gruppen, die in der FUEN versammelt sind, betrachten sich selbst als nationale Minderheiten. Einige sehen sich als regionale Minderheit oder Nationalität oder anders, es gibt viele Begriffe, die unsere Gruppen bezeichnen können.

MSPI

Die Minority Safepack Initiative (kurz: MSPI) umfasst ein Paket von Gesetzesvorschlägen, die den Schutz nationaler Minderheiten gewährleisten sollen. Hierzu müsste eine Reihe von EU-Rechtsakten beschlossen werden, die die Förderung und Kontrolle von Minderheitenrechten, Sprachrechten und den Schutz der Kultur der nationalen Minderheiten ermöglichen. Dadurch würde die rechtliche Sicherheit von nationalen Minderheiten EU-weit gewährleistet werden.

minority-safepack.eu

Es war kein demokratischer Prozess, wie wir ihn uns gewünscht hätten – aber es war ein Werkzeug.

Loránt Vincze

Wie werden Sie jetzt weitermachen? Was können wir von Loránt Vincze und der FUEN erwarten, um die Ziele der MSPI durchzusetzen?

Wenn ich mir den gesamten Prozess der Konferenz zur Zukunft Europas ansehe, ist es eine große Enttäuschung für mich, auch als Mitglied des Europaparlaments.

Ich bin unzufrieden mit dem Abschlussbericht, weil er im Grunde das widerspiegelt, was diejenigen, die den ganzen Prozess begonnen haben, damals vorgegeben haben. Die Vorkämpfer der föderalistischen Ideen haben diesen Prozess geschaffen, um am Ende die Ergebnisse zu bekommen, die sie haben wollten.

Es war kein demokratischer Prozess. Niemand weiß, wie die Bürgerforen geschaffen worden sind. Ich kenne niemanden, und ich komme wirklich viel in Europa herum, ich habe noch niemanden getroffen, der Teil dieser Bürgerforen ist. Niemand weiß, wie sie ausgewählt wurden. Wie lief der Entscheidungsprozess, als die unterschiedlichen Vorschläge gesammelt wurden? Wie wurde entschieden, welche Vorschläge im Abschlussbericht landen und welche es nicht über die Linie schaffen, so wie unser Vorschlag, den ich geschildert habe?

Es war kein demokratischer Prozess, wie wir ihn uns gewünscht hätten – aber es war ein Werkzeug. Das wollten wir auch gerne ausprobieren. Wir wollten versuchen, diesen Prozess zu beeinflussen, unsere Veranstaltungen zu haben und unseren Vorschlag auf den Tisch zu legen und auf diese Online-Plattform zu legen, damit er Unterstützung erhält. Das Ganze war überaus kompliziert, aber nun gut.

Dies ist jetzt das, womit wir arbeiten. Wir werden die nächsten Schritte gehen, die Möglichkeiten nutzen, die sich uns eröffnen. Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich der wachsende Einfluss bezahlt gemacht. Wir sind auf der Agenda, auch wenn nicht unter Volldampf und mit voller Leistung, aber wir sind näher dran als früher.

Dabei geht es nicht nur um die FUEN als Organisation, sondern auch um die Themen, für die wir stehen. Wir sind inzwischen als wichtige Organisation anerkannt, das zeigt zum Beispiel unser Treffen mit der UEFA kürzlich. Die Ziele und Absichten der Minderheiten sind in guten Händen, und wir werden unseren Einsatz fortsetzen.

Auf UN-Ebene gibt es den starken Wunsch, bei der Generalversammlung im September den Minderheitenschutz nach vorne auf die Tagesordnung zu nehmen, und ich hoffe, dass es Resolutionen geben wird. Auch dort wird sich auf die MSPI bezogen.

Loránt Vincze

Wird die MSPI-Kampagne wiederbelebt, oder werden Sie sich etwas Neues einfallen lassen?

Auch das Minority Safepack war letztlich ein Werkzeug, um die Unterschriften zu bekommen und diesen Prozess der Europäischen Bürgerinitiative zu durchlaufen. Hier warten wir auf das Urteil des EuGH in Luxemburg, um zu sehen, ob wir mit der MSPI als Bürgerinitiative weiter vorankommen.

Aber das Minority Safepack ist inzwischen zu einem Konzept geworden. Vielen Menschen ist es inzwischen geläufig. Es bezieht sich heute auf alles, was die Minderheiten in Europa betrifft, und wird so weiter getragen.

Auf UN-Ebene gibt es den starken Wunsch, bei der Generalversammlung im September den Minderheitenschutz nach vorne auf die Tagesordnung zu nehmen, und ich hoffe, dass es Resolutionen geben wird. Auch dort wird sich auf die MSPI bezogen. Ich hoffe sehr, dass wir auch auf weltweiter Ebene vorankommen.

Sie sind ein vergleichsweiser junger Politiker. Glauben Sie, dass noch in Ihrer Zeit in der Politik die Minderheitenrechte auf EU-Ebene geschützt werden?

Da muss ich mit einem optimistischen Ja antworten, aber ich sehe auch, dass wir es leider nicht mit einem Politikfeld zu tun haben, auf dem schnelle Erfolge erzielt werden können. Da haben es Kolleginnen und Kollegen, die in anderen Feldern wie Energie oder Verbraucherschutz oder dem Schutz anderer Minderheiten arbeiten, deutlich leichter und können schnelle Erfolge erzielen.

Aber ich habe eben für diese Ziele mein Mandat, nicht nur von meinen Wählerinnen und Wählern in Rumänien, sondern auch von der FUEN. Also werde ich weitermachen und hoffen, dass Europa erkennen wird, dass eine starke Partnerschaft zwischen Minderheiten und Mehrheiten gut für die gesamte Gesellschaft ist.

Wir sollten für den Dialog arbeiten, für Lösungen, die künftigen Konflikten vorbeugen. Das ist wichtig. Und für unsere Gemeinschaften ist es wichtig, dass ihre Identitäten geschützt werden. Und dafür brauchen wir Werkzeuge und Unterstützung.
 

Ich lade die Menschen in den Minderheiten-Gemeinschaften im deutsch-dänischen Grenzland dazu ein, aktiv zu bleiben, aktiv die Abgeordneten in Dänemark, im Bundestag und auf europäischer Ebene zu bearbeiten, damit sie für die Minderheitenrechte in den Parlamenten und Regierungen kämpfen.

Loránt Vincze

Wenn wir nach Nord- und Südschleswig blicken, wo sich sehr für die MSPI eingesetzt und auch eine Veranstaltung im Rahmen der Zukunftskonferenz auf die Beine gestellt wurde – was kann da jetzt noch motivieren? Was können die Menschen hier für ein positives Ende tun?

Ich denke, dort wird gute Arbeit geleistet, indem sichergestellt wird, dass Grenzland-Erfahrungen auf europäischer Ebene präsent sind, dass es ein positives Beispiel dafür gibt, wie andere Regionen gute Lösungen finden können. Dafür sollte weiterhin die Werbetrommel gerührt werden.

Für dieses Modell haben wir mit der FUEN über viele Jahre geworben. Und ich lade die Menschen in den Minderheiten-Gemeinschaften im deutsch-dänischen Grenzland dazu ein, aktiv zu bleiben, aktiv die Abgeordneten in Dänemark, im Bundestag und auf europäischer Ebene zu bearbeiten, damit sie für die Minderheitenrechte in den Parlamenten und Regierungen kämpfen.

Ich bin übrigens sehr froh über das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein, denn es zeigt, dass die Zusammenarbeitspolitik weitergehen kann. Ich hoffe das Beste, und dazu müssen die Menschen sich weiter einmischen, müssen Lobbyarbeit betreiben für ihre Ziele.

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