Identität

Ehemalige Zugezogene erzählen: Die Minderheit verändert sich

Ehemalige Zugezogene erzählen: Die Minderheit verändert sich

Ehemalige Zugezogene erzählen: Die Minderheit verändert sich

Apenrade/Aabenraa
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Simone Sippel-Pedersen, Hanns Peter Blume, Claudia Knauer und Rainer Naujeck (v. l.) erzählen von ihrer Anfangszeit in Nordschleswig. Foto: Karin Riggelsen

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Die deutsche Minderheit in Nordschleswig befindet sich in einem Wandel – das erzählen Menschen, die vor 23, 27, 35 und 60 Jahren aus Deutschland nach Dänemark gekommen und ein Teil der Volksgruppe geworden sind. Wie sie damals aufgenommen wurden, welche Rolle die Sprache dabei gespielt hat und was mit der Zeit anders geworden ist, verraten die Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger im Interview.

Die Schulen vermelden Anmelderekorde, der Hausverkauf in Nordschleswig boomt, und die deutsche Minderheit in Nordschleswig steht vor der Frage, wie sie mit den neuen Zuzüglerinnen und Zuzüglern umgehen soll.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind immer wieder Menschen aus Deutschland zur Minderheit dazugekommen. „Der Nordschleswiger“ hat vier von ihnen gefragt, wieso sie damals diesen Schritt gegangen sind, wie sie aufgenommen wurden und wie sich die Volksgruppe aus ihrer Perspektive im Laufe der Zeit verändert hat.

Artikelserie zur Identität der Minderheit

Die Delegiertenversammlung ist das höchste Organ des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) und entscheidet die wichtigsten Fragen, mit denen sich der BDN befasst. Diese Fragen stellen sich immer wieder neu, denn die Minderheit von heute ist nicht die von gestern, die von morgen wird wiederum anders aussehen. Als Auftakt zur Delegiertenversammlung, die in diesem Jahr am 1. Juni stattfindet, befasst sich „Der Nordschleswiger“ in einer Reihe von Artikeln mit dem Thema Identität. Wir stellen unter anderem die Frage, was es heißt, Minderheit zu sein.

Alle veröffentlichten Artikel aus der Serie:

Minderheit: Stetige Gratwanderung zwischen Integration und Assimilation

Ehemalige Zugezogene erzählen: Die Minderheit verändert sich

Dänische Mehrheit und deutsche Minderheit: Das gute Verhältnis soll auf den Prüfstand

Deutsche Minderheit: Zugezogene im Fokus der Wissenschaft

Welche Anforderungen Institutionen der Minderheit in Nord- und Südschleswig an neue Mitglieder stellen

Zugezogene als Bereicherung und Herausforderung für die Minderheit

Hanns Peter Blume: „Sønderjysk war der Einstieg in eine neue Welt“

Peter Blume arbeitete sowohl in Lügumkloster als auch in Tingleff als Sport- und Deutschlehrer (Archivbild). Foto: DN

Während des Lehramtsstudiums in Flensburg absolvierte Hanns Peter Blume ein sechswöchiges Landschulpraktikum in Süderwilstrup (Sønder Vilstrup). „Noch während dieser Zeit schlug mir mein Mentor vor, eine Stelle in Lügumkloster anzunehmen, die nach meinem Studium frei werden würde“, sagt der heutige Nordschleswiger. Da es in seinem Wunschort Lübeck keine Aussichten auf eine Arbeit als Lehrer gab, nahm er den Vorschlag an. „Wir fuhren nach Lügumkloster, und per Handschlag wurde der Antritt mit dem Schulleiter verabredet. So trat ich dort am 1. April 1963 meine erste Stelle als Lehrer an“, erzählt Hanns Peter Blume.

Um die Sprache zu lernen, absolvierte er drei Dänischkurse. Doch der Lehrer stellte schnell fest, dass im Alltag meist nur Sønderjysk gesprochen wurde. „Im Mühlenkrug, wo ich täglich zu Mittag aß, hatte ich Gesellschaft von mehreren älteren Junggesellen, von denen die meisten aus der deutschen Minderheit stammten. Die erklärten mir zu Beginn kurz und bündig: ,Blume, eine Woche lang sprechen wir Deutsch mit dir, danach musst du schleunigst Dänisch lernen‘ – und das bedeutete Sønderjysk. Das war mein Einstieg in eine neue Welt.“ Für ihn war die Sprache der Schlüssel zur Integration. „Deutsch allein reicht nicht aus, wer das denkt, der irrt sich.“

Seit seinem „Antritt“ in Nordschleswig hat sich die Minderheit aus seiner Sicht gewaltig zum Positiven entwickelt. „Eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit – besonders der Jahre 1933-45 – und eine Neuausrichtung waren zunächst nur zögerlich in Gang gekommen. Heute sind wir deutlich weiter, aber noch immer nicht am Ende dieses Prozesses“, findet der Tingleffer.

Simone Sippel-Pedersen: „Die Minderheit hat es mir leicht gemacht“

Simone Sippel-Pedersen ist stellvertretende Schulleiterin am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig (Archivbild). Foto: Friedrich Hartung

Simone Sippel-Pedersen war Lehrerin in Rheinland-Pfalz, als sie den Entschluss fasste, sich aus privaten Gründen nach Dänemark zu orientieren. „Es war Zufall, dass am deutschen Gymnasium genau dann eine Mathe- und Chemie-Stelle frei wurde“, erinnert sich die gebürtige Thüringerin, die 2000 am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig (DGN) anfing. Zunächst zog sie nach Kolding und pendelte von dort nach Apenrade.

„Die Minderheit hat es mir leicht gemacht, meinen Beruf als Lehrerin weiter auszuüben. Es war kein schwerer Übergang“, so die stellvertretende Schulleiterin. Nach der Arbeit lernte sie Dänisch in einer Sprachschule in Kolding. Nach drei Jahren zog sie nach Apenrade. Schnell begann sie, sich in Vereinen der deutschen Minderheit zu engagieren. So ist die Lehrerin Mitglied in der Musikvereinigung, im Lehrerverein, beim Bund Deutscher Nordschleswiger, bei der Selbsthilfe und im Sozialdienst. „Ich fühle mich der Minderheit zugehörig, und versuche dort auch präsent zu sein“, so die Apenraderin.

Laut Simone Sippel-Pedersen fühlen sich heute mehr Menschen der Minderheit zugehörig als früher. „Ich empfinde das als durchaus positiv für die Minderheit. Das Bild, dass ausschließlich Alteingesessene dazugehören, hat sich verändert.“ Auch die Schülerschaft am DGN habe sich mit den Jahren verändert. Neben den Schülerinnen und Schülern aus Deutschland würden auch immer mehr Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung ihre Kinder an Minderheitenschulen schicken. „Dadurch wird die Schule bunter.“

Claudia Knauer: „Als Zugezogene fehlt die gemeinsame geschichtliche Basis“

Claudia Knauer ist seit 2015 Büchereidirektorin, davor war sie stellvertretende Chefredakteurin des „Nordschleswigers“ (Archivbild). Foto: Karin Riggelsen

Claudia Knauer ist 1996 über einen Job beim „Nordschleswiger“ zur deutschen Minderheit gekommen. Bevor sie nach Dänemark zog, pendelte sie ein Jahr aus Kiel zur Arbeit. „In Kiel habe ich Dänischunterricht genommen, damit ich nicht doof dastehe – das stand ich aber am Anfang trotzdem“, so die heutige Büchereidirektorin. Durch ihre Arbeit als Journalistin lernte sie schnell unterschiedliche Teil der deutschen Minderheit kennen.

„Mein erster Termin war der Deutsche Tag. Dort war eine andere deutsche Minderheit aus Osteuropa zu Besuch, und die sind mit Trachten aufgetreten. Da dachte ich, wo bin ich denn hier gelandet“, gesteht Claudia Knauer. Doch sie fühlte sich schnell gut aufgenommen. „Ich habe immer überall Hilfe bekommen, wenn ich gefragt habe.“ Sie stellte allerdings fest, wie klein die Minderheit ist. Sie war überrascht, wer mit wem verwandt und bekannt ist. „Als Zugezogene fehlt auch die gemeinsame geschichtliche Basis. Ich werde nie so verwurzelt sein wie Minderheitenangehörige, die schon seit vielen Generationen in Nordschleswig ansässig sind“, so die Apenraderin. Ihrer Meinung nach dauerte es lange, richtig anzukommen. „Man muss es wollen, und dann ist es schön, Teil von etwas zu sein.“

In den 27 Jahren, die sie nun in Nordschleswig ist, hat sie das Gefühl, dass die Minderheit mit der Zeit offener geworden ist – unter anderem auch in Bezug auf das dänische Umfeld. Als Beispiel nennt sie deutsche und dänische Büchereien unter einem Dach. Auch sei es mittlerweile möglich, dass es bei Veranstaltungen der deutschen Institutionen Vorträge auf Dänisch gibt. „Natürlich dürfen wir den Fokus nicht verlieren. Wir sind die deutsche Minderheit, aber mehr Offenheit finde ich gut.“ 

Rainer Naujeck: „Nie das Gefühl gehabt, ausgegrenzt zu werden“

Rainer Naujeck ist seit April 2022 kommissarischer Vorsitzender der Schleswigschen Partei (Archivbild). Foto: Volker Heesch

Rainer Naujeck ist 1988 für eine Lehrerstelle in Osterhoist (Øster Højst) nach Nordschleswig gezogen. Kontakt zur deutschen Minderheit hatte der gebürtige Flensburger bereits 1977 durch seine Frau, die aus Nordschleswig kommt. Die beiden lernten sich während des Studiums kennen. Dass es Minderheiten gibt, erfuhr Naujeck schon früh durch seinen Nachbarn, der Mitglied des Südschleswigschen Wählerverbandes, der Partei der dänischen Minderheit in Deutschland, war, erinnert sich der heutige Nordschleswiger.

Obwohl er in Glücksburg und damit in unmittelbarer Nähe zu Dänemark aufgewachsen ist, hat Rainer Naujeck kein Dänisch in der Schule gelernt. „Die Sprache war am Anfang eine große Herausforderung. Mein Vorteil war, dass meine Frau Dänisch und Sønderjysk spricht.“ In Osterhoist fühlte der Lehrer sich sehr gut aufgenommen. „Ich hatte nie das Gefühl, aufgrund der Sprache ausgegrenzt zu sein“, denkt er zurück. Als wichtiges Identifikationsmerkmal der Minderheit sieht er die deutsche Sprache. „Aber da ist noch mehr. Es ist auch die deutsche Kultur, die zur Identität beiträgt.“

Rainer Naujeck hat das Gefühl, dass sich die Minderheit in den vergangenen 35 Jahren, die er in Nordschleswig ist, positiv verändert hat. Als kommissarischer Leiter des Schleswigschen Partei (SP) freut ihn vor allem, dass die Anerkennung der Minderheitenpartei in der Mehrheitsbevölkerung gewachsen ist. „Wir sind gleichwertig mit den anderen Parteien in der Kommune“, findet er. „Wir wollen nichts extra haben, nur Gleichberechtigung. Das klappt noch nicht in allen Bereichen, aber es wird immer besser“, freut sich der Politiker.

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