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Grenzkontrollen: Kaum Dokumentation über Schutz vor Terror

Grenzkontrollen: Kaum Dokumentation über Schutz vor Terror

Grenzkontrollen: Kaum Dokumentation über Schutz vor Terror

Kopenhagen/Nordschleswig
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Kontrollen beim Grenzübergang in Pattburg (Padborg) Foto: Henrik Ploug/Ritzau Scanpix

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Die dänische Reichspolizei hat seit 2018 wiederholt die Verlängerung der Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze empfohlen. Sie hat jedoch wenig Daten, die belegen, dass sie effektiv sind, um Anschläge zu verhindern. Das zeigt eine Akteneinsicht, die „Der Nordschleswiger“ erhalten hat.

Das Risiko von Anschlägen durch islamistische Terroristen war die Begründung der sozialdemokratischen Regierung, die Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze ab 12. Mai um sechs Monate zu verlängern. Auch in der am 14. Oktober angekündigten Verlängerung ab 12. November ist die Sicherheitslage die Begründung.

In beiden Fällen bezieht sich die Regierung auf die Bedrohungsanalyse des Zentrums für Terroranalyse (CTA), das Teil des Nachrichtendienstes PET ist. Das CTA schätzt in dem im März veröffentlichten Bericht die Bedrohung Dänemarks durch Terror weiterhin als „ernst“ ein.

Polizei empfiehlt Kontrollen

Aus der Publikation geht jedoch nicht hervor, ob das CTA Grenzkontrollen als ein wirksames Mittel ansieht, um dieser Bedrohung entgegenzuwirken.

„Der Nordschleswiger“ hat daher eine Akteneinsicht beim Justizministerium beantragt, um zu klären, ob eine solche Einschätzung vom CTA oder seitens der Polizei vorliegt.

„Auf der Grundlage des oben Stehenden ist es weiterhin die Empfehlung der Reichspolizei, dass die Möglichkeit eines Grenzeinsatzes gegenüber Schweden und Deutschland bewahrt werden soll. Die Reichspolizei will laufend den Effekt der temporären Grenzkontrollen verfolgen“, heißt es in der Zusammenfassung eines Schreibens der Reichspolizei vom 21. März 2022 an das Justizministerium.

Gleiche Einschätzung seit 2017

Das Ministerium hat lediglich eine begrenzte Akteneinsicht gewährt, und dem „Nordschleswiger“ liegen daher nicht sämtliche relevanten Akten vor. Insbesondere handelt es sich bis auf die öffentlich zugängliche Bedrohungsanalyse nur um einen Auszug eines Dokuments des CTA. Der Nachrichtendienst ist vom Recht auf Akteneinsicht ausgenommen. Im Schreiben vom 21. März bezieht sich die Reichspolizei auf die Geheimdienstbehörde.

„Die Einschätzung des CTA vom 9. März zur Sicherheitssituation in Dänemark veranlasst die Reichspolizei nicht dazu, die bisherige Einschätzung bezüglich der Grenzkontrollen gegenüber Deutschland zu ändern“, schreibt sie.

Damit kommt die Polizei zum neunten Mal seit 2017 zur selben Einschätzung.

Steigende Anzahl von Abweisungen

Taucht man tiefer in das Material ein, wird deutlich, dass konkrete Informationen zur Terrorabwehr eher spärlich sind. Die Polizei schreibt zwar, dass die Anzahl der Ausländerinnen und Ausländer, die seit Einführung der temporären Kontrollen 2017 an der Grenze abgewiesen worden sind, gestiegen ist, doch ein Teil des Anstiegs sei auf die Corona-bedingten Einreiserestriktionen zurückzuführen.

„Die Reichspolizei kann jedoch nicht einschätzen, ein wie hoher Anteil der Ausländerinnen und Ausländer, die 2020 und 2021 aufgrund der Covid-19-bedingten Einreiserestriktionen abgewiesen worden sind, auch abgewiesen worden wär, weil sie ein Sicherheitsrisiko ausmachen würden, wären sie nach Dänemark eingereist“, so das Schreiben von 21. März.

Aus den Dokumenten geht ebenfalls nicht hervor, wie häufig bei abgewiesenen Personen ein Verdacht auf Terror oder Extremismus vorliegt.

Jagd auf Menschenschmuggler soll Terror verhindern

Die Reichspolizei bezieht sich bei der Einschätzung auf ihre ursprüngliche Einschätzung vom 6. Oktober 2017, in der sie die Grenzkontrollen als „einen Schutz gegen Ausländer, die die Einreisebedingungen nicht erfüllen, hierunter Ausländer, die die Absicht haben, Terror zu verüben“ bezeichnet.

„Es war des Weiteren die Einschätzung der Reichspolizei, dass das Zurechtlegen der temporären Grenzkontrollen gegenüber Deutschland auf der Grundlage einer ernsten terroristischen Bedrohung als Ausgangspunkt die Kontrolle von anreisenden Personen haben sollte, mit dem Ziel, alle abzuweisen, die die Einreisebedingungen nicht erfüllen, und hierbei besonderen Fokus auf Menschenschmuggel zu legen“, so die Beschreibung der damaligen Einschätzung.

Auch sollten die Papiere kontrolliert werden, um festzustellen, ob Personen in den Registern der Polizei vorkommen.

Nachrichtendienst: Keine Statistik zu Terrorschutz

Im August hatte „Der Nordschleswiger“ beim Nachrichtendienst PET angefragt, ob ihm Statistiken vorliegen, die zeigen, dass die derzeitigen stationären Grenzkontrollen effektiv dazu beitragen, Terror in Dänemark vorzubeugen. Die Antwort der Pressestelle von PET lautete, dass „PET von solchen Statistiken keine Kenntnis hat“.

Ein Fall

In den Dokumenten der Akteneinsicht wird ein konkretes Beispiel von einem versuchten Terroranschlag beschrieben, der durch die Grenzkontrollen vereitelt wurde. Es geht um den sogenannten „Streichholzfall“. Zwei syrische Flüchtlinge, wohnhaft in Deutschland beziehungsweise Schweden planten Ende 2016 einen Anschlag in Kopenhagen mit einer selbst gebauten Bombe und Messern.

Der in Deutschland wohnende 21-jährige Mann versuchte, mit der Fähre von Puttgarden nach Rødby einzureisen. Er wurde jedoch von der dänischen Polizei aufgehalten, die in seinem Rucksack über 17.000 Streichhölzer, Feuerwerk, Batterien und zwei lange Messer fand. Die Streichhölzer sollten laut einem späteren Urteil für den Bau der Bombe verwendet werden.

„Der Angriff wurde nicht durchgeführt, da dem einen Täter die Einreise nach Dänemark verweigert wurde, und er anschließend von der deutschen Polizei verhaftet wurde“, heißt es in einem Dokument des CTA.

Der Mann wurde in Deutschland zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Der zweite Täter wurde in Dänemark verhaftet und zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Terroristen als Geflüchtete getarnt

Im Schreiben an die EU-Kommission zur Verlängerung am 12. Mai verweist die Regierung auch auf den Krieg in der Ukraine. Personen, die eine terroristische Bedrohung ausmachen, könnten sich im Flüchtlingsstrom verstecken. 

Auch das CTA erwähnt in seiner Bedrohungsanalyse vom März dies als ein mögliches Risiko, schreibt jedoch gleichzeitig, dass es noch zu früh sei, die Folgen des Ukraine-Krieges auf die Terrorbedrohung abzuschätzen.

„Auf kurze Sicht können die größeren Migrantenströme bedeuten, dass Personen, die auch eine Bedrohung für Dänemark ausmachen können, versteckt im Flüchtlingsstrom nach Dänemark einreisen“, so das CTA.

Möglich – nicht wahrscheinlich

Insgesamt sieht das CTA die Einreise über Flüchtlingsrouten jedoch nicht als die größte, sondern als mögliche Bedrohung. Das Risiko von Anschlägen durch Personen, die wegen Terrors verurteilt wurden, und anderen Personen mit Sympathie für militanten Islamismus, die ausgewiesen wurden, jedoch nicht abgeschoben werden können, beurteilt das CTA als „wahrscheinlich“.

„Die Nutzung von Flüchtlings- und Migrantenrouten war früher ein zentrales Element der Angriffsplanung des IS (Islamischen Staat, Red.) auf Ziele in Europa, und es ist möglich, dass militante islamistische Gruppen weiterhin die Absicht haben, diese Routen auszunutzen.“

Die Betonung von „möglich“ im Gegensatz zu „wahrscheinlich“ hat das Zentrum für Terroranalyse vorgenommen.

Die Akteneinsicht, die „Der Nordschleswiger“ erhalten hat, bezieht sich ausschließlich auf die Verlängerung der Kontrollen am 12. Mai.

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