Leitartikel

„Rechte Grenze mit Putin“

Rechte Grenze mit Putin

Rechte Grenze mit Putin

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Nordschleswig rückte bei der Folketingswahl im Vergleich zu 2019 nach rechts. Die Parteien, die für Grenzkontrollen sind, erhielten sogar insgesamt 76,1 Prozent aller Stimmen. Welche Konsequenzen hat dies für die deutsch-dänische Grenze? Siegfried Matlok analysiert – und hofft, dass Ministerpräsident Günther in der Grenzfrage Putin verdrängen kann.

Die Folketingswahl ist nun endgültig entschieden – von Danmarks Statistik! Die Zahlen für den Großkreis Südjütland und insbesondere die Stimmen in den dazugehörigen vier nordschleswigschen Einzel-Wahlkreisen verdienen aber noch eine tiefere Analyse. Wie bei früheren Wahlen fällt auf, dass sich die Ergebnisse in den vier Kommunen Nordschleswigs vom Resultat sowohl auf Landesebene als auch im Großwahlkreis Südjütland unterscheiden. Es gibt jedoch diesmal eine Ausnahme: Løkkes Partei der Moderaten erhielt sowohl in ganz Dänemark, als auch in Südjütland und Nordschleswig jeweils 9,3 Prozent der Stimmen, aber davon abgesehen ticken die Uhren in Nordschleswig weiterhin anders.

Wenn wir die Zahlen in Hadersleben, Sonderburg, Tondern und Apenrade vergleichen im Verhältnis zur Folketingswahl 2019, so muss man – leider – feststellen, dass Nordschleswig am 1. November etwas nach rechts gerückt ist. Nehmen wir ein lokales, regionales Thema, das in diesem Wahlkampf – auch bei den Wahlveranstaltungen vor Ort – durchaus eine Rolle spielte: die Frage der Grenzkontrollen. Bei der Folketingswahl 2019 entfielen in Nordschleswig 17,8 Prozent der Stimmen auf die Dänische Volkspartei (DF) und Neue Bürgerliche; 2015 war angesichts des DF-Erfolges sogar vom „gelben“ Nordschleswig die Rede.

Bei der Wahl 2022 gab es in Nordschleswig insgesamt 23,7 Prozent zusammen für Inger Støjbergs „Danmarksdemokrater“, „Ny Borgerlige“ und „Dansk Folkeparti“, also für drei Parteien, die besonders wegen ihrer Ausländerpolitik für scharfe Grenzkontrollen eintreten. Obwohl die Dänemarkdemokraten von diesen drei Parteien in Nordschleswig die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, war es jedoch die in Nordjütland lebende Partei-Chefin von Ny Borgerlige, Pernille Vermund, die im Großwahlkreis Südjütland mit 15.375 persönlichen Stimmen vor dem Sozialdemokraten Benny Engelbrecht (10.657 Stimmen) auf Platz eins landete! In den vier nordschleswigschen Wahlkreisen holte sie 6.084 persönliche Stimmen und lag in jedem Einzelwahlkreis unter den fünf Besten. Das ist sogar mehr als die Hälfte aller Stimmen für Ny Borgerlige in unserem Landesteil.

Die deutsche Minderheit wirbt verdienstvoll ebenso wie die dänische Minderheit und viele andere diesseits und jenseits für offene Grenzen, ja manche träumen sogar von einer völligen Beseitigung der deutsch-dänischen Grenze, aber Vorsicht! In der Gesamtbevölkerung sieht es doch anders aus. Die Zahlen der Folketingswahl zeichnen unmittelbar sogar ein düsteres Bild, denn in Nordschleswig entfielen 76,1 Prozent der Stimmen auf Parteien, die mehr oder weniger an den Grenzkontrollen festhalten wollen, davon – wie erwähnt – vertreten drei Parteien mit einem Anteil von 23,7 Prozent sogar einen scharfen/schärferen Grenz-Kurs.

Nun haben die Wählerinnen und Wähler – auch in Nordschleswig – natürlich nicht ihre Stimmen für Parteien oder Kandidaten abgegeben nur wegen deren Haltung zur Grenzkontrolle – da gab es dann doch wichtigere Themen – aber es zeigt zunächst, dass unmittelbar nach der Wahl kein Licht im Tunnel zu erkennen ist; bei einigen Parteien sogar eher Gegenlicht. Und wer die dänische Politik kennt, muss wohl erkennen, dass der Spielraum in dieser Frage durch die Wahlzahlen weiter eingeengt worden ist, und Støjberg lauert im Hintergrund.

Man darf deshalb gespannt sein, ob die kürzlich von Justizminister Tesfaye mitgeteilte erneute Verlängerung der bisherigen Grenzkontrollen weiter fortgesetzt wird. Der ehemalige sozialdemokratische Minister, Benny Engelbrecht, der früher in der Zeit der Løkke-Regierung mit DF die damaligen Grenzkontrollen gemeinsam mit SPD-Politikern aus Schleswig-Holstein scharf kritisiert hatte, unterstützt nun die stramme, offizielle Regierungspolitik. Im Wahlkampf begründete er die Verlängerung mit – Putin. Da der russische Angriff auf die Ukraine leider noch länger andauern wird, muss man sich wohl oder übel darauf einstellen, dass die jetzigen Grenzkontrollen vorläufig nicht aufgehoben werden.

Sowohl der Justizminister als auch Venstres Vorsitzender Jakob Ellemann-Jensen (bei seinem Besuch der deutschen Minderheit) haben zugesagt, pragmatisch über eine „intelligentere Lösung“ nachzudenken. Schön wär’s, aber „intelligent“ muss in diesem Fall auch schnell heißen, denn die Belastungen für die Grenzpendler sind schon heute in vielen Fällen unerträglich, wenn Europa im Grenzland mehr als nur eine Worthülse sein soll.

Bemerkenswert ist an der grenzüberschreitenden Diskussion, dass Dänemark einerseits (völlig legitim) das Recht zur Sicherung der eigenen Staatsgrenze (seit dem 9. Mai 1945 gilt: „Grænsen ligger fast“) bewahren will, andererseits aber eine fehlende Lösung hinter vorgehaltener Hand mit Hinweisen auf deutsche, schleswig-holsteinische Behörden begründet. Sie erschweren bzw. verhindern nach Ansicht von Kopenhagen – offenbar– eine Lösung vor allem durch datenschutzrechtliche Bedenken.

Es ist gewiss erfreulich, dass beide Minderheiten sich für offene Grenzen einsetzen – ohne deren Einsatz wäre es während der Corona-Quarantänen sogar noch schlimmer geworden! –, aber letztlich sind es die Regierungen, die jetzt liefern müssen. Da Berlin zu weit vom Schuss ist, muss Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther diese Frage zur Chefsache machen. Manche glauben vielleicht, dass ein Anstoß aus Kiel die dänische Seite als Protest verärgern könnte, aber das ist heute schlichtweg Unsinn. Der Ministerpräsident hat – erfreulicherweise – inzwischen so gut gefestigte Beziehungen zu den Verantwortlichen in Kopenhagen, dass ein offenes Gespräch überhaupt nicht schaden kann – im Gegenteil.

Das Bohren dicker Bretter nimmt gewiss Zeit, aber das Grenzland wartet nun dringend auf die „Intelligenten“ – aus der Mehrheit!

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