Deutsche Minderheit

Martin Klatt stellt neue Fragen zur Zukunft der Minderheiten

Martin Klatt stellt neue Fragen zur Zukunft der Minderheiten

Martin Klatt stellt neue Fragen zur Zukunft der Minderheiten

Sankelmark
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Martin Klatt sprach ausführlich über neue Tendenzen der Minderheitenpolitik und -identitäten. Foto: Karin Riggelsen

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Der Leiter der Forschungsstelle für deutsch-dänische Minderheitenfragen am European Centre for Minority Issues (ECMI) unternahm bei der BDN-Neujahrstagung einen Streifzug durch Identität und Identitätswandel der Volksgruppen: Werden nationale Minderheiten noch gebraucht oder entsteht eine „transnationale Gruppe von Grenzlandbewohnern“.

Der Leiter des neuen Forschungsclusters deutsch-dänische Minderheitenfragen am European Centre for Minority Issues (ECMI) in Flensburg (Flensborg), Professor Martin Klatt, hat in seinem Vortrag während der Neujahrstagung des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) die Entstehungsgeschichte, Veränderungen und Zukunftsperspektiven der als institutionelle Minderheiten organisierten Volksgruppen im Grenzland durchleuchtet.

Idee einer gemeinsamen Grenzlandminderheit

Der langjährige Mitarbeiter am Institut für Grenzregionsforschung und der Grenzregionsforschung an der Süddänischen Universität Sonderburg (Sønderborg) und mit Minderheitenfragen befasste Wissenschaftler aus Flensburg hatte vor einigen Monaten mit Überlegungen Aufsehen und auch Widerspruch erregt.
 

Martin Klatt lieferte zahlreiche Beispiele aus der eigenen Familie, um zu belegen, dass sich auch die Sicht auf die Minderheiten einer ständigen Veränderung unterzieht. Foto: Karin Riggelsen

 

Angesichts der immer engeren Zusammenarbeit der deutschen und der dänischen Minderheit über die deutsch-dänische Grenze hinweg und gemeinsamer politischer Initiativen für die gemeinsame Region im einstigen Herzogtum Schleswig hatte er die Idee einer Entstehung einer „gemeinsamen“ Grenzlandminderheit ins Spiel gebracht.

Nationale Minderheiten Ergebnisse des Nationalismus

Im Verlauf seines Vortrags „Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland im 21. Jahrhundert – ein Lifestyle?“ erläuterte Klatt, dass die nationalen Minderheiten ein Ergebnis des im 19. Jahrhundert florierenden Nationalismus sind. „So klar sind die Grenzen damals nicht gewesen. Was sollte man mit den kleinen Gruppen und Völkern machen?“, so der Wissenschaftler und erinnerte an die gängige Vorstellung, die Kleinen müssten sich dann eben den Großen anschließen.

„Das sieht Wladimir Putin heute auch so“, warf Klatt ein und erinnerte daran, dass Dänemark sich auch erst im 19. Jahrhundert nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zu Europa und Engagement der dänischen Könige als deutsche Reichsfürsten auf die eigene „nordische“ Vergangenheit mit eigenen Göttern und Mythologien besann.

Eine Frage der Definition

Es stelle sich die Frage, wie man Nationen definiert, so der Forscher. Er verwies auf die Auflösung der übernationalen Großreiche am Ende des Ersten Weltkriegs in Europa, mit dem Vorsatz, das Selbstbestimmungsrecht der Völker gelten zu lassen. Die Abstimmungen im deutsch-dänischen Grenzland führten zur Bildung der heutigen Grenzlandminderheiten, die allerdings in den vergangenen 100 Jahren auch einen ständigen Prozess der Nationenbildung durchlaufen. „Nach 1920 waren die Träger des Deutschtums in Nordschleswig, die Beamten, bald alle weg“, so Klatt und verwies auf die neue Formierung der Minderheit unter Führung des Politikers Johannes Schmidt-Wodder.

Aussöhnung dauert Jahrzehnte

Wie lange Zeit die Aussöhnung im deutsch-dänischen Grenzland gedauert hat, wurde sichtbar, als der BDN-Hauptvorsitzende Hans Heinrich Hansen 1995 bei den Gedenkfeiern 75 Jahre nach den Volksabstimmungen und der Grenzziehung auf Düppel (Dybbøl) sprechen durfte.
 

Martin Klatt illustrierte seine Ausführungen durch passende Lichtbilder. Das abgebildete Beispiel ist inzwischen viele Jahre alt. Foto: V. Heesch

„Es hieß seitdem, zwischen den Nachbarn läuft alles ganz gut“, so Klatt. Es wurden sogar Stimmen laut, wozu man denn überhaupt noch Minderheiten benötige. Der Wissenschaftler berichtete über Äußerungen auch von Forschenden, ob nicht auch die Europaidee die Minderheiten überflüssig mache und erwähnte Vorwürfe, die Minderheiten würden nur neue Grenzen ziehen. 

Der Minderheitenforscher ging aber auch auf Tendenzen ein, dass sich vor allem in Südschleswig Menschen von der dänischen Minderheit angezogen fühlten, weil sie sich „den Dänen näher fühlten als den Bayern“.

Minderheit „zugewählt“

Die traditionelle dänische Minderheit verweise auf die vielen dänischen Spuren im Grenzland, während immer mehr nicht der „alten“ dänischen Minderheit zugehörige Menschen das dänische System der Minderheit „zuwählen“. Es sei cool, Minderheit zu sein. Dieser „Lifestyle“ habe bei ihm eine Rolle der Minderheiten als „Regionauten“ oder als die „letzten Schleswiger“ als Perspektive vorstellbar gemacht.
 

Zukunft mit „Regionauten" als Ergebnis des Regionalismus von SSW und SP denkbar? Foto: V. Heesch

 

Immerhin habe die enge Zusammenarbeit der Parteien Schleswigsche Partei (SP) der deutschen Nordschleswiger und des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) der dänischen Südschleswiger einen gemeinsamen Grenzland-Regionalismus als Gegenstand.

Wechsel der Minderheit möglich

„Und Menschen in der Region wechseln die Minderheit, es gibt Wechsel von dänischen Minderheitenschulen an die Deutsche Nachschule Tingleff oder ans Deutsche Gymnasium für Nordschleswig. Ihr in der deutschen Minderheit stellt viele Leute aus der dänischen Minderheit ein“, so Klatt. Er unterstrich aber auch, dass es keinen institutionellen Rahmen für eine Verschmelzung der Minderheiten gebe. Gerade die Grenzschließung während der Corona-Pandemie habe gezeigt, dass die Nationalstaaten plötzlich zurückkommen.

Martin Klatt Foto: Karin Riggelsen

„Mir ist aus der Kommune Apenrade ein Schriftstück zugespielt worden, in dem Akteure sich rühmten, dass man es geschafft habe, die deutsch-dänische Grenze in 16 Stunden dichtzumachen“, berichtete er. „Es ist während der Grenzschließung aber auch deutlich geworden, dass die grenzüberschreitenden Verbindungen mehr als Grenzpendeln sind, alles war zu, Familien wurden getrennt“, so Klatt.

Mobilisierung der Minderheiten

Der Wissenschaftler verwies auf die Mobilisierung gerade der beiden Minderheiten gegen das Vorgehen vor allem auch der Regierung in Kopenhagen, in der man irgendwann eingesehen habe, dass man wohl überzogen hatte. Er verwies auch darauf, dass neue Dinge in die Existenz der Minderheiten einwirkten. Dazu zählten neben einstigen Erwartungen, die Minderheiten sollte nationale Vorposten sein, Tendenzen wie mehr doppelte Staatsbürgerschaften oder europarechtliche Aspekte wie die Sprachencharta.

Minderheiten als Mehrwert

Seit ungefähr 2006 gehe man auch Fragen nach, ob die Minderheiten einen Mehrwert darstellen. Tatsache sei, dass sich zweiströmige oder zweisprachige Menschen aus den Minderheiten einen Kulturraum zwischen Nordkap und Klagenfurt eröffnen könnten.

Klatt erwähnte in der Diskussion mit dem Publikum, dass er weitere Forschungen zu Minderheitenfragen anstrebe. Dabei gehe es auch um Erkenntnisse, wer den Minderheiten den Rücken kehre. Es werde schon seit 1920 geklagt, dass viele Menschen aus der Grenzregion abwanderten. Aber die Minderheiten sind dennoch bis heute erhalten.

Es ging in der Diskussion auch um die Frage, ob es den Minderheiten schade, wenn es diesen zu gut geht. Dieser Auffassung widersprach Gösta Toft, früherer politischer Mitarbeiter der Schleswigschen Partei: „Wir haben das Glück, dass wir nicht von Konflikten leben müssen. Wir sind ein Mehrwert, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Es reicht, dazuzugehören.“

Und Martin Klatt schloss mit den Worten, es werde wohl keine gemeinsame Minderheit geben, denn die Nationalstaaten seien weiter die Realität. 

 

 

 

 

 

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