Radtourismus

Mangelnder Überholabstand: „Dänemark wird mich als Touristin nicht wiedersehen“

Mangelnder Überholabstand: „Dänemark wird mich als Touristin nicht wiedersehen“

Überholabstand: „Werde nicht mehr in Dänemark Urlaub machen“

Apenrade/Berlin
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Auto vs Fahrrad
Unfälle im Winter geschehen meist, wenn Fahrradfahrende die Witterungs- und Straßenverhältnisse falsch einschätzen. Foto: Simon Lohmann/Unsplash

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Rücksichtslos und riskant: Knappe Überholmanöver durch Autofahrende haben einer deutschen Touristin den Fahrradurlaub in Dänemark verhagelt. Der dänische Fahrradverband fordert seit Langem ein gesetzliches Abstandsgebot von 1,5 Metern. Ein Selbsttest des Landesvorsitzenden zeigt: Viele überholen auf Landstraßen zu eng. Ein Tourismusverband zeigt sich bestürzt.

Zu dichtes Überholen gefährdet immer wieder Radfahrerinnen und Radfahrer in Dänemark. Manchmal auch mit tödlichem Ausgang. Dass zu enge Überholmanöver auch Auswirkungen auf den Tourismus haben, zeigt die E-Mail einer Berliner Radtouristin, die dem „Nordschleswiger“ vorliegt. Darin beschreibt Judith R., die kürzlich mit dem Fahrrad im Urlaub in Dänemark war, ihre zahlreichen negativen Erfahrungen, die sie zum Abbruch des Urlaubs bewogen haben. Sie sagt auch am Telefon mit dem „Nordschleswiger“: „Dänemark wird mich als Touristin vorerst nicht wiedersehen.“ 

Forderung nach gesetzlichem Mindestabstand

Der Fahrradverband (Cyklistforbundet) fordert schon länger einen gesetzlichen Mindestabstand. Die ehemalige Verkehrsministerin Trine Bramsen (Soz.) hatte sich vor der Wahl für ein dänisches 1,5-Meter-Gesetz eingesetzt.

 

Auf einer Landstraße ohne Radweg oder Seitenstreifen überholte ein Autofahrer extrem eng, ich schätze mit maximal 20 Zentimeter Abstand. Danach saß ich ziemlich lange zitternd, weinend und fast brechend am Straßenrand.

Judith R., Fahrradtouristin

„Leider wurde die Arbeit unter der neuen Regierung auf Eis gelegt“, kritisiert Jens Peter Hansen, Vorsitzender des dänischen Radfahrerverbandes. Er sei damit ganz und gar nicht zufrieden, schreibt er dem „Nordschleswiger“. „Deshalb bin ich in die Offensive gegangen, um zu zeigen, dass ein konkretes Abstandsgebot notwendig ist und dass es einfach ist, ein solches Gebot durchzusetzen.“

116 Überholvorgänge mit zu geringem Abstand

Unabhängig von der E-Mail hat Hansen vor zwei Wochen eine Testfahrt entlang einer Landstraße unternommen. An Bord seines Fahrrads war ein Abstandsmesser, der auch von der US-Polizei für Messungen verwendet wird. „Ich wurde im Laufe von 47 Minuten 116-mal mit weniger als 150 Zentimetern Abstand überholt, wobei 56 Zentimeter der geringste Abstand war.“ Die Überholabstände dokumentierte Hansen per Video. 89 der knappen Überholvorgänge hat er zu einem zweiminütigen Video zusammengeschnitten.

Das Video von Hansen auf Twitter

Jens Peter Hansen hat schon in den Jahren 2017 und 2018 im Rahmen des Projekts „Hold afstand til cyklisten“ Überholabstände zwischen Autos und Fahrrädern gemessen. „Das allgemeine Bild ist, dass einer von drei Überholenden näher als 1,5 Meter kommt, und dass der Radfahrer 40 Zentimeter weniger Platz hat, wenn er trotz eines entgegenkommenden Autos überholt wird.“

Jens Peter Hansen
Jens Peter Hansen, Vorsitzender des dänischen Radfahrerverbands „Cyklistforbundet“ Foto: Cyklistforbundet/Lasse Kofod

Ausreichender Abstand? Ist das der Fall, wenn sie den Radfahrer nicht anfahren?

Jens Peter Hansen, Vorsitzender des dänischen Radfahrerverbandes

Gesetz schreibt lediglich „ausreichenden Abstand“ vor

Die Fahrerinnen und Fahrer in dem Video würden eigentlich nicht gegen die dänische Straßenverkehrsordnung verstoßen, schreibt Hansen in einem Tweet unter seinem Video. Denn nach Paragraf 21, Absatz 3, gilt: Der Überholende muss einen ausreichenden Seitenabstand zwischen seinem Fahrzeug und dem überholten Fahrzeug einhalten.

Hansen fragt: „Ausreichender Abstand? Ist das der Fall, wenn sie den Radfahrer nicht anfahren?“

Das Problem: Was genügend Abstand ist, ist laut Regelwerk bisher individuelle Auslegungssache. „Das schafft ein enormes Gefühl der Unsicherheit und führt dazu, dass manche Menschen nicht mehr Rad fahren wollen“, sagte Hansen kürzlich gegenüber „TV2 Østjylland“.

Zwar ist hier am Flensborgvej in Richtung Apenrade (Aabenraa) ein breiter Radstreifen zu finden, überholt ein Lkw mit Tempo 80 wird es trotzdem unangenehm.
Zwar ist hier am Flensborgvej in Richtung Apenrade (Aabenraa) ein breiter Radstreifen zu finden, überholt ein Lkw mit Tempo 80 wird es trotzdem unangenehm (Archivfoto). Foto: Cornelius von Tiedemann

Radfahrende schildern negative Erfahrungen

Nicht nur Hansen machte bei seinem Test negative Erfahrungen. Unter seinem Twitterbeitrag melden sich weitere Touristinnen und Touristen zu Wort, die auf ihrer Dänemarktour mit dem Rad unschöne Erlebnisse hatten.

Der Nutzer mit Namen „Super-Orange“ etwa schreibt: „Ich bin derzeit mit dem Fahrrad in Dänemark unterwegs und muss zugeben, dass ich unangenehm überrascht bin, wie oft wir hier knapp überholt wurden − inklusive eines fast kriminell-schnellen städtischen Schnellbusses auf einer kleinen Straße in Sjælland Odde. Nicht das dänische Fahrradparadies, das wir erwartet hatten.“

Berliner Touristin bricht Radreise ab

Judith R. schilderte ihre Erlebnisse in einer E-Mail, die sie nach ihrer Rückkehr unter anderem an den Radfahrerverband schickte. Mit dem „Nordschleswigers“ sprach sie am Telefon über die Gründe für ihren Urlaubsabbruch.

Sie selbst sei eine einigermaßen erfahrene Radfahrerin, die jährlich zwischen 8.000 und 10.000 Kilometer zurücklege, sagt sie. Vor dem Urlaub habe sie über Dänemark gelesen, dass es mal zum „fahrradfreundlichsten Land der EU“ gewählt worden sei. Sie habe sich daher vor Tourbeginn keine großen Sorgen gemacht.

Ihre Radreise hatte die Berlinerin mit der App „Komoot“ vorgeplant, aufgebrochen sei sie dann mit dem Rennrad und Minimalgepäck. Die Tour führte sie zunächst nach Fehmarn und mit der Fähre nach Rødby. Es folgte ein Abstecher über Dodekalitten auf Lolland. Danach ging es weiter über Falster nach Seeland und dort nach Kopenhagen. Anschließend wollte die 47-Jährige wieder nach Süden radeln ­− über die Insel Møn zur Fähre nach Gedser. Doch daraus wurde nichts.

Route
Die Route, die Judith R. gefahren ist. Foto: Privat

Schockmomente für Berliner Touristin

Das größte Problem führte für die Berlinerin dann unweigerlich zum Abbruch der Radreise: die mangelnde Rücksicht von Kraftfahrzeugfahrenden. „Generell wurde ich von fast allen Überholenden mit viel zu wenig Abstand überholt. Es gab auch welche, die mit ausreichenden Abstand überholt haben, aber das war wirklich die Ausnahme“, erzählt Judith. Das sei sowohl innerorts als auch außerorts und auf nationalen Radrouten so gewesen.

„Die Seitenstreifen, die an manchen Landstraßen vorhanden sind und offensichtlich auch zum Radfahren gedacht sind, sind dafür nicht im Geringsten geeignet“, schreibt die Berlinerin in ihrer E-Mail. „Wenn man dort fährt, wird man von Lkw überholt, die dafür nicht mal einen kleinen Schlenker nach links machen. Und das in einer Region, in der der Wind auch gerne mal von der Seite kommt.“

Fahrradstreifen
Nicht überall an Landstraßen gibt es auch sichere Radwege. Viele Pkw- und Lkw-Fahrende halten hier kaum Sicherheitsabstand ein. Foto: Privat

Bei jedem einzelnen dieser Vorfälle hatte ich konkrete Angst um mein Leben.

Judith R., Fahrradtouristin

Nach einer der Situationen musste die Berlinerin erstmal Pause machen. „Auf einer Landstraße ohne Radweg oder Seitenstreifen überholte ein Autofahrer extrem eng, ich schätze mit maximal 20 Zentimeter Abstand. Danach saß ich ziemlich lange zitternd, weinend und fast brechend am Straßenrand.“

In einem Ort überholte sie ein Linienbus denkbar knapp auf einer schmalen Straße. 

Beleidigungen und Mittelfinger

Zum Abbruch bewogen hat sie schließlich eine weitere Begegnung mit einem uneinsichtigen Autofahrer, der ebenfalls auf einer Landstraße ohne Radweg oder Seitenstreifen extrem eng überholt habe. Sie habe dem Fahrer hinterhergebrüllt, woraufhin dieser anhielt und nach dem Problem fragte.

„Ich erklärte ihm, dass er viel zu eng überholt und damit Menschen gefährdet. Er hat dann gesagt, dass er das absichtlich mache, weil es ja schließlich verboten sei, die durchgezogene Mittellinie zu überfahren.“ Die Straße sei zu dem Zeitpunkt gerade, frei von Gegenverkehr und weit überschaubar gewesen, sagt Judith. „Er meinte dann, ich solle nicht Rad fahren, wenn ich ein Problem damit hätte.“ Neben einigen unschönen Worten habe er ihr zum Abschluss dann noch den Mittelfinger gezeigt.

„Bei jedem einzelnen dieser Vorfälle und auch bei kleineren hatte ich konkrete Angst um mein Leben.“ Nach dem letzten Vorfall habe sie dann beschlossen, den Dänemark-Aufenthalt abzubrechen und nicht nach Gedser zu radeln. Sie sei dann über Schweden die Heimreise angetreten. Auf der Strecke von Malmö nach Trelleborg habe sie „krass andere Erfahrungen“ gemacht, so die Berlinerin. Alles sei entspannter gewesen. 

Manche Abschnitte auf der nationalen Fahrradroute 8 (Østersøruten) sind nicht befestigt. Foto: Privat

Kritik an Infrastruktur

Neben den gefährlichen Überholmanövern sei aber auch die Infrastruktur in Dänemark nicht so gut gewesen, wie erwartet. Fehlende Fahrradabstellmöglichkeiten vor Geschäften, viele Drängelgitter und schlechter Belag auf den Radwegen: „Im Schnitt sah ich in dieser Hinsicht keinen echten Unterschied zu Deutschland.“

Dass es an der Routenplanung liegt, glaubt Judith R. nicht. „Ich habe die geplanten Strecken immer auch auf Alternativen geprüft, aber die gab es kaum.“ 

Der Urlaub sei daher wenig erholsam gewesen, und sie habe sich im Land nicht willkommen gefühlt. „In Zukunft gebe ich mein Geld lieber woanders aus. Es ist schade um das ansonsten wirklich schöne Land“, schreibt sie in ihrer E-Mail.

Jens Peter Hansen nennt die drei Beispiele für erschreckend knappe Überholvorgänge, von denen Urlauberin Judith R. berichtet, „eine wirklich traurige Lektüre“. „Wir sagen, dass wir eine Radnation sind und dass wir den Radsport wollen, aber hier sind wir definitiv am Ende des Feldes.“

 

Leider ist das ein Bild, das ich als Radfahrer auch kenne.

Jesper Pørksen, Direktor Dansk Cykelturisme

Dansk Cykelturisme zeigt sich betrübt

Auch beim Verband Dänischer Radtourismus (Dansk Cykelturisme) hat die E-Mail für Aufsehen gesorgt. Er sei schockiert und betrübt zugleich über die Aussagen der Berliner Radfahrerin, sagt Direktor Jesper Pørksen. Er habe ihr bereits eine Nachricht zukommen lassen, in der er sich für das Verhalten seiner Landsleute entschuldigt, wie er dem „Nordschleswiger“ schreibt. „Leider ist das ein Bild, das ich als Radfahrer auch kenne.“ Eine Abstandsregel könne zur Entschärfung des Problems beitragen, ist er überzeugt. 

„Wir arbeiten an mehreren Fronten, aber die Änderung eines sehr besorgniserregenden Trends in unserer Verkehrskultur erfordert auch große Anstrengungen von vielen Beteiligten.“ So arbeite man bei Dansk Cykelturisme etwa am Fahrradknotenpunkt-Netzwerk mit. Mit diesem sollen Radfahrende über rekreative Routen um die großen Hauptstraßen herumgeführt werden.

Probleme auf nationalen Radrouten ermittelt

„Wir sind auch fast alle nationalen Radwege abgefahren und haben auf die Abschnitte hingewiesen, auf denen das Radfahren unsicher oder gefährlich ist. In einigen Fällen hat dies zu einer Umgestaltung der Routen geführt. In anderen Fällen wurde Radverkehrsinfrastruktur geschaffen“, schreibt Pørksen. Er sagt aber auch, dass die Instandhaltung einiger bestehender Radwege vernachlässigt wurde.

In seiner E-Mail an Judith R. schreibt Pørksen, er nehme ihre Worte als Ansporn, noch mehr Druck zu machen. Er hoffe, sie irgendwann in Zukunft doch wieder in Dänemark begrüßen zu können.

Das lässt die 47-Jährige aber offen. „Wenn ich in Zukunft ungefährdet und ohne Angst fahren kann, komme ich vielleicht wieder. Aber nach den Erlebnissen lagen die Nerven einfach blank.“

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