Leitartikel

„Kampagne ,Winterhelden‛: Radfahren braucht kein Heldentum“

Kampagne ,Winterhelden‛: Radfahren braucht kein Heldentum

Kampagne ,Winterhelden‛: Radfahren braucht kein Heldentum

Flensburg/Apenrade
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Radweg Winter
Es ist Winter: Wo ist der Radweg? Foto: Gerrit Hencke

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Mit einer landesweiten Kampagne will Schleswig-Holstein auch im Winter mehr Menschen aufs Rad bringen. Wer bei Schnee und Eis radelt, sei ein „Winterheld“, heißt es. Radfahren muss einfach sicher sein, schreibt Gerrit Hencke in seinem Leitartikel. Dann braucht es auch kein Heldentum, dann wäre es voll normal.   

Der Schneefall dieser Tage zeigt es im Grenzland mal wieder ganz gut: Das Fahrrad genießt kaum Prioritäten gegenüber dem motorisierten Verkehr. Während die Fahrbahnen schnell geräumt werden, bleibt der Schnee auf den Radwegen und Fahrstreifen liegen. Im besten Fall gibt es eine schmale Spur, häufig wird der Schnee aber von der Fahrbahn an den Rand geschoben, wodurch Radwege dann plötzlich „zwangsenden”. 

Es ist daher etwas amüsant, dass das Land Schleswig-Holstein, genauer gesagt Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen und Rad.SH-Chef Thorben Prenzel, genau jetzt die landesweite Kampagne „Winterhelden“ starten. Schließlich seien Schnee, Frost, Regen oder anderes „Schietwetter” kein Grund, das Fahrrad stehen zu lassen, heißt es in der Pressemitteilung.

Und weiter: „Wie heißt es so schön: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung.” Richtig. Die Kleidung ist aber nicht das Problem am Winterwetter und am Heldin- oder Held-Sein. Warme, wasser- und winddichte Kleidung hat vermutlich jeder im Schrank. Das Problem ist der mangelhafte Zustand der Radwege – auch wenn es nicht gerade schneit. Aktuell wird es aber besonders deutlich: Denn wenn auch Tage nach dem letzten Schnee die Schutzstreifen und Radwege kaum befahrbar sind, dann sind die Prioritäten beim Räumen falsch gesetzt.

Ein Appell, der verpufft

Daher ist Madsens Appell an alle Bürgerinnen und Bürger, selbst zu „Winterhelden“ zu werden, einer, der verpufft. Wer auch sonst immer Rad fährt, wird dies auch im Winter weiterhin tun. Ganz unheldenhaft. Das zeigt sich nicht zuletzt an den zahlreichen Spuren im Schnee auf den ungeräumten Radwegen.

Die Menschen, die da draußen trotz widriger Bedingungen in die Pedale treten, tun dies bewusst. Weil sie kein Auto besitzen, weil der ÖPNV ihnen nicht ausreicht, sie Geld sparen oder etwas für ihre Gesundheit tun wollen, weil sie sich bewusst für ein umweltfreundliches Verkehrsmittel entschieden oder die Vorteile gegenüber dem Auto erkannt haben.

Für wen das Rad ein Saisonartikel ist, der wird bei den Wetterverhältnissen und allgemein in der dunklen Jahreszeit auch nicht umsteigen oder nur dann, wenn er genauso sicher mit dem Fahrrad an sein Ziel kommt wie mit dem Auto. Das Ziel Prenzels, Sommer-Radlerinnen und -Radler dazu zu motivieren, ihr Fahrrad auch in den Wintermonaten zu nutzen, kann ohne vernünftige Instandhaltung der Wege nicht funktionieren. Da hilft es auch nicht zu betonen, dass es in Schleswig-Holstein nur wenige Schnee- und Eistage gibt. 

„Radfahren ist fast das ganze Jahr über sicher und komfortabel möglich”, sagt der Rad.SH-Chef. Dem stimme ich zu. Allerdings gilt beides nur dort, wo es sichere und gute Infrastruktur gibt. Von aggressiven Autofahrenden und mangelndem Überholabstand fange ich lieber nicht an.

Der Radstreifen am Flensborg Vej in Richtung Apenrade liegt unter einer Schneedecke begraben.
Der Radstreifen am Flensborg Vej in Richtung Apenrade liegt unter einer Schneedecke begraben. Foto: Gerrit Hencke

Um Rad zu fahren ist kein Heldentum nötig

Um es klar zu sagen: Fürs Radfahren ist kein Heldentum nötig. Weil aber die Bedingungen im Winter oft mies sind, muss man schon Heldinnen und Helden in denen sehen, die trotzdem mit dem Drahtesel unterwegs sind. Hier könnte das Land einen großen Beitrag leisten, die Verhältnisse zu verbessern. Die Kampagne „Winterhelden“ hat ihren Namen vermutlich bekommen, weil sich so recht niemand vorstellen konnte, selbst im Winter zu radeln. Das muss etwas für Hartgesottene sein. Helden eben. 

Dass die Verkehrssicherheit eine viel größere Rolle spielt als die Witterung, das zeigen Gemeinden wie Oulu in Finnland. Die mittlerweile als Winter-Fahrradstadt bekannte Kommune am Polarkreis priorisiert beim Räumen den Radverkehr. Das Beispiel der 200.000-Einwohner-Stadt hebt auch Prenzel hervor. Denn obwohl die Winter in der nordfinnischen Stadt hart sind und über mehr als die Hälfte des Jahres Schnee liegt, fährt hier auch im Winter jeder fünfte Einwohnende mit dem Rad. Schon vor dem Berufsverkehr werden die Radwege geräumt und höher priorisiert als die Fahrbahnen.

Radnutzung geht im Winter zurück

Ich bin hier aber im deutsch-dänischen Grenzland. Hier bricht Chaos aus, sobald zehn Zentimeter Schnee fallen, und die Priorisierung liegt hier klar auf dem Autoverkehr. 

Daher ist es nicht überraschend, dass Studien einen Rückgang der Radnutzung um bis zu 90 Prozent im Winter zeigen. Madsen hat richtig erkannt, dass das Potenzial höher liegt. In Dänemarks Fahrradstadt Kopenhagen geht die Rad-Nutzung nur um 25 Prozent zurück, betont er.

Wir sprechen hier aber von großen Städten. Wer vom Land in die Stadt pendeln will, ist oftmals verloren. Keine oder schlechte Radwege, im Herbst voller Laub, im Winter nicht geräumt. Da kommt keine Freude auf, will man mit dem Rad zügig vorankommen. Die vom SSW geforderten Radschnellwege – auch grenzübergreifend – sind Zukunftsmusik. Ob sie jemals kommen werden? Ungewiss. 

Ich kann jede und jeden verstehen, der sich angesichts vereister und nur halbherzig frei geschobener Radwege nicht aufs Fahrrad wagt. Auch ich wollte mir in dieser Woche nicht die Knochen brechen und bin daher nur innerstädtisch geradelt. Das Risiko für einen Unfall war mir auf meiner Pendelstrecke zu groß. Meine Heimatstadt Flensburg bemüht sich in den vergangenen Jahren etwas mehr, und so gibt es bei der Winterräumung neben viel Schatten mittlerweile auch etwas mehr Licht. Und auch im gelobten Fahrradland Dänemark passiert außerhalb der Städte nicht viel – zumindest nicht in Nordschleswig. 

 

Während die Fahrbahn frei ist, liegt auf dem Radweg eine dicke Eisschicht.
Während die Fahrbahn frei ist, liegt auf dem Radweg eine dicke Eisschicht. Foto: Gerrit Hencke

Umdenken braucht mehr Verkehrssicherheit

Ein Umdenken wird nicht durch eine gut gemeinte Kampagne stattfinden, bei der in 31 Kommunen und fünf Kreisen Aufsteller und Flyer in Rat- und Kreishäusern auf das Winterradeln aufmerksam machen, sondern durch Maßnahmen, die die Verkehrssicherheit erhöhen – und zwar auch dann, wenn es nicht schneit. 

Menschen muss ermöglicht werden, das Verkehrsmittel zu nutzen, das sie nutzen wollen. Dafür müsste man im Herbst und Winter wiederum mehr Mitarbeitende bei der Straßenreinigung haben oder Grundstücksbesitzende mehr in die Pflicht bei der Räumung nehmen.

Alternativ kann man sich beim dänischen Radfahrerverband „Cyklistforbundet” inspirieren lassen, der mit der Aktion „Vi cykler til arbejde” (Wir radeln zur Arbeit) eine aktive Kampagnenform gewählt hat, um Menschen zu zeigen: Guck mal, Radfahren im Winter ist gar nicht schlimm. Denn das ist es nicht.

Ganz allgemein muss das Land mehr Geld für Radinfrastruktur in die Hand nehmen. Dann braucht es auch kein Heldentum, Radfahren wäre dann voll normal.   

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