Mobilität
Mit dem Rad zur Arbeit: Ein Tag als Pendler im Grenzland
Mit dem Rad zur Arbeit: Ein Tag als Pendler im Grenzland
Mit dem Rad zur Arbeit: Ein Tag als Pendler im Grenzland

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Fahrradland Dänemark? Eine Handvoll „Nordschleswiger“-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat den Slogan eine Woche lang auf die Probe gestellt − bei der dänischen Mit-dem-Rad-zur-Arbeit Winterwoche. Gerrit Hencke fasst seine Erlebnisse zusammen.
Der Wind weht an diesem Freitagmorgen mäßig aus Nordost. Das tut er nie. Oder sehr selten. So weiß ich aber schon vor Fahrtantritt aus Flensburg: Das wird mich auf dem Weg nach Apenrade (Aabenraa) etwas bremsen. Normalerweise ärgert mich der stete Wind aus West oder Südwest auf der Heimfahrt.
Seit Jahren pendele ich mit dem Rad zur Arbeit und füttere auf Twitter und Instagram den Hashtag #mdrza. Bis Dezember waren es sechs Kilometer. Die Strecke war mir irgendwann zu kurz, sodass ich einen Weg wählte, der zehn Kilometer lang war. Nun sind es seit Anfang Januar 30 − ein Weg, keine Pointe. Ich wollte es ja so.
Also raffe ich mich an diesem Freitag zum zweiten Mal in dieser Woche auf, um die Strecke zur Arbeit mit dem Fahrrad zurückzulegen. Das wäre vermutlich häufiger passiert, wenn meine Schicht in dieser Woche nicht um 8 Uhr beginnen würde. Meine Frau muss die Kinder also heute zur Schule und in die Kita bringen, dabei muss sie selbst um 7.30 auf der Arbeit sein. Schlechte Voraussetzungen also für die Vereinbarkeit von Fahrradpendeln und Familie.
Wir vergleichen nicht
Aber es geht nicht anders, nur einen Tag in dieser Motto-Woche mit dem Rad zur Arbeit? Nein. Ich muss außerdem am Kollegen C dranbleiben. Mein Radpendlergeist ist geweckt. Dabei war ich es, der ihm tags zuvor sagte, es gehe bei der Fahrradwoche nicht darum, sich zu vergleichen. Doch weil der Kollege zu diesem Zeitpunkt bereits den vierten Tag abgekämpft und in Vollmontur in den Flur des Medienhauses schlurfte, musste ich vergleichen. Die Wahl der Kleidung übrigens auch. Insgeheim frage ich mich, was C anzieht, wenn es mal richtig kalt in Dänemark ist. Aber es sei ihm verziehen, im Alter friert man schneller.
„Oah, Papa, musst du immer Radfahren?“
Zurück zum Start. Wie es so ist, ist es an diesem Freitag etwas hektischer und ich verlasse das Haus um 6.45 Uhr, mit den Worten meiner Tochter im Ohr: „Oah, Papa, musst du immer Radfahren?“ Immer. Klar.
Ich bin sonst jeden Tag gefahren und nun fahre ich etwa drei Tage die Woche mit dem Rad zur Arbeit. Aber klar. Immer. Ich drücke sie noch einmal und dann drücke ich aufs Gas.
Heute nehme ich das Gravelbike. Das ist eine Mischung aus Rennrad und Mountainbike. Mein S-Pedelec (das ist ein Fahrrad mit Tretunterstützung bis 45km/h) spart zwar Zeit, macht aber weniger Spaß. Mehr muss man nicht wissen.
Der Tag beginnt mit einer illegalen Einreise
Kurz vor der Grenze fällt mir auf, dass ich mein Portemonnaie mit Ausweis vergessen habe. Zum Umdrehen ist keine Zeit. Meine Route führt mich also über Kupfermühle und eine Nebenstraße an der streng bewachten Grenzanlage in Krusau (Kruså) vorbei. Hoffentlich werde ich in der Dunkelheit nicht von irgendwo ausharrenden Grenzbeamtinnen oder -beamten angehalten und dann festgenommen.
Es ist so Panne. Man fühlt sich wie ein Straftäter beim illegalen Grenzübertritt, dabei will man keine Drogen schmuggeln, sondern nur in ein Büro auf der anderen Seite der Grenze fahren. Schreibtisch, PC, Kaffeemaschine. Normaler geht es eigentlich nicht.
Angehalten werde ich nicht. Ich atme durch.
Mein Weg zur Arbeit begann ursprünglich am Flensburger Hafen. Das erste Stück führt entlang der Apenrader Straße auf einem noch recht neuen Radweg bergauf und dann bergab nach Wassersleben. Der Blick auf die Förde entschädigt für die ersten Meter der Plackerei. Bis zur Ampelkreuzung in Krusau kommen weitere Höhenmeter dazu. Danke, Moränenlandschaft.
Wenn ich nicht gerade ohne Ausweispapiere über einen dunklen Weg die Grenze überfahre, gleite ich auf dem Radweg an der Kontrollstelle vorbei. Ich bremse kurz ab, suche den Blickkontakt mit dem Grenzbeamten. Meist lässt man mich fahren, manchmal aber auch anhalten, um dann doch abzuwinken. Wer braucht schon den Schwung für die nächsten Höhenmeter ...
Die Qual der Wahl
Auf der kürzesten Strecke gibt es aus Krusau raus ein Stück zweispurigen Radweg, danach geht es ab Kitschelund (Kiskelund) entlang der Landstraße immer geradeaus in Richtung Apenrade. In Øster Gejl habe ich dann die Wahl: Weiter entlang der Landstraße oder links abbiegen und den vorwiegend entspannteren, aber wenige Kilometer längeren Weg über Klipleff (Kliplev) nehmen? Heute entscheide ich mich auf dem Hinweg für die kürzere Route. Ich habe ja keine Zeit.

Und während ich so stumpf auf dem vom Winter versifften Randstreifen gegen den Wind antrete, und die Autos mich mal dichter und mal mit überraschend großem Abstand überholen, wird es Ende Januar immerhin langsam hell. Das muntert auf, denn an der Strecke wohnen nicht so viele Menschen, dass eine Straßenbeleuchtung Sinn ergeben würde. Daher ist es die meiste Zeit ziemlich dunkel.
Man muss es so sehen: Auch Nordschleswig braucht unattraktive Ecken, sonst wäre es hier wirklich zu perfekt.
Gerrit Hencke
In dem Augenblick geht mir beim Pedalieren das Interview zum 60. Geburtstag unseres Chefredakteurs durch den Kopf. Der sagt, Nordschleswig sei der schönste Teil Dänemarks. Naja. Einige der schnurgeraden Abschnitte mit Acker links und rechts sind hier ehrlich gesagt ziemlich öde. Mir fallen da Radtouren durch die Dünenlandschaft bei Skagen ein, oder die Waldwege entlang der Seen im Søhøjlandet. Da ist es schön. Aber ich bin auch nicht zum Sightseeing hier an der Landstraße unterwegs. Man muss es so sehen: Auch Nordschleswig braucht unattraktive Ecken, sonst wäre es hier wirklich zu perfekt. Denn ich weiß auch, wo die schönen Orte im Grenzland zu finden sind.
Der Stimmungsaufheller ist auf der Strecke nach Apenrade das Herrenhaus in Seegaard (Søgård). Das ist hübsch anzusehen, wie es so am See liegt. Hier weiß ich, dass der größte Teil der Strecke geschafft ist.

Leider wird die Idylle nur von der Autobahn nach Sonderburg getrübt. Eine ziemlich einschneidende Lebensader. In den zwei Kreisverkehren muss man höllisch aufpassen, dass man nicht auf der Hälfte der Strecke das Zeitliche segnet. In der Dunkelheit Augenkontakt zu Autofahrern herzustellen, ist müßig. Ich komme aber heil durch.

Kurz hinter dem Hostrup See fängt dann der zweite Radwegabschnitt auf der Strecke an, der bis ins Zentrum von Apenrade führt.

Vorbei an Lundsberg und Störtum (Styrtom), brause ich bergab, nur um immer wieder von den vielen Ampeln gebremst zu werden. War Dänemark nicht das Land der Kreisverkehre? Warum hat Apenrade eigentlich keine? Es könnte so schön sein.

Um kurz vor acht begrüßt mich dann die Apenrader Förde, über der schon langsam die Sonne aufgeht. Ich kann das genießen, denn ich bin am Ziel. Anders als die anderen, die sich in der Rushhour im Auto von Ampel zu Ampel quälen. Heute stehe ich nicht in dieser Schlange und das freut mich. Ich habe Diesel gespart, die Umwelt geschont und darf heute mehr essen. Und da ich letzteres gerne tue, ist das eine feine Sache.

Zum Anfang ein Brett
Die Rücktour beginnt nach getaner Arbeit gleich mit noch mehr Arbeit. Denn ich wähle diesmal eine alternative Route für den Heimweg und die führt mich über die Styrtom Bygade und Stubbæk Stenbro auf weniger befahrenen Pfaden raus aus Apenrade (Aabenraa). Dafür erwartet mich ein steiler Anstieg, immerhin mit Aussicht am Ende.

Neben dem Tinglevvej entlang geht es zur Kirche Enstedt und dann über einen Wirtschaftsweg weiter in Richtung Hostrup See. Der Fahrbahnbelag ist gut in Schuss, und ich komme schnell voran.

Etwa zwei Kilometer Feldweg führen anschließend an einem Wäldchen und an Hirschen vorbei, die hier auf einer Farm wohnen und offensichtlich selten Radfahrer sehen. Manche gaffen auf den bärtigen Radler in seiner reflektierenden Weste, andere ergreifen die Flucht. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, würde ich mich sehen.

Überholabstand, ey!
Nach zweimaligem Abbiegen gleite ich auf dem Potterhusvej in Richtung Klipleff (Kliplev) und ich bin entzückt, dass auf dem exponierten Abschnitt mal kein Westwind weht. Dafür werde ich gleich mal dicht überholt. Ich hasse es. Was tut weh daran, bei freier Straße einen Bogen um einen Radfahrer zu machen? Ist es Trägheit, weil man im Auto so schön eingelullt wird? Oder ist es Ignoranz? Der Radfahrer fährt auf meiner Straße, dem zeige ich es.
Ich denke mir, dass ich mit dem Auto schon zu Hause wäre. Aber dann hätte ich weniger erlebt. Vögel, Natur, frische Luft, Nahtoderfahrung. Bei Mit-dem-Rad-zur-Arbeit kommt alles zusammen.
Gerrit Hencke

Nach einem bösen Fluch, den der Audifahrer nicht hören kann, habe ich die Autobahn erreicht und lasse mich hinter der Brücke nach Klipleff rein rollen. Zeit zum Verschnaufen. Hinter der Kirche fahre ich auf der Landstraße parallel zur Autobahn weiter dem Sonnenuntergang entgegen. Ich denke mir, dass ich mit dem Auto schon zu Hause wäre. Aber dann hätte ich weniger erlebt. Vögel, Natur, frische Luft, Nahtoderfahrung. Bei Mit-dem-Rad-zur-Arbeit kommt alles zusammen.

Dänisches Abbiegen und Grenzrouten-Flickwerk
An diesem Punkt muss ich dann doch feststellen, dass es sehr schön ist in diesem Nordschleswig. Der Abendhimmel, die frische Luft, diese Landschaft. Es könnte natürlich auch daran liegen, dass ich seit Klipleff kein Auto mehr gesehen habe. Kurz vor der Grenze quere ich eine der schönsten Alleen nördlich der Grenze. Diese schnurgerade Straße verbindet (Holebüll) Holbøl mit Geilau (Geljå) und Baistrup (Bajstrup).

In Øster Gejl angekommen, geht es für wenige hundert Meter wieder auf den Aabenraavej, bevor ich über Kitschelund (Kiskelund) auf den Radweg nach Krusau rolle. Dort endet der Zweirichtungsradweg abrupt an der Kreuzung vor einer Metallbake. Das dänische Abbiegen als Radfahrer, erst rechts und dann links über die Kreuzung, habe ich inzwischen verinnerlicht.

Am Grenzübergang ist die deutsch-dänische Freundschaft dann vorbei. Geht es von der Kreuzung in Krusau bergab noch auf feinstem Flüsterasphalt vorwärts, wartet ein abruptes Ende. Denn nach Deutschland führt der rechtsseitige Radweg nicht. Er hört im Niemandsland einfach auf. Entweder, ich wechsele hier komplett auf die andere Straßenseite, oder ich rumpele auf der ausgewiesenen Grenzroute über die Alte Zollstraße am Waldrand entlang. Schlagloch, Baumwurzel, Kopfsteinpflaster. Herrlich.
Am Grenzshop lädt jemand palettenweise Dosenbier in einen Kombi. Der verbleibende Federweg würde für die alte Kopfsteinpflasterstraße, auf der ich gerade unterwegs bin, sicher nicht mehr ausreichen.
Die letzten Meter führen mich direkt an der Flensburger Förde entlang.

Einen Anstieg hält meine Heimfahrt noch für mich bereit. In Wassersleben muss ich die Apenrader Chaussee hoch. Jetzt nur noch bergab bis nach Hause. Die Kinder warten schon. Am Ende des Tages stehen insgesamt 2 Stunden und 30 Minuten Pendelzeit auf der Uhr. Dabei habe ich 61 Kilometer zurückgelegt und 326 Höhenmeter bewältigt.
Ich mache drei Kreuze, dass ich wieder mal heile und pannenfrei angekommen bin. Wie jedes Mal, wenn ich im Fahrradland Dänemark und der Fahrradstadt Flensburg unterwegs gewesen bin.