Leserbeitrag

„Déjà-vu von der Seitenlinie aus “

Déjà-vu von der Seitenlinie aus

Déjà-vu von der Seitenlinie aus

Christoph Ullisch
Tondern/Tønder
Zuletzt aktualisiert um:
Rudern
Beim Nordschleswigschen Ruderverband (NRV) sorgt die Trennung von Rudertrainer Marc-Oliver Klages für Aufregung (Symbolbild). Foto: Vidar Nordli-Mathisen/Unsplash

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Christoph Ullisch fragt in seinem Leserbeitrag, warum innerhalb der deutschen MInderheit immer wieder Mitgliedern mit außerordentlichem Engagement vor den Kopf gestoßen wird. Er nimmt die aktuelle Kündigung seines Ruderlehrers zum Anlass, die Entlassungskultur zu hinterfragen.

Als ehemals Zugereister folge ich der Entwicklung im Grenzland und damit auch die der Minderheit in der deutschen und dänischen Tagespresse – sozusagen folge ich den Ereignissen von der Seitenlinie aus, ohne ein Mitglied der Minderheit zu sein.

Die zwei Artikel von Sara Eskildsen über die Entlassung des Rudertrainers Marc-Oliver Klages (MOK) haben da zu einem Déjà-vu-Erlebnis geführt. Spontan fielen mir zwei Familien in Tondern und mindestens eine Familie in Apenrade ein, bei denen der Artikel höchstwahrscheinlich ein ähnliches Déjà-vu-Erlebnis herbeiführt.

Mitarbeiter von Vereinen oder Institutionen der Minderheit, die Herzblut lassen und bei ihrer Arbeit im Einsatz für Andere in der Gemeinschaft ein hohes Maß an Engagement an den Tag legen und zum Teil auch erhebliches ehrenamtliches Engagement mitbringen, entledigt man sich kurzerhand. So auch bei uns in der Familie geschehen. Nach 25-jähriger ehrenamtlicher Arbeit als Vorsitzende in einem örtlichen Verein und mehr als 15-jähriger Anstellung in einem Verein wurde kurz vor der Pensionierung die Erhöhung der Halbtagsstelle auf eine Dreiviertelstelle erzwungen. Da war die Kreativität des hauptamtlich Angestellten und des Vorsitzenden des Vereines noch nicht erschöpft.

Es wurde in der Grauzone und auf der falschen Seite der Grauzone nach Kündigungsgründen gefischt. So wurde während einer Krankschreibung eine SMS an das Arbeitshandy verschickt und eine fehlende Antwort bemängelt, dieses mit Vorsatz, da bekannt war, dass das Handy am Wohnsitz keine Deckung hat. Für den finalen Kündigungsgrund hat das Duo dann das Datum in einem Dokument gefälscht und rückdatiert, sodass eine fristgerechte Beantwortung nicht möglich war.

Das Ganze wurde dann von einer Mehrheit im Vorstand abgesegnet. Da sind Parallelen zu MOK´s Kündigung. Dessen abgedruckter Wortlaut erinnert an eine Pressemitteilung eines Bundesligaklubs, der sich von seinem Trainer trennt, alternativ an eine Pressemitteilung einer Stiftung oder eines Konzerns, der sich von einem Mitarbeiter der Führungsebene trennt. Der Vergleich mit dem Bundesligaklub hinkt jedoch aus zwei Gründen. Erstens wird mit dem Trainer meistens vorher mehrmals gesprochen und Ziele festgelegt, die bei Misserfolg zur Kündigung führen. Zweitens ist das kein normales Angestelltenverhältnis, da dort bedeutend höhere Summen den Besitzer wechseln und häufig auch größere Beträge zur Auflösung gezahlt werden. 

Ob MOK aufgrund seiner internationalen Erfahrung ein Bundesligatrainergehalt erhält, liegt, außerhalb meines Wissens und Interessenbereichs, sei aber zu bezweifeln. Bei uns in der Familie waren das überschaubare Beträge, die am Monatsende die Konten wechselten und der kleine rechtmäßige Obolus, den der Arbeitgeber am Ende zahlen musste – für den musste gekämpft werden.

Sicherlich gibt es in Vereinen und Organisationen außerhalb der Minderheit sowohl südlich als auch nördlich der Grenze auch Auseinandersetzungen in Vorständen und mit Arbeitnehmern. Die Attitüde sich normaler Angestellten so zu entledigen, als sei das mal eben ein Trainer oder Fußballer, der mit einer Ablöse an einen anderen Klub wechselt oder Mitgliedern mit außerordentlichem Engagement vor den Kopf zu stoßen, ist bei Vereinen und Institutionen der deutschen Minderheit stärker verankert als in Vereinen und Institutionen außerhalb der Minderheit nördlich und südlich der Grenze.

Liebe Vereine und Institutionen der deutschen Minderheit, das macht Euch maximal unattraktiv und wird wahrscheinlich zum limitierenden Faktor der Minderheit. Bei dieser Vereinskultur reduziert man auch das Kollektiv derer im Verein, dessen primäre Motivation für Vereinsarbeit und ehrenamtliche Arbeit ist, sich für andere und die Gemeinschaft zu engagieren.

Eventuell sollte jede an Personalentscheidungen beteiligte Person in den Vereinen und Institutionen reflektieren, wie sie auf der Arbeitnehmerseite reagiert hätte, bevor Kündigungen mit Gründen aus der Grauzone oder jenseits der Grauzone beschlossen werden. Es klang auch an, dass der Trainer ersetzbar sei. Jeder ist ersetzbar – kann man so sagen. Diese Einstellung reicht aber nicht für die vordersten Ränge bei der Wahl zum „Arbeitgeber des Monats“.

Egal ob Rudertrainer, Trainer, Jugendklub-/Freizeitklubleiter oder Familienberaterin – jeder ist ersetzbar. Bei dieser Grundeinstellung gibt es zwei relevante Folgefragen: Ist der Ersatz gleichwertig? Wie lange dauert es, bis der Ersatz eventuell gleichwertig ist? Die Ereignisse der Minderheit betrachte ich von der Seitenlinie aus, beim Rudertraining sitze ich aber mit im Boot. Seit Anfang der Saison bin ich wieder aktives Mitglied im Klub im Westen, obwohl mein Wohnsitz nicht mehr im Grenzland ist. Die zwei Beweggründe für die Mitgliedschaft sind: Erstens angenehme Leute aus mehreren Generationen zu treffen, die ich von Kindesbeinen an kenne.

Zweitens Bewegung. Das Kollektiv, welches bei MOK’s Trainingstagen aufschlägt, lässt sich grob in drei Gruppen einteilen. Die mit Regatta-Ambitionen, wo auch schon mal das oberste Treppchen auf dem Podium drinnen ist. Die ambitionierten Breitensportler. Und dann noch die  – naja  – nennen wir es mal die Goofy-Fraktion. Letztere ein Sammelsurium aus Personen, die mit dem Rudern anfangen, teilweise auch im fortgeschritteneren Alter oder die es früher mal gemacht haben. Bei dem Einen oder Anderen der letzteren Fraktion ist der Versuch, eine Plauze zu züchten, mit Erfolg gekrönt. 

Bei der ersten Trainingseinheit wurden gleich von MOK die Schlüsselfragen zur Einordnung gestellt:

Regatta-Erfahrung: Eine, an der Ostküste, letzter Platz

Regatta-Ambition: Nein 

Früherer Ruderlehrer: Hamdorf. Ah richtig, den gabs ja auch noch, ist aber schon eine Weile her.

Aktuelle Ruderaktivität: Aluplattbodenboot mit fester Sitzbank 

Wie hier jeder ahnt, gehöre ich der letztgenannten Fraktion an. Egal welcher Fraktion man angehört, für jeden wird sich Zeit genommen, auch die Goofy-Fraktion erhält von MOK die Tipps zur Haltungskorrektur, um Handgelenk oder Rücken zu schonen oder zur Optimierung der Bootseinstellung.

Bei dem Training sind regelmäßig drei Generationen anwesend und für jede Generation findet MOK den adäquaten Umgangston. An dieser Stelle einen Dank an MOK. Die zweite Facette im Klub an der Westküste - neben dem Umgang mit angenehmen Leuten - wird in der nächsten Saison fehlen. Eventuell muss die Rückgabe der oben erwähnten Erfolgskrone dadurch etwas warten.

Ein Dank an die Vereine und Institutionen der Minderheit – aber nur, falls Ihr die Umgangskultur in den Griff bekommt. Falls nicht, seid auch Ihr ersetzbar! Es sind zunehmend dänische Institutionen, die die zweisprachige Kultur im Grenzland aufrechterhalten. So zum Beispiel das Blå Gymnasium in Tondern, welches unter dem Namen Wirtschaftsgymnasium Tondern einen deutschen Ausbildungszweig anbietet.

Zweisprachige Angebote in Vereinen und Institutionen ohne fragwürdige Umgangskultur sind für Leute - von der Seitenlinie aus betrachtet - bei Fortbestand der aktuellen Vereinskultur und dem Umgang mit Angestellten in der Minderheit deutlich attraktiver und würden eher genutzt werden, wenn man seinen Lebensmittelpunkt in die Heimatregion zurückverlagert.

Christoph Ullisch, Eckernförde

Mehr lesen