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Minderheitenrechte: Aus Staudammprotesten wurde ein Kampf für die Sami-Kultur

Minderheitenrechte: Aus Staudammprotesten wurde ein Kampf für die Sami-Kultur

Staudammproteste wurden zum Kampf für Sami-kultur

Kopenhagen/Alta
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Die Sami protestierten auch mit einem Hungerstreik gegen das Staudammprojekt. Ella Marie Hætta Isaksen als Ester Isaksen im Film „Ellas eatno –La elva leve“. Foto: Camera Films

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Diskriminierung der Sami-Minderheit war über 100 Jahre lang offizielle Politik des norwegischen Staates. Die Sprache und Kultur sollten verschwinden. Proteste gegen ein Staudammprojekt wurden vor 40 Jahren zum Wendepunkt im Kampf für die eigene Identität. Ein neuer Film schildert die Ereignisse. Ein Bericht belegt: Der Rassismus gegenüber dem indigenen Volk ging weiter.

Es ist ein Bild, das die wenigsten mit Norwegen verbinden: Durch die Polarnacht rollt im Januar 1981 eine Kolonne von Militärfahrzeuge mit 600 Polizeibeamtinnen und -beamten an Bord. Ziel des Einsatzes: Die eigene Bevölkerung, die sich mit zivilem Ungehorsam gegen den Bau eines großen Staudamms am Alta-Fluss wehrt.

In vorderster Reihe sind Saminnen und Samen bei den Protesten mit dabei. Weidegründe für ihre Rentiere würden durch das Projekt überschwemmt werden, von weiteren würde sie abgeschnitten werden. Der Widerstand gegen den Staudamm entwickelte sich für das indigene Volk zu einem Kampf für ihre Rechte, Kultur und den Erhalt der eigenen Sprache.

Der samisch-norwegische Spielfilm ‚Ellas eatno – La elva leve‘ (Der Fluss soll leben) ist an diese Ereignisse angelehnt. Er erzählt von der fiktiven jungen samischen Lehrerin Ester Isaksen, die nach der Ausbildung in ihre Heimat zurückkehrt. Sie ist ihrer eigenen Kultur entfremdet worden.

Rassismus im Norden Norwegens

Ein Faden verbindet sie jedoch mit ihrer Herkunft, nämlich ihre Oma. In einer der ersten Szenen im Film sind die beiden Beeren pflücken. Die Oma verfällt in den traditionellen samischen Gesang, den Joik. Ester selbst kann nicht joiken.

Der Film beschreibt die Diskriminierung, die Vorurteile und den offenen Rassismus, dem Ester im Wirtshaus, im Lehrerzimmer, ja sogar seitens des eigenen Stiefvaters ausgesetzt ist. Ein besonders „lustiger“ Kollege meint, man könne riechen, wenn die Lappen, wie sie abfällig genannt wurden, ins Dorf kommen.

Verbot der samischen Sprache

Ihre Mutter verweigert die eigene Kultur noch mehr als Ester. Erstere wurde als Kind in eine Internatsschule geschickt. Die Kinder wurden bestraft, wenn sie Samisch sprachen. Und was die Erwachsenen vormachten, ahmten die norwegischen Kinder in Form von Mobbing nach. Die Mutter zog daraus die Lehre: Nur nicht auffallen.

Ester Isaken (gespielt von Ella Marie Hætta Isaksen) an der Alta (Foto aus „Ellas eatno – La elva leve“) Foto: Camera Films

Dass dies nicht nur die Fiktion eines Spielfilmes und kein Einzelfall ist, beweist ein Bericht, der am 1. Juni, mehr als 40 Jahre nach den Ereignissen an der Alta, auf dem Tisch des norwegischen Parlaments, des Stortingets, gelandet ist. Ein Bericht, der wohl auch nicht so recht ins Bild passt, dass viele Norwegerinnen und Norweger vom eigenen Land haben.

Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission beschreibt die systematische Diskriminierung (Wie auch Jan Diedrichsen in seiner Kolumne Voices schreibt), die der norwegische Staat gegenüber den Sami sowie den Minderheiten der Kvenen/Norwegischfinnen und der Waldfinnen verübt hat.

Internatsleiterin als „Gefängniswächterin“

Die Kommission hat mit 760 betroffenen Personen gesprochen. Viele ihrer Erzählungen gleichen der von Esters Mutter. Georg Tornvik etwa wurde ebenfalls in eine Internatsschule gesteckt.

„Die Vorsteherin war in Wirklichkeit unsere Gefängniswächterin, um diesen Ausdruck zu verwenden. Sie bestimmte, was wir durften, und was wir nicht durften“, hat er der Kommission erzählt.

Und was sie vor allem nicht durften, war Samisch sprechen. Sie mussten sich von der Schule schleichen, um miteinander in ihrer Muttersprache reden zu können.

„Wenn sie hörten, dass wir im Schulhof Samisch redeten, wurden wir bestraft. Also wurde die Sprache nicht gesprochen. Sie wurde ein Tabu.“

Staatliche Unterdrückung der Minderheiten

Und genau das war auch beabsichtigt. Es war Teil einer gezielten Norwegisierungs-Politik (fornorskningspolitik), die der Staat von ungefähr 1850 bis 1963 betrieben hat.

„Für viele von uns, die an dem Bericht gearbeitet haben, waren der Umfang und die Schwere der Mittel, die eingesetzt wurden, nur schwer zu verdauen“, sagte der Vorsitzende der Wahrheits- und Versöhnungskommission, Dagfinn Høybråten, laut dem norwegischen Medium „VG“, als er den Bericht vorstellte.

Auch nach dem offiziellen Ende der Norwegisierungs-Politik ging die Diskriminierung weiter. Außerdem war die Assimilation der Sami und der beiden finnischen Minderheiten so weit vorangeschritten, dass die Sprache und Kultur bis heute aussterben. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Norwegiserung de facto bis jetzt weiter gehe.

„Wir müssen feststellen, dass die Norwegisierungs-Politik ernste Folgen für die Möglichkeit der Waldfinnen, der Kvenen/Norwegischfinnen und der Sami, als eigene ethnische Gruppe zu überleben, gehabt hat“, so Høybroten laut „VG“.

Proteste als Wendepunkt

Der Bericht nennt den Widerstand gegen den Alta-Staudamm in den Jahren 1989 bis 1991 als einen Wendepunkt. Im Film schließt sich die fiktive Ester, angespornt durch ihren Cousin, den Protesten an. Sie kramt ihre samische Kofte, die sie zuletzt bei ihrer Konfirmation getragen hat, aus dem Schrank und bittet die Oma, sie umzunähen.

Allmählich findet sie immer mehr Kraft und Selbstbewusstsein, indem sie die eigenen Wurzeln wiederentdeckt. Doch obwohl viele Saminnen und Samen gegen den Staudamm sind, zögern sie, sich den Protesten anzuschließen. Zu tief sitzt die schmerzhafte Lehre vom nicht Auffallen. Ester wird vorgeworfen, sie ziehe mit ihren Fernsehauftritten ungewünschte Aufmerksamkeit auf die Sami.

„So wie du dich benimmst, deshalb wird man das Samische so leid“, sagt sogar ihre eigene Mutter.

Steigende Unterstützung

Doch Ester lässt sich von ihrem Weg nicht abbringen und überzeugt allmählich immer mehr Menschen. In einer Schlüsselszene antwortet sie dem oben erwähnten rassistischem Kollegen auf Samisch. Eine Kollegin, die sich bisher nur mit Blicken als Samin zu erkennen gegeben hat, übersetzt Esters Worte.

Die fiktive Ester (links) findet im Zuge der Proteste zu ihrer eigenen Identität zurück. Auch im wirklichen Leben wurde der Widerstand ein Wendepunkt für die Sami in Norwegen (Foto aus „Ellas eatno – La elva leve“). Foto: Camera Films

Als die 600 Polizisten gegen Staudammgegnerinnen und -gegner eingesetzt werden, setzt sich eine Kette der Sami in die erste Reihe – vor die Umweltschützerinnen und Umweltschützer aus dem Süden des Landes. Und so entstehen Fernsehbilder, die die Polizei eigentlich vermeiden wollte: Saminnen und Samen in Koften werden weggeschleppt, die samischen Flagge zu Boden gerissen.

Wandel bei der Mehrheitsbevölkerung

Den Staudamm konnten die Protestierenden nicht verhindern. Doch stellvertretend für ihr Volk findet Ester in der letzten Szene des Filmes zu ihrer Identität – wie, soll hier selbstverständlich nicht verraten werden.

Auch in der Mehrheitsbevölkerung wandelt sich allmählich die Sicht auf die samische Bevölkerung. Im Film steht der Stiefvater stellvertretend für diese Entwicklung. Die Alta-Proteste waren wesentlich dafür, dass die samische Kultur, trotz aller Probleme, in Norwegen überlebt hat. 1989 bekamen die Saminnen und Samen mit dem Sameting ihr eigenes Parlament. Das Finnmarkgesetz von 2005 garantiert ihnen ein Mitspracherecht über die Nutzung von Land und Wasser.

Erneute Auseinandersetzung

2021 urteilt Norwegens Oberster Gerichtshof, dass ein Windpark auf den Weidegründen der Sami widerrechtlich aufgeführt worden ist. Dennoch stehen die Windkraftanlagen noch. „La fjella leve“, erschallt es jetzt aus Sápmi, dem Land der Sami.

Mit dem Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission wird Norwegen mit dunkleren Kapiteln der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Es zeichnet sich ab, dass ein immer größerer Teil der Bevölkerung auch bereit ist, diesen in die Augen zu sehen. Beim Bodø Fimfestival lief ‚Ellas eatno – La elva leve‘ in zehn Sälen gleichzeitig – alle zehn waren restlos ausverkauft.

Der Film ist ab dem 29. Juni unter anderem im Nicolai in Kolding, in Øst for Paradis in Aarhus und im Grand Teater in Kopenhagen zu sehen. Vom 17. bis 19. Juli ist er auch im Rødding Bio zu sehen. Er wurde am bereits 1. Juni beim Festival  „CPH Native“ gezeigt. 

Ole Giæver führte bei „Ellas eatno – La elva leve“ die Regie. Ella Marie Hætta Isaksen spielt die Hauptrolle als Ester Isaksen.

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