Sabotage

Menge an entweichendem Erdgas entspricht achtmonatiger CO2-Emission

Menge an entweichendem Erdgas entspricht achtmonatiger CO2-Emission

So viel Erdgas wie achtmonatige CO2-Emission

Ritzau/nlm
Bornholm
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Ein Gasleck bei Nord Stream 2 aus Sicht eines dänischen F-16-Abfangjägers Foto: Forsvaret/Ritzau Scanpix

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Wenn alles Erdgas aus den Lecks der beiden Nord-Stream-Pipelines ausgetreten ist, wird dies laut Berechnung von Greenpeace der Menge von Kohlendioxid entsprechen, die Dänemark in acht Monaten ausstößt. Die Suche nach den Ursachen für die Lecks an den Gasleitungen ist möglicherweise erst in zwei Wochen möglich.

Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.), dänische und ausländische Behörden sowie Vertreterinnen und Vertreter der EU sind sich einig: Die Lecks an den Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 südöstlich und nordöstlich der dänischen Ostseeinsel Bornholm sind kein Unglück, sondern durch eine bewusste Handlung entstanden. Seismologische Messungen haben bei den Lecks Erschütterungen festgestellt, weswegen die Behörden von Sprengungen und dementsprechend von Sabotage ausgehen.

„Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind”, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedstaaten. Gleichzeitig kündigte Borell an, dass jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur „mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet wird”.

Die Ukraine macht Russland verantwortlich

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält die Lecks an den Ostsee-Pipelines für einen „Sabotageakt”, weswegen die Vorfälle gründlich untersucht werden müssten, um „vollständige Klarheit” zu erhalten.

Die Ukraine betrachtet die Vorfälle indes als „von Russland geplante Terroranschläge” und als „Aggression gegenüber der EU”, wie der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mykhailo Podylak, berichtet. Doch auch von russischer Seite werden die Gaslecks als „äußerst beunruhigend bezeichnet”. Bis die Ergebnisse der Untersuchungen vorhanden sind, schließt Kremlsprecher Dmitri Peskow Sabotage ebenfalls nicht aus.

Suche nach der Ursache noch nicht möglich

Bis die Gründe für die Gaslecks feststehen, könnten jedoch bis zu zwei Wochen vergehen. Solange noch Gas aus den Lecks strömt, könne man sich den Gasleitungen noch nicht nähern, erklärt der Direktor der dänischen Energiebehörde, Kristoffer Böttzauw.

„Bis zum Ende dieser Woche wird vermutlich noch Gas herausströmen. Danach werden wir die Vorfälle vor Ort untersuchen”, so Böttzauw.

Aufnahmen zeigen, wie das Gas aktuell im Meer entweicht, wodurch Wellen in einem Durchmesser von etwas mehr als einem Kilometer vom Meeresgrund an die Wasseroberfläche springen. Foto: Kustbevakningen/Ritzau Scanpix

Auch Verteidigungsminister Morten Bødskov (Soz.) schließt sich der abwartenden Haltung Böttzauws an. „Der Druck in den Gasleitungen ist noch sehr groß, weswegen wir erst in einer Woche oder 14 Tagen Untersuchungen vornehmen können. Wir werden aber alles dafür tun, die Ursache zu finden”, erklärt Bødskov, laut dem Dänemark sich hinsichtlich der Aufklärung der Vorfälle auch auf die Unterstützung der Nato (Nordatlantische Vertragsorganisation) verlassen könne. Einen Grund zur Sorge um die eigene Sicherheit sieht Bødskov wegen der Gaslecks für dänische Bürgerinnen und Bürger aber nicht.

„Keine militärische Bedrohung Dänemarks”

„Die dänische Bevölkerung muss nicht besorgt sein. Dies ist keine militärische Bedrohung Dänemarks und auch nicht der Nato gegenüber. Klar ist aber, dass Europa vor großen Herausforderungen steht, und dass Putin eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Europa darstellt”, sagt der dänische Verteidigungsminister.

Verteidigungsminister Morten Bødskov (Soz.) Foto: Emil Helms/Ritzau Scanpix

Um die Versorgung mit Gas müsse man sich der dänischen Behörde zufolge durch die Lecks ebenfalls keine größeren Sorgen machen als zuvor, da man in Dänemark auch bisher nicht auf das Gas aus den umstrittenen Nord-Stream-1- und 2-Leitungen in der Ostsee angewiesen war.

„Greenpeace” sorgt sich um Treibhausgas-Belastung der Atmosphäre

Die Belastung der Atmosphäre durch die Gaslecks in der Ostsee ist laut der Umwelt- und Klimaschutz-Organisation „Greenpeace” jedoch enorm. Die Menge an Erdgas, das aus den Lecks austritt und noch in den kommenden Tagen süd- und nordöstlich von Bornholm an die Meeresoberfläche gerät, entspricht den CO2-Emissionen, die Dänemark in einem Zeitraum von acht Monaten ausstößt. Dies ergeben Berechnungen von „Greenpeace”, denen zufolge pro Gasleitung 155 Millionen Kubikmeter Gas aus den Lecks austreten. Die Pipelines sind nicht in Betrieb, aber mit Gas gefüllt. Das Erdgas besteht vorwiegend aus Methan, selbst ein Treibhausgas. Es wird in der Atmosphäre über Stufen und einen längeren Zeitraum unter anderem zu  CO2 umgesetzt – das bekannte Treibhausgas.

Für die lokale Verschmutzung und für Lebewesen der Unterwasserwelt besteht aber immerhin keine große Gefahr, da das Gas direkt an die Meeresoberfläche aufsteigt, wo es von der Atmosphäre aufgenommen wird.

Aktualisiert und präzisiert am Mittwoch, 17.15 Uhr

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