Kommentar

„Folkemøde: Demokratiefest oder Lobbyistenklüngel?“

Folkemøde: Demokratiefest oder Lobbyistenklüngel?

Folkemøde: Demokratiefest oder Lobbyistenklüngel?

Allinge/Kopenhagen
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Die dänischen Meisterschaften im Debattieren für Jugendliche sind jedes Jahr ein Publikumsrenner. Foto: Walter Turnowsky

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Das Folkemøde auf Bornholm hat bei so manchen den Ruf, so etwas wie die Jahresversammlung der politischen und wirtschaftlichen Elite zu sein. Andere sehen es als einen herausragenden Ausdruck der dänischen Demokratie. In einem Kommentar ordnet Walter Turnowsky die Veranstaltung ein.

Es fällt nicht schwer, in den sozialen Medien Kommentare über das „elitäre“ Folkemøde zu finden.

PR-Bureaus und multinationale Firmen seien das Herz der Veranstaltung, heißt es da auf Twitter. Von einschmeichelnder Lobby-Schleimerei der Ministerinnen und Minister, die nicht mit der Presse sprechen wollen, spricht ein anderer. Man solle es gleich auf Elite-Festival umtaufen, bei dem die Bevölkerung auf den hintersten Rängen sitzt.

Andere erleben das vollkommen anders. Der Tonderner Bürgermeister Jørgen Popp Petersen (SP) spricht bei seinem ersten Besuch von „Demokratie pur“. Die zweite Vorsitzende der Europäischen Jugend, Sofie Knauer, von einem „schönen Bild der dänischen Demokratie“. Botschafter Pascal Hector bedauert, das es so etwas in Deutschland nicht gibt.

Was ist es also, dieses Folkemøde?

Bevor ich vor zwei Jahren das erste Mal das Folkemøde besuchte, stand ich der Veranstaltung eher kritisch gegenüber: „Ich war (und bin) skeptisch, ob hier wirklich ein Dialog zwischen Politik und Bevölkerung stattfindet, oder ob es doch in erster Linie ein Gespräch der Politiker miteinander ist – ob die Blase Borgen lediglich für drei Tage nach Allinge umgezogen ist“, schrieb ich damals.

Nach meinem dritten Besuch ist meine Schlussfolgerung, dass diese Einschätzung zum Teil immer noch stimmt. Zumindest auf den großen Bühnen sprechen die Politikerinnen und Politiker, Meinungsbildner sowie Expertinnen und Experten, und das Volk hört zu. Ein paar Fragen aus dem Publikum machen noch keinen Dialog aus.

Dennoch belegen die Publikumszahlen, dass es Unsinn ist, von einem Elite-Festival zu sprechen. Bis zu 44.000 Menschen haben laut Polizei das Folkemøde pro Tag besucht, insgesamt waren es 114.000 Besuche. So viele Lobbyistinnen und Lobbyisten haben wir gar nicht.

Sucht man die kleineren der mehr als 200 Bühnen auf, erlebt man auch deutlich mehr Dialog zwischen dem Publikum und Diskussionsteilnehmenden. Unter den Veranstaltenden sind so ziemlich alle Verbände vertreten, die in der dänischen Freiwilligen-Szene unterwegs sind.

Die grüne Jugendbewegung hat den als Kritik gemeinten Preis „Greenwasher des Jahres“ ausgeteilt. Foto: Walter Turnowsky

Aber es sind eben auch PR-Firmen, Lobbyistinnen und Lobbyisten, sowie beispielsweise die Beratungsfirma des ehemaligen Nato-Generalsekretärs und Staatsministers Anders Fogh Rasmussen, unter den Veranstaltenden. Doch kann man sich ja aussuchen, wo man hingeht. Die Kunst ist nicht, eine interessante Veranstaltung zu finden, sondern sich zwischen den zwei oder drei zu entscheiden, die parallel stattfinden.

Verstärkt, und dies gilt nicht nur für die kleinen Bühnen, sind auch sogenannte normale Menschen in den Diskussionsrunden zu finden. Sie tragen mit ihren konkreten Erfahrungen aus einem gelebten Leben zur Bereicherung der Debatten bei. Neue Initiativen bedeuten, dass mehr junge Menschen auf den Podien zu finden sind.

Die Organisation „Sex og Samfund“ veranstalte eine Diskussion über Einverständnis (samtykke) im Nachtleben und auf Festivals. Foto: Walter Turnowsky

Und am Abend an der Bar kann nicht nur der deutsche Botschafter, sondern auch alle anderen locker mit Außenminister Lars Løkke Rasmussen plaudern. Diese direkte und formlose Begegnung mit Spitzenpolitikerinnen und -politikern ist eben beim Folkemøde möglich. Einige von ihnen meistern das besser als andere, aber auch daraus kann man ja seine Schlüsse ziehen.

So ist es eben beides zugleich: gelebte Demokratie und Netzwerktreffen der politischen und wirtschaftlichen Elite. Für mich überwiegt allmählich ersteres. Der deutsche Botschafter ist nicht der einzige Gast aus dem Ausland, der uns um die Veranstaltung beneidet.

Wer sich selbst davon überzeugen möchte, sollte rechtzeitig und in etwas Abstand Allinge buchen. Dann bekommt man auch das Ferienhaus zu einem normalen Preis. Und die Fahrt mit Bus und Fähre nach Bornholm ist übrigens wesentlich billiger als der erste Teil der Fahrt mit dem Zug von Nordschleswig nach Kopenhagen.  

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