Filmkritik

Geniales Grenzland-Kino

Geniales Grenzland-Kino

Geniales Grenzland-Kino

Nordschleswig/Tondern
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Die Leiche des Landrats hängt über dem Wildschweinzaun. Foto: BDN

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Unbekannte Drehbuchautoren, Laiendarsteller, fünf Sprachen, von denen man nicht alle versteht, und ein Krug als Drehort in einem grau gekleideten Marschenland. Das hört sich nicht gerade wie ein Blockbuster an, doch Chefredakteur Gwyn Nissen ist vom Film „Der Krug an der Wiedau“ überzeugt.

Es spricht eigentlich eher wenig für den Film „Der Krug in der Wiedau“: Ein Haufen Amateure macht einen Film in Spielfilmlänge, hat dafür einen minimalen Haushalt von weniger als 500.000 Kronen, baut den Film auf ein zehn Jahre altes Hörspiel auf und hat (wegen des Corona-Lockdowns) nur 14 Tage, um die Aufnahmen in den Kasten zu bekommen.

Trotz dieser Bedingungen – oder vielleicht gerade deswegen – ist „Der Krug an der Wiedau“ mehr als gelungen. Es ist einfach ein Stück geniales Grenzland-Kino. Am Dienstag fand die deutsche Premiere in Niebüll (Nibøl) statt, und Mittwoch wurde der Film erstmals in Tondern (Tønder) ausgestrahlt.

Tolle Typen im Film: Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben jeweils ihre eigene Sprache genutzt. Foto: BDN

Verstehen und lieben

Man muss nicht Grenzland-Bewohner sein, um den Film zu verstehen – und zu lieben –, aber es hilft. Es sind nämlich so viele kleine Botschaften in der Kriminalkomödie versteckt, bei denen man sich und das besondere Grenzlandleben wiedererkennt. Aber auch wer nicht in Rodenäs oder Ruttebüll aufgewachsen ist, wird dem Film viel Grenzland-Kultur und -Geschichte entnehmen können. 

Gar nicht versteckt, sondern Zentrum der Handlung ist der viel diskutierte Wildschweinzaun entlang der deutsch-dänischen Grenze. Wirt Loorns wiederholt immer wieder: „Es gibt hier keine Wildschweine“ (= also brauchen wir hier keinen Zaun). Haben die Dänen also doch den Zaun gebaut, um Flüchtlinge rauszuhalten? So hat der Film auch seine deutlichen politischen Botschaften.

Und wen ruft man überhaupt an, wenn eine Leiche über dem Wildschweinzaun hängt – die dänische oder die deutsche Polizei?

Der Film lebt von seiner Authentizität. Foto: BDN

Authentischer Film

Die Geschichte ist nicht große Kunst und kann mit internationalen Krimi-Größen (natürlich) nicht mithalten. Aber sie erinnert immerhin an einen typisch deutschen Landkrimi (der manchmal sogar dünnere Geschichten erzählt). Er hätte auch an einem Freitagabend im Dritten gezeigt werden können. Dazu kommt noch das Slapstick-Element aus englischen Kult-Krimis, das Jonglieren der Sprachen und schließlich auch einige gezielte Überraschungsmomente (darunter vor allem ein geniales geschichtliches Gedankenspiel).

Das trägt insgesamt dazu bei, dass die Geschichte über die gesamten eineinhalb Stunden gute Unterhaltung ist.

Der Film ist aber vor allem authentisch – zwar nicht die Handlung, aber alles drum herum: die Drehorte, die Natur, die Dialekte und die Darsteller. Man befindet sich mit dem Film in guter und gemütlicher Gesellschaft – irgendwie sogar unter Freunden, weil unter den Laiendarstellern im Krug viele Bekannte sind.

 

Die junge Stella Sina zeigt eine ganz starke Leistung als Hippie-Kopenhagenerin im Film. Foto: BDN

Überzeugende Amateure

Ganz stark treten auch die junge Stella Sina (Quars/Kværs) und Routinier Dirk Andresen (Tondern/Tønder) auf. Sie überzeugt als Hippie-Kopenhagenerin auf dem Lande, als hätte sie nie etwas anderes gemacht als geschauspielert (was sie schon am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig oft gemacht hat), und er spielt seine ganze Erfahrung aus von den Bühnen Tonderns: Dirk Andresen liefert eine ganz starke Leistung ab und ist einer der Höhepunkte im Film. 

Die anderen Darsteller müsste man auch noch erwähnen, denn als Team und Typen kommen sie einfach gut rüber, wenn sie ihren Grenzland-Humor trocken auf den Punkt bringen.

Überzeugende Filmpartner: Profi Mathias Harrebye-Brandt und Laien-Darsteller Dirk Andresen. Foto: BDN

Profi unter Laien

Man sieht und hört natürlich schon den Unterschied vom professionellen Schauspieler Mathias Harrebye-Brandt, der in überzeugender Weise den LKA-Kommissar spielt, zu den anderen Darstellern.

Aber wir reden hier auch nicht von Laienspielern: Die Amateur-Schauspielerinnen und -Schauspieler haben wirklich etwas drauf. Helmuth Petersen aus Sonderburg (Sønderborg/Synneborre) spielt sich als Pastor fast selbst – oder zumindest so, wie ihn viele aus nordschleswigschen Theaterstücken und Kabarett über die vergangenen Jahrzehnte kennen.

Auch im Haus Nordschleswig in Apenrade wurde gedreht: Im Film ist dort das Landeskriminalamt. Foto: BDN

Tolle Kameraführung

Was den „Krug an der Wiedau“ auch noch sehenswert macht, sind die Kameraeinstellungen. Darsteller und Natur werden bei den Dreharbeiten professionell eingefangen – und das bei einem nicht vorstellbaren Arbeitsdruck für das Team. Weil sich der Corona-Lockdown aufdrängte, ist von 7 Uhr morgens bis nachts um 2 am Set gearbeitet worden. Dem Endprodukt ist das nicht anzusehen.

Die Aufnahmen, die Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler, die schräge Geschichte und die Authentizität machen den Film aus. „Der Krug an der Wiedau“ hat das Material, im Grenzland eine Kult-Geschichte zu werden. Der Film erinnert einen von der Stimmung her auch ein wenig an Frelle Petersens Film „Onkel“, der auch an der Westküste mit Amateuren gedreht wurde.

Daher auch die Empfehlung: unbedingt sehen.

Auch der kommende Bürgermeister von Tondern, Jørgen Popp Petersen von der Schleswigschen Partei, hat eine Rolle im Film bekommen. Foto: BDN

Film und Förderung

Die Projektpartner von „Der Krug an der Wiedau“ sind „Et Nordfriisk Teooter e.V.“ und der Bund Deutscher Nordschleswiger.

Das Projekt wird gefördert mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Darüber hinaus wird das Projekt von der Kommune Tondern, der Kulturstiftung Nordfriesland und der Stiftung für die Friesische Volksgruppe finanziert sowie von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

Der Film wird im neuen Jahr an verschiedenen Orten im Grenzland gezeigt – diese stehen allerdings noch nicht fest.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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