Ukraine-Krieg

Lkw-Fahrer mit russischen Kennzeichen haben Angst – in der Szene gibt es Gerüchte

Lkw-Fahrer mit russischen Kennzeichen haben Angst

Lkw-Fahrer mit russischen Kennzeichen haben Angst

SHZ
Kiel
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Lkw-Fahrer mit russischen Kennzeichen sollen seit Kriegsbeginn von ukrainischen Fahrern angegriffen worden sein. Die meisten Fahrer wollen nicht mit der Presse sprechen. Foto: Inga Gercke/shz.de

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Alexander kündigt seinen Job als Lkw-Fahrer. Durch das russische Kennzeichen fühle er sich nicht mehr sicher und fürchtet Angriffe von ukrainischen Fahrern – dazu macht ein Gerücht in der Trucker-Szene die Runde.

Alexander tritt in die Lücke zwischen zwei parkenden Lkw am Kieler Ostuferhafen. Die Sonne, die an diesem Nachmittag scheint, schafft es nicht zwischen die Trucks, die fast Plane an Plane nebeneinander stehen. Als er die Beifahrertür aufschließt und sich an einer Halterung die drei Stufen zur Fahrerkabine hochzieht, murmelt er etwas auf Russisch. Dann kramt er nach etwas, dreht sich um und hält eine große Eisenstange in der Hand. „Zur Verteidigung. Die nehme ich auch mit ins Bett“, sagt der 42-Jährige. Er ist schlank, vielleicht 1,70 Meter groß. „Was soll ich sonst machen? Wie soll ich mich sonst schützen?“, fragt er und zieht dabei die Schultern hoch. Dann verstaut er sie wieder und schließt die Fahrertür.

Sorge vor Angriffen von ukrainischen Fahrern

Die Eisenstange ist eine Verlängerung für einen Radmutternschlüssel. Eigentlich sicher unter der Motorhaube verstaut, nutzt Alexander ihn jetzt für seine Sicherheit. Zu groß sei seine Sorge, von ukrainischen Lkw-Fahrern angegriffen zu werden. Denn genau das sei schon vorgekommen, erzählt er, während er sich wieder vor seinen Truck in die Sonne stellt.

Misstrauen in die Medien

Einige Meter entfernt stehen fünf Männer zusammen. Es sind ebenfalls Lkw-Fahrer mit russischen Kennzeichen – so wie Alexander. Sie trinken Kaffee, rauchen, unterhalten sich. Ab und an schauen sie rüber. Nur mit der Zeitung wollen sie nicht reden. Sie finden, dass auch die Medien in Deutschland einseitig über den Krieg in der Ukraine berichten, sagt Alexander. Auch er denkt so und spricht trotzdem mit uns. Später wird klar, warum er das tut. Die Bitte nach einem Foto von ihm verneint er aber.

Seit 20 Jahren fahre er nun schon mit dem Lkw quer durch Europa, über Litauen und Belarus nach Russland – immer hin und her. Zwischen Ukrainern und Russen habe es auf seiner Route nie Probleme gegeben. „Wir haben uns immer gut verstanden.“ Sein russisches Kennzeichen sei nie ein Problem gewesen. „Nun schon“, sagt er.

Bedrohung aus dem Kleinbus

Als vor einigen Tagen ein Kleintransporter mit polnischen Kennzeichen auf einem Parkplatz an ihm vorbeifuhr, sollen die Insassen erst auf sein Kennzeichen und dann auf ihn gezeigt haben. Alexander ahmt ein Maschinengewehr und ein Schussgeräusch nach. „So haben die dann gemacht.“ Ob es wirklich Polen in dem Fahrzeug waren, wisse er nicht.

Nicht nur durch Gespräche mit Kollegen und über die sozialen Medien habe er von Anfeindungen und Angriffen auf russische Fahrer gehört, auch sein Arbeitgeber warnte vor möglichen Attacken. „Sie sagen, Fahrer sollten nachts besser ihre Kennzeichen abschrauben und, wenn es irgendwie möglich ist, in Kolonnen fahren“, sagt er. Seit Kriegsbeginn gebe es eigens Chat-Gruppen, damit sich die Fahrer organisieren können. Auch Alexander habe diese schon genutzt. Übersetzt heißt eine „Wir fahren zusammen.“ Doch nun nutzt er den Chat nicht mehr, denn vor zwei Tagen hat er seinen Job als Lkw-Fahrer gekündigt.

Nur kostenlose Rastplätze – Alexander kündigt Job

„Weil die Firma nicht mehr für meine Sicherheit garantieren kann. Die pfeifen auf ihre Mitarbeiter“, sagt er. Sein Arbeitgeber zahle ihm keinen Aufenthalt auf einem Autohof. Er solle auf kostenlosen Rastplätzen auf neue Aufträge warten. „Das mache ich jetzt nicht mehr. Da bin ich gar nicht geschützt.“ Denn im Gegensatz zu kostenpflichtigen Autohöfen gibt es auf den wenigsten Rastplätzen eine Videoüberwachung, die ihn wenigsten etwas schütze, sagt er.

Gerücht in der Trucker-Szene macht ihm Sorgen

In der Trucker-Szene machen Gerüchte die Runde, dass ukrainische Flüchtlinge bei ihrer Ausreise auch Waffen mitnehmen. Und obwohl es Männern zwischen 18 und 60 Jahren untersagt ist, die Ukraine zu verlassen, kämen sie trotzdem, so Alexander. Auch darüber mache er sich Sorgen. „In Moldawien kann man jeden mit Geld bestechen.”

Der Hauptsitz seines Arbeitgebers ist in Litauen, hat aber Tochtergesellschaften in Russland und Europa. Deshalb auch sein russisches Kennzeichen. Seine Geld- und Tankkarten kann er durch den Hauptsitz noch nutzen. Gesperrt sei nichts. Aber das will er gar nicht mehr. In ein paar Stunden nimmt Alexander die Fähre nach Klaipėda. Der gebürtige Weißrusse will nach Hause, einem kleinen Ort im Südwesten von Belarus. Seit drei Monaten war er nicht mehr dort. „Wenigstens etwas Gutes”, sagt er.

Seine Sachen habe er bereits gepackt. Den Lkw lässt er am Kieler Ostuferhafen stehen. Er kann sich vorstellen, dass das in den kommenden Wochen noch mehr Lkw-Fahrer mit russischen Kennzeichen machen. Die, die noch am Ostuferhafen stehen, wollten erst einmal abwarten und dann schauen, sagt Alexander. Er wird sich in Belarus einen neuen Job suchen. Was, das weiß er noch nicht. Aber in Europa will er auf keinen Fall bleiben. „Das ist mir zu gefährlich”, sagt er und blinzelt gegen die Sonne. „Keiner hat irgendwo das Recht, jemanden zu bedrohen oder umzubringen.”

Alexander spricht so deutlich, weil er ein Ticket nach Hause in der Tasche hat und nicht mehr Angst um seinen Job haben muss, denn den hat er lieber gekündigt, als weiter ängstlich durch Europa zu fahren.

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