Interview

Flensburgs Oberbürgermeister: Wir müssen die Grenzregion gemeinsam denken

Flensburgs Oberbürgermeister: Wir müssen die Grenzregion gemeinsam denken

Fabian Geyer: Wir müssen die Grenzregion gemeinsam denken

Apenrade/Flensburg
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Fabian Geyer, Oberbürgermeister von Flensburg
Fabian Geyer ist neuer Oberbürgermeister von Flensburg. Foto: Karin Riggelsen

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Flensburgs neuer Oberbürgermeister Fabian Geyer ist seit etwas mehr als 100 Tagen im Amt. Im Interview mit dem „Nordschleswiger“ spricht er über den grenzüberschreitenden ÖPNV, die Schicksalsgemeinschaft im Grenzland und darüber, warum die deutsch-dänische Freundschaft nicht in immer neuen Gesprächsformaten besiegelt werden muss.

Fabian Geyer möchte viele Dinge in Flensburg und der Region anders angehen als seine Vorgängerin im Rathaus, Simone Lange. Im Interview mit dem „Nordschleswiger“ kritisiert er den Ist-Zustand des grenzüberschreitenden ÖPNV, befürwortet einen Fernbahnhof in Weiche und hofft auf eine größere Zusammenarbeit im Grenzland, das er als Schicksalsgemeinschaft bezeichnet. Außerdem spricht er über die Verkehrswende in der Flensburger Innenstadt und darüber, warum der Hafen in Apenrade keine Lösung für die Hafen-Ost-Problematik sein kann. 

Es sind heute etwas über 100 Tage seit deiner Amtseinführung, aber wenn du eine 100-Tage-Bilanz ziehen würdest, wie ist es bisher gelaufen, und was waren die ersten positiven und vielleicht auch negativen Erlebnisse im Amt? 

„Wichtig war für mich erst mal das Ankommen in der Verwaltung. In der Stadt arbeiten 1.200 Beschäftigte im inneren Bereich und rund 1.800, wenn man das TBZ dazuzählt. Da habe ich mir zu Beginn einen Plan vorgenommen, alle Abteilungen und alle Beschäftigten persönlich kennenzulernen. Das war sehr ehrgeizig, aber man kommt vor Ort in Gesprächen gut in die Themen rein, und ich kann mir ein Bild vor Ort machen und Sachen dann auch anders bewerten. Das hat viel Zeit gebunden, die war gut investiert. Es ist mir deutlich geworden, dass viel Bedarf besteht, Dinge zu verändern. Die Vorschläge kommen in der Regel aus der Verwaltung selbst. Wir haben in den ersten 100 Tagen damit begonnen, dass wir Mängel, Bedarfe und Verbesserungspotenziale gesammelt haben. Ganz normale Vorgänge, die wir jetzt sehr intensiv angehen. Die Arbeitsintensität ist enorm hoch, das ist aber auch das, was ich erwarte, dass wir möglichst rasch in die Umsetzung kommen.“ 

Welche Themen bist du zunächst angegangen?

„Da gibt es natürlich viele Themen, die ich aus der Vorgängerzeit geerbt habe. Das ist bei uns das ganz aktuelle Thema Hafen-Ost, das nächste Thema ist die Krankenhausplanung. Hier hatte ich jetzt die große Freude, unser Grundstück an die neu gegründete GmbH der beiden Krankenhausträger verkaufen zu dürfen. Diesen Prozess habe ich zeitlich anders gestaltet, als er von mir übernommen wurde. Wir haben das so gemacht, wie ich es in Absprache mit den Akteuren für richtig gehalten habe. Und so gehen wir die ganzen Aufgaben an. Dann haben wir natürlich viel zu besprechen im Bereich Innenstadt. Also Fragen der Innenstadtaktivierung, zum Leerstand, der dort eine Rolle spielt, zur Innenstadt der Zukunft. Da stehen alle Kommunen vor der Frage: Wird ein Einzelhandel noch nennenswert da sein? Wir haben viele dänische Kundinnen und Kunden, die andere Erwartungen haben als noch vor zehn Jahren. Und jetzt sortieren wir das Angebot gemeinsam mit den Innenstadtakteuren, aber auch mit Blick von außen in Richtung der Kundenorientierung. Da bin ich bereits dabei, vorhandene Strukturen zu hinterfragen, wo es nicht funktioniert oder nicht effektiv ist. Stellen wir das komplett infrage, haben wir Alternativen oder reformieren wir das Vorhandene.“ 

Flensburg ist eine attraktive Stadt für viele Menschen nördlich der Grenze. Die meisten kommen mit dem Auto. Viele Maßnahmen stoßen aber auf Kritik. Der Radweg an der Schiffbrücke, für den zahlreiche Parkplätze wegfallen, die Verkehrsberuhigungen in der Norderstraße und der Rathausstraße. Es wird immer wieder kritisiert, die Stadt gängele Autofahrende, stelle keine Alternativen für das Auto, nehme Parkplätze weg und vergraule unter anderem dänische Tagesgäste. Gleichzeitig schneidet die Radinfrastruktur im ADFC-Klimatest miserabel ab. Es gibt immer eine Radfahrer- vs. Auto-Debatte. Wie reagierst du auf solche Kritik, und wie kann die Stadt für alle Besucherinnen und Besucher attraktiv bleiben?

„Dieses Gegeneinander ist unfassbar angewachsen. Ich fahre sehr gerne Fahrrad, ich fahre Auto, ich bin Fußgänger, und ich fahre Bus. Also alle Verkehrsmittel, die mir zur Verfügung stehen, nutze ich. Ich bin also in jeder Situation anderen Verkehrsteilnehmern ausgesetzt. Es gibt in jeder Situation sicherlich etwas zu verbessern. Was nicht funktioniert, ist, dass man Autofahrer gegen Fahrradfahrer ausspielt – es sind ja dieselben Schnittmengen. Die meisten Autofahrer haben ein Fahrrad, und die meisten Fahrradfahrer werden ein Auto haben. Je nach Situation will man sicher von A nach B kommen. Das Wichtigste ist, dass wir dieses Gegeneinander aufgeben, sondern mehr Verständnis füreinander haben und verstehen, dass die Stadt eben für alle Flächen bieten muss, auf denen alle sicher ans Ziel kommen. Wir stehen vor der Herausforderung, allen Interessen dahingehend gerecht zu werden, dass man sich in Flensburg gut bewegen kann.“ 

Die Stadt Flensburg strebt mit dem Masterplan Mobilität 2030, der meines Wissens überarbeitet werden soll, aber ja eine Verkehrswende an ...

„Das Mobilitätskonzept ist vor meiner Zeit beschlossen worden, ebenso wie die Poller in der Norderstraße. Also alles, was jetzt im Grunde gerade umgesetzt wird. Auch die Schiffbrücke, ein Beschluss aus dem Dezember, ist eine Planung, auf die ich keinen Einfluss gehabt habe. In meinem Amt bin ich dazu verpflichtet, diese Beschlüsse umzusetzen, und das tue ich auch. Es ist einem demokratischen Prozess mit Mehrheiten gefolgt, und so setze ich das um. Das sind für mich keine Maßnahmen gegen den Autoverkehr, sondern es dient einem neuen Zeitgeist. Viel mehr Menschen steigen heute aufs Fahrrad um und benötigen ausreichenden Platz.“

Also geht es bis 2030 weiter?

„Das Mobilitätskonzept ist für mich gesetzt. Wir sind da aber zum Teil in Zeitverzug. Und da bin ich auch dabei, die einzelnen Themen mit viel Energie nach vorn zu bringen, damit auch klar ist, dass wir solche vereinbarten Konzepte ernst nehmen. Es ist ein klarer Auftrag für mich, dass wir da mehr Dampf reinbringen. Ich werde aus der Verwaltung heraus aber keine Politik machen. Ich werde nicht sagen: Wir werden jetzt fahrradfreundlich, oder Flensburg wird autofrei. Die Impulse kommen aus allen möglichen Bereichen, viel auch aus der Bevölkerung, und unsere Aufgabe ist es, das verwaltungsintern abzuarbeiten, vorzuarbeiten, Vorlagen zu erarbeiten, und natürlich nehmen wir am politischen Diskurs teil.“ 

Was heißt das konkret?

„Es ist wichtig, dass wir behutsam sein müssen mit Konzepten, ob sie tatsächlich dahinterliegend eine Ideologie verfolgen. Es gibt zum Beispiel Ideen für ein neues Parkraumwirtschaftskonzept, bei dem ich genau hinschaue, ob es zulasten der Parkmöglichkeiten erfolgt, mit denen wir natürlich auch nach außen hin attraktiv sein müssen. Es sind ja nicht nur dänische Kundinnen und Kunden bei uns. Das gesamte Kreisgebiet kommt zu uns, ob berufsmäßig oder zum Einkaufen. Man fährt eben gerne nach Flensburg, und dann müssen auch Möglichkeiten vorhanden sein, mit dem Auto kommen zu können.“ 

Wie passt eine Verkehrsberuhigung in der Norderstraße dazu?

„Wenn ich die Norderstraße sehe, haben wir auch sehr viel Sympathie der Anrainer und auch Menschen, die sich dort gerne aufhalten. Eine aufstrebende und schöne Straße, wo der Autoverkehr weniger Frequenz haben soll. Wir haben aber auch dort handfeste Interessen vom Einzelhandel und dänischen Kultureinrichtungen. Das verstehe ich alles, und wir wollen die Institutionen ja auch nicht verdrängen. Entscheidend ist, dass man gut miteinander kommuniziert und das Verständnis weckt, dass für eine Verkehrsberuhigung der Straße sehr viel spricht. So wie der Verkehr bisher dort durchgeführt worden ist, ist es nicht sehr attraktiv für eine Stadt. Andere Städte machen uns das vor und haben damit gute Erfahrungen gemacht. Mit der Pollerlösung kann ich erst mal gut leben, aber man muss natürlich weiter im Dialog bleiben. Aber übereinander schimpfen, davon halte ich überhaupt nichts.“ 

Das Flensburger Rathaus Foto: Michael Staudt/shz.de

Stichwort Hafen-Ost: Das Flensburger Tageblatt“ berichtete kürzlich, dass es vom Land noch gar keine Genehmigung für die Verlegung gibt. Früher wurde ja mal Apenrade als Alternative für die Verlegung ins Gespräch gebracht. Ist das eine Option?

„Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Vorschlag mit Apenrade kam aus der Politik und mit viel Sympathie meiner Vorgängerin. Dass man sich vorstellen könnte, gar keinen Wirtschaftshafen mehr in Flensburg zu haben, sondern mit Apenrade eine Kooperation eingeht. Ich habe das damals zur Kenntnis genommen und gedacht, wenn das denn für Apenrade tatsächlich ein Geschäftsfeld sein könnte und es für uns nicht bedeutet, dass wir den Bereich komplett aufgeben, dann hätte man diesen Gedanken sicher weiterverfolgen können. Doch wenn wir das Geschäftsfeld nach außen verlagern und damit Unternehmungen gefährden, die bei uns auf den Wirtschaftshafen angewiesen sind und noch nicht einmal Kostenvorteile haben, ist das für mich keine Option. Ich habe mich in Apenrade deshalb intensiver erkundigt, ob es überhaupt von Interesse ist für die Hafenwirtschaft vor Ort, und das ist es nicht. Hier würde man sofort die Kunden übernehmen, weil es genug Kapazitäten gibt, aber man will mit Flensburg keine Kooperation. Das kann ich auch nachvollziehen, und wir sollten aufhören, den Gedanken weiterzuführen. Wenn es für einen potenziellen Partner in Apenrade keinen Reiz hat, dann sollten wir nicht drängeln oder die Öffentlichkeit verunsichern. Das Problem müssen wir vor Ort lösen. Es wird nun nachjustiert, das heißt aber nicht, dass das ganze Vorhaben gestoppt wird.“ 

Lass uns über den grenzüberschreitenden ÖPNV sprechen. Die Buslinie 110 wird ja von der Stadt Flensburg für die kommenden zwei Jahre mitfinanziert. Ich arbeite aber zum Beispiel in Apenrade und lebe in Flensburg. Für mich gibt es keine Möglichkeit, den ÖPNV – weder Bus noch Bahn – zu nutzen. Wird da in Zukunft grenzübergreifend noch mehr passieren?

„Der Zustand des grenzüberschreitenden ÖPNV, wie er jetzt ist, ist nicht attraktiv genug. Das kann man auch ohne größere Kenntnis sehen. Es gibt keine gute Schienenverbindung, keinen guten ÖPNV jenseits und diesseits der Grenze. Da stimme ich auch völlig mit dem SSW überein. Deren Linie, diesen Zustand zu kritisieren, sehe ich 100 Prozent genauso. Es kann nicht sein, dass man sich nicht einig ist, wie dieser Verkehr zu gestalten ist. Es ist gut, dass wir mit der Buslinie 110 zunächst überhaupt ein Angebot haben. Wenn der Takt oder die Nutzung nicht ausreicht, dann wird das gänzlich infrage gestellt. Das ist aus Sicht von Sydtrafik auch verständlich. Das hat nichts mit einer schlechteren deutsch-dänischen Zusammenarbeit zu tun, sondern ist eine rein wirtschaftliche Betrachtung.“ 

Was passiert nach Auslaufen der Förderung durch die Stadt? Das Land soll in die Bresche springen, fordert etwa der SSW ...

„Wir werden zukünftig eine andere Haushaltsstrategie fahren und stellen alles auf den Prüfstand. Der grenzüberschreitende ÖPNV ist eine freiwillige Aufgabe und obliegt uns nicht gesetzlich. Wir haben jetzt aber zunächst mal für zwei Jahre einen Zuschuss für die Buslinie gesichert. Ich sehe im Moment nicht die Bereitschaft, darüber hinaus wesentlich mehr zu tun, weil wir schwindende Ressourcen haben. Auf der anderen Seite glaube ich wahrnehmen zu können, dass auf Landesseite gesehen wird, dass eine Einstellung einer solchen Linie den ÖPNV zwischen beiden Ländern ganz zum Erliegen bringt. Ich versuche, dort den Faden wieder aufzunehmen und die Frage zu stellen: Wie steht eigentlich das Land Schleswig-Holstein zu einem grenzüberschreitenden Verkehr – auch ohne Auto?“ 

Fabian Geyer
Fabian Geyer bekam eine Führung durch die Redaktion des „Nordschleswigers“. Foto: Karin Riggelsen

Im Gespräch ist ja auch immer wieder ein Fernbahnhof in Weiche. Wird in Zukunft wirklich mal ein ICE oder ein Nachtzug in Flensburg halten?

„Auf meiner Prioritätenliste ist der Schienenverkehr ganz oben. Aufgrund der neuen strategischen Ausrichtung auf dänischer Seite müssen wir den Haltepunkt in Flensburg-Weiche fest ins Visier nehmen. Ich wünsche mir, dass wir das nicht nur prüfen, sondern eine Lösung dafür finden. Dadurch sehe ich unseren bestehenden Bahnhof nicht in Gefahr, ganz im Gegenteil, sondern glaube, dass er für die regionalen Verkehre und sonstige Verbindungen attraktiv bleibt. Wir müssen den Haltepunkt Weiche gerade deshalb anbieten, damit Züge aus Dänemark in der Nähe von Flensburg halten. Sonst besteht die große Gefahr, dass wir ohne diesen Haltepunkt in Flensburg vom Fernverkehr abgehängt sind. Wir haben bereits jetzt ein Problem, dass diese Verkehre bei uns in der Regel nicht halten. Ich möchte hart dafür kämpfen, dass wir mit so einem Haltepunkt eine Taktung Flensburg-Hamburg in einer Stunde, mit einem Halt dazwischen – etwa in Neumünster – bekommen.“ 

Das wäre ein Traum ...

„Das ist nicht nur ein Traum. Das ist notwendig. Es ist kein akzeptabler Zustand, den wir derzeit haben. Sonst sind wir irgendwann abgehängt. Wenn ich mir die Metropolregion Hamburg ansehe, die sich aufmacht, über Lübeck hinweg eine andere Verkehrsroute nach Norden zu entwickeln, dann müssen wir handeln. Wir brauchen ein tragfähiges Schnellzugangebot – ähnlich wie zwischen Köln und Frankfurt –, zwischen Flensburg und Hamburg.  Das wäre für den Arbeitsmarkt und die gesamte Region von Vorteil. Der Arbeitnehmer kann heute aufgrund der Mobilität der Arbeit schnell in Hamburg sein oder von Hamburg aus mal in einer Stunde hier hoch pendeln, aussteigen, seinen Betrieb besuchen, wieder zurückfahren und dann drei Tage Homeoffice oder mobiles Arbeiten machen. Das würde die Arbeitsmarktchancen massiv erhöhen. Ich habe ein großes Interesse daran, das für diesen Wirtschaftsstandort zu tun und nicht nur, um Touristen anzulocken. Das ist dann ein Nebeneffekt. Die Linie zwischen Köln und Frankfurt ist zum Beispiel nur für Geschäftsleute gebaut worden. Mit Tempo 300 und einem Halt dazwischen. Das funktioniert, und das würde ich mir hier auch dringend wünschen, dass endlich mal ein Umdenken stattfindet. Im Wirtschaftsministerium habe ich das Anliegen bereits platziert.“ 

Fabian Geyer (links) mit Chefredakteur Gwyn Nissen.
Fabian Geyer (links) mit Chefredakteur Gwyn Nissen, Flensburgs Stadtsprecher Clemens Teschendorf und Journalist Gerrit Hencke. Foto: Karin Riggelsen

Am Fehmarnbelt ist der Tunnelbau im Gange, und es entsteht ein zweites Grenzland. Befürchtest du für Flensburg und das Grenzland, dass wir spätestens dann nicht ohnehin abgehängt werden?

„Gesamteuropäisch gesehen, ist das ein großartiges Projekt. Ähnlich wie der Tunnel zwischen England und Frankreich. Für die Logistik, auf die Skandinavien angewiesen ist, ist das eine hochattraktive Alternativroute. Deshalb begrüße ich das für Schleswig-Holstein. Das wird uns weit nach vorn bringen in der Attraktivität von Wirtschaftsansiedlungen. Was unsere Region angeht, haben wir sehr wohl Möglichkeiten. Wenn man mit skandinavischen Logistikern spricht, denken die ganz anders als wir mit unserer Behäbigkeit. Die ziehen von Norwegen eine Achse und sagen, wir können bis Italien in einem Weg runterfahren. Wir sind direkt an dieser Route. Und hier ist es wichtig, dass wir aufzeigen, was wir für Möglichkeiten bei den Verkehren zu Land und zu Wasser haben. Wir sind Ostsee-Anrainer, und Flensburg hat einen Wasserzugang, aber auch einen direkten Zugang an diese gedachte Route. Wir müssen schauen, was wir anbieten können, um für Wirtschaftsunternehmen in Richtung Süden und Norden an dieser Achse attraktive Verkehrsbedingungen und wirtschaftliche Betätigung zu ermöglichen.“ 

Du hast in der Vergangenheit häufiger von einer Schicksalsgemeinschaft hier oben gesprochen ...

„Ja. Das funktioniert alles nur, wenn wir nicht Flensburg betrachten oder Schleswig oder Pattburg, sondern alles gemeinsam denken. Ich habe oft genug betont, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind. Wenn wir Apenrade gratulieren, was sie im Bereich Wasserstofferzeugung Tolles tun, nehmen daran aber nicht teil, werden wir hinten dran gehängt. Wenn wir anderen applaudieren, wenn sie etwas Tolles tun – etwa an der Westküste, schauen aber wieder nur zu, werden wir abgehängt.“ 

Was muss dagegen getan werden?

„Was ich mir vorstelle, ist, dass wir mit unseren Umlandgemeinden und Kreisen, und dazu zähle ich auch unseren süddänischen Bereich, herausfinden, wo die Logistikzentren sind. Der Güterverkehr in Pattburg etwa ist hoch attraktiv. Der angesprochene Haltepunkt in Weiche für den Personenverkehr und ein neuer Takt Richtung Hamburg und Richtung Norden. Auch die Frage der Energieerzeugung und der Energieabnahme ist ein Thema. Da bin ich auch gerade massiv dran, mit unseren Umlandgemeinden zu schauen, wo wird eigentlich was in Zukunft erzeugt im Bereich der erneuerbaren Energien, und wie können wir mit unseren Stadtwerken partizipieren. Sowohl als Erzeuger als auch als Abnehmer, weil wir im Zuge der Dekarbonisierung künftig nicht mehr mit Kohle und Gas auskommen werden. Deswegen ist es wichtig, nicht nur zu schauen, wo neue Windparks entstehen, sondern jetzt schon zu überlegen, was wir als Region tatsächlich bündeln können. Wir konkurrieren jahrzehntelang um Gewerbeflächen, ärgern uns, wenn woanders Wohnbebauung entsteht und nicht bei uns; das muss sofort aufhören. Das gemeinsame Denken ist wichtig. Ich war erst kürzlich im Grenzdreieck in Apenrade, wo wir uns einen Schulterschluss gegeben und gesagt haben, was holen wir eigentlich aus diesen Kommunikationsmöglichkeiten, die wir haben, heraus. An handfesten Projekten und handfesten Maßnahmen, die wir gemeinsam umsetzen.“

Ein weiteres Thema sind die Grenzkontrollen. Die sollen in ein paar Tagen gelockert werden, aber irgendwie auch nicht, denn freie Fahrt an der Grenze soll es weiterhin nicht geben. Wie bewertest du die Situation aus Sicht der Stadt Flensburg?

„Zunächst freue ich mich, dass nach sieben Jahren neue Bewegung in das Thema kommt. Ich möchte mich natürlich nicht in die inneren Angelegenheiten unserer dänischen Nachbarn einmischen, aber als Flensburger Oberbürgermeister begrüße ich jede Entscheidung, die zu einem leichteren Austausch über die Grenze hinweg führt. Wir sind zu einer gemeinsamen Region zusammengewachsen, und je mehr wir dieses auch leben können, desto besser für die Region. Da geht es um Arbeitspendler auf beiden Seiten der Grenze, um Familien, aber auch um Menschen, die einfach die verschiedenen Angebote diesseits und jenseits der Grenze wahrnehmen. Je weniger Hindernisse dabei, umso besser für die Region. Dabei bin ich mir sicher, dass der grenzüberschreitenden Kriminalität auch ohne die Kontrollen durch die deutsche und dänische Polizei gemeinsam begegnet werden kann. Die gemeinsame Grenze ist nichts Trennendes, sondern etwas Verbindendes. Das zeigt doch auch das heutige Gespräch hier in Apenrade.“

Fabian Geyer
Fabian Geyer hat das Medienhaus in Apenrade besucht. Foto: Karin Riggelsen

Du bist als Oberbürgermeister auch Mitglied in der Region Sønderjylland-Schleswig. Gibt es da Projekte, die du konkret hervorheben kannst?

„Wir haben verschiedene Gesprächsforen. Wir haben den Interreg-Ausschuss und andere Runden, in denen wir uns regelmäßig austauschen. Ich vernehme zunehmend, dass auf dänischer Seite eine gewisse Ermüdung stattfindet. Dass gesagt wird, hier gibt es einen Gesprächskreis und da noch einen Gesprächskreis. Ich glaube, meine Aufgabe wird es sein zu überprüfen, welche Gesprächskreise, welche Formate gut sind, welche dringend noch mal einen Energieschub benötigen und welche eingestellt werden können. Das diskutiere ich gerade mit den dänischen Kolleginnen und Kollegen. Wir stellen alles auf den Prüfstand und gucken, was da bisher herausgekommen ist.“ 

Das ist ein spannender Punkt. Gerade erst hat sich die deutsch-dänische Verkehrskommission nach Corona wieder getroffen – und da gab es ordentlich Kritik, was haben die eigentlich hervorgebracht?

„Zu Recht. So denke ich auch. Ich habe meine Zeit nicht zu verschwenden und die Kolleginnen und Kollegen auch nicht. Wir sind sehr deutlich geworden. Wir legen alles offen und stellen alles infrage. Alle Formate werden in Hinblick auf die Frage betrachtet: Was haben wir eigentlich davon? Die deutsch-dänische Freundschaft müssen wir da nicht besiegeln, die besteht sowieso. Sondern wir haben einen Handlungsauftrag mit sichtbaren Ergebnissen in kürzester Zeit. Und da finde ich es wichtig, dass wir uns diese klare Vorgabe geben und immer wieder fragen, bleiben wir an diesem Ziel oder nicht. Ich kann nur mit Ergebnissen leben, nicht mit einer reinen Absichtserklärung.“ 

Deutsch-dänische Freundschaft ist ein gutes Stichwort. Inwiefern glaubst du, dass die Minderheiten und auch die Grenzregion durch Stefan Seidler profitieren, der als Mitglied der dänischen Minderheit im Bundestag sitzt.

„Mit Stefan Seidler bin ich im regelmäßigen Austausch. Wir verstehen uns sehr gut – inhaltlich. Und ich sage mal ganz schlicht, als Oberbürgermeister von Flensburg nutze ich ihn schlichtweg aus. Er ist unser verlängerter Arm aus der Region heraus Richtung Bundestag, und er ist unglaublich aktiv. Er hat von Anfang an Gas gegeben und dort richtig aufgemischt, hat viel auf sich aufmerksam gemacht und macht das sehr gut. Weil er eben in bestimmten Themen auch mal laut wird und wir davon beide voneinander profitieren. Ich finde gut, dass wir ihn haben. Ich habe auch zu Robert Habeck direkt einen guten Kommunikationspfad aufgebaut. Da bin ich ohne jeden parteipolitischen Vorbehalt.“ 

Als ehemaliger Landesumweltminister und Flensburger ist Robert Habeck ja auch mit der Region vertraut.  

„Das hilft sehr. Und ich eben auch, und daher brauchten wir auch keine lange Aufwärmzeit. Wir kennen uns viele Jahre und haben uns ein paar Male gesehen und haben einen sehr professionellen Umgang miteinander. Aber wichtig ist nicht nur, dass hier der Wirtschaftsminister kommt, sondern jemand, der Flensburg nützt. Und umgekehrt sieht er das genauso. Wenn man sich dann auch noch gut versteht, hilft das natürlich.“ 

Jetzt steht die Kommunalwahl an. Du hast im Vorfeld mehr Aufklärung versprochen, weil zuletzt die Wahlbeteiligung so gering war. Was hast du konkret vor, um mehr Menschen an die Wahlurne zu bekommen?

„Das ist ein wichtiger Ansatz, eine Kernaufgabe, die Menschen zu interessieren für unsere Arbeit. Das ist Teil dessen, was macht eigentlich Verwaltung, wofür ist sie eigentlich da. Und auch die Menschen darüber aufzuklären, dass die Kommunalpolitik Teil der kommunalen Selbstverwaltung ist und kein Kommunalparlament. Ich habe es jetzt versucht vor der Kommunalwahl. Leider war der Zeitfaktor dafür zu kurz. Ich habe nicht mehr die Möglichkeit gehabt, gemeinsam mit den Parteien einen Pfad zu finden, wie wir beispielsweise in den Schulen vor der Wahl aufklären. Ich hatte den Schulen angeboten, dass ich dort mit den Schülern über die wichtigen Fragen spreche: Was bedeutet es eigentlich, an der Kommunalpolitik teilzuhaben? Was wählt man da eigentlich? Nämlich seinen Tagesablauf, der im Grunde zu 90 Prozent von der Kommunalpolitik und der Verwaltung bestimmt wird. Ob der Bus pünktlich oder das Wasser beim Duschen warm ist. Vor der nächsten Kommunalwahl ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und mehr Offenheit zu zeigen. Hier wollen wir auch Bürgerbeteiligung in der ganzen Verwaltung mitdenken.“ 

Inwiefern hat die Kommunalwahl Einfluss auf laufende und künftige Projekte? Es könnte sich ja durchaus einiges verschieben.

„Wir sind natürlich gespannt auf das Ergebnis. Ich gebe überhaupt keine Prognose ab, aber ich glaube, wir haben auch einen bundespolitischen Einfluss. Den braucht man nicht wegzureden, aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte. Wir haben auch einen landespolitischen Einfluss. Es gibt gerade eine hohe Zufriedenheit mit der Landespolitik nach der jüngsten Umfrage. Das wird sich alles auswirken. Ich habe jetzt keine Wunschkonstellation, aber ich wünsche mir natürlich, dass die Parteien, mit denen man gut und pragmatisch umgehen kann, auch möglichst stark bleiben oder werden. Natürlich werden auch Projekte infrage gestellt oder eine andere Sichtweise bekommen. Wenn sich andere Mehrheiten bilden, kann es durchaus sein, dass auch Projekte, die schon auf den Weg gebracht wurden, wieder von der Agenda genommen werden.“ 

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