Geschichte

„Minderheit ist, wer will“

„Minderheit ist, wer will“

„Minderheit ist, wer will“

Wilfried Lagler
Mössingen
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Die Flaggen von Dänemark, Schleswig-Holstein und Deutschland – hier beim Besuch von Königin Margrethe II. in Südschleswig im August. Foto: Carsten Rehder/dpa

Vor 70 Jahren – am 26. September 1949 gab die schleswig-holsteinische Landesregierung die „Kieler Erklärung“ ab. Sie gilt als Meilenstein für die sechs Jahre später abgegebenen „Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärungen“ – die die Grundlage für das friedliche Nebeneinander der Volksgruppen im Grenzland Schleswig darstellen. Ein Rückblick.

Die im Februar/März 1920 auf Grund des Versailler Friedensvertrags durchgeführte Volksabstimmung in Nord- und Mittelschleswig führte zu einer Abtretung Nordschleswigs an Dänemark durch das Deutsche Reich und die Festlegung der noch heute geltenden deutsch-dänischen Staatsgrenze.

Folge dieser Grenzverschiebung war die Entstehung einer deutschen Minderheit in Dänemark und einer dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein.

Nachkriegs-Wahlerfolge für die Dänen in Schleswig-Holstein

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trat eine völlig neue Situation im südlichen Teil des Grenzlands Schleswig ein. Bei der ersten Kreistagswahl in Schleswig-Holstein im Oktober 1946 errangen die von der dänischen Minderheit aufgestellten Kandidaten sensationelle 207.518 Stimmen (34,1 % aller im Landesteil Schleswig abgegebenen Stimmen).

Die erste Landtagswahl von 1947 erbrachte für den Südschleswigschen Wählerverband, die neugegründete Partei der dänischen Minderheit, 99.500 Stimmen (9,3 %); er konnte damit  sechs Abgeordnete in den Kieler Landtag entsenden.

Sogar im ersten deutschen Bundestag war der SSW mit einem Abgeordneten (Hermann Clausen) vertreten. Die Mitgliederzahl der „Südschleswigschen Vereinigung“ schnellte von 2.728 im Mai 1945 auf 75.419 im Oktober 1948. Wie war es zu dieser Entwicklung gekommen?

Um diese unerwarteten und in jeder Hinsicht sensationellen Zahlen zu verstehen, ist ein Blick auf die wirtschaftliche und soziale Situation in Schleswig-Holstein in jener Zeit erforderlich.

Junge Demokratie: Konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages 1949. Foto: dpa

 

Flüchtlinge ließen Einwohnerzahl explodieren

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges und kurz danach strömten unübersehbare Mengen von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten und der Sowjetzone nach Schleswig-Holstein. Im Juni 1949 betrug die Einwohnerzahl 2,646 Millionen, davon waren fast die Hälfte (1,173 Mio.) Flüchtlinge und Vertriebene.

In einigen Gemeinden wie zum Beispiel Glücksburg gab es mehr Flüchtlinge als Einheimische. Wirtschaftlich und finanziell lag Schleswig-Holstein, nunmehr ein Teil der Britischen Besatzungszone, total danieder.

Es stellte sich die Frage, ob es als eigenständiges Land überhaupt existenzfähig sein würde. Darum entstanden in den ersten Nachkriegsjahren Pläne, einen größeren „Nordstaat“ aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen zu bilden.

Eine solche auch aus historischen Gründen umstrittene Maßnahme unterblieb jedoch, nachdem durch massive finanzielle Unterstützung der Bundesregierung, den allgemeinen Wirtschaftsaufschwung und eine Teilumsiedlung der Flüchtlinge in andere Bundesländer Schleswig-Holstein in den 1950er Jahren allmählich lebensfähig und nicht mehr nur als „Armenhaus“ der Bundesrepublik betrachtet wurde.

Schleswig-Holsteiner fühlten sich bedroht

Angesichts der hohen Flüchtlingsquote und der allgemeinen Misere nach dem Zusammenbruch Deutschlands sah die einheimische Bevölkerung in den Neuzugezogenen eine Bedrohung ihrer eigenen Existenz.

Dies galt besonders für die Angehörigen der dänischen Minderheit, die jetzt zwischen die Fronten von Einheimischen und Flüchtlingen gerieten. Einige extrem national gesinnte Vertreter der dänischen Volksgruppe waren sogar der Auffassung, dass nach dem Ende des totalitären Dritten Reiches der lange schlummernde „urschleswigsche Charakter“ der einheimischen Bevölkerung wieder zum Vorschein gekommen sei und nun alle sich zur Minderheit bzw. zu Dänemark bekennenden Menschen jetzt frei offenbaren könnten.

Da aus Dänemark, das die deutsche Besatzungszeit von 1940 bis 1945 weitgehend glimpflich überstanden hatte, erhebliche finanzielle und materielle Hilfeleistungen zur Unterstützung der Minderheiteneinrichtungen nach Südschleswig flossen, entstand auf deutschgesinnter Seite im Grenzland sofort der Verdacht, dass viele Menschen, die bislang keine Beziehung zur dänischen Minderheit gehabt hatten, sich wegen der materiellen Vorteile „über Nacht“ zu Minderheitenangehörigen verwandelt hatten und damit eine Art „nationalen Verrats“ begingen.

Der Begriff „Speckdänen“ greift um sich

Es entstand über mehrere Jahre hinweg eine mit heftigsten Emotionen geführte Auseinandersetzung um „echte“ und „unechte“ Minderheitenangehörige und vor allem um das sog. Neudänen- oder Speckdänentum.

Was dies für die damalige parteipolitische Entwicklung in Schleswig-Holstein bedeutete, sei am Beispiel der SPD gezeigt. Ein großer Teil ihrer Mitglieder in Flensburg sympathisierte traditionell mit der dänischen Minderheit, ja bestand sogar aus vielen, die sich als Teil der Minderheit verstanden.

Kurt Schumacher Foto: Wolff & Tritschler/Sueddeutsche Zeitung Photo/Ritzau Scanpix

Kurt Schumacher geht auf Distanz zu „Neudänen“

Nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Landes-SPD und dem Parteivorstand erklärte der erste Vorsitzende der Nachkriegs-SPD, Kurt Schumacher, auf einer Kundgebung in Husum am 7. Juli 1946 in rigoroser Weise die Auflösung und Neugründung der Flensburger SPD. Seine Rede auf dieser Kundgebung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

„... wir haben keinen Respekt vor den Speckdänen deutschen Geblüts. Lassen Sie sich nicht imponieren durch die Methoden der Agitation. Jawohl, die Leute haben Hunger, aber Deutschland ist nicht das einzige Land der Welt, in dem gehungert wird... Ich gönne jedem sein Stück Speck und bin deswegen nicht neidisch und fühle mich nicht in der Rolle des Sittenrichters, aber Speck und Volksbewusstsein sind Dinge, die niemals auf einen gemeinsamen Generalnenner gebracht werden können und die man voneinander trennen muss....  dass dieses Südschleswig ein Stück deutschen Landes ist, das wissen wir alle ... Die meisten der Leute, die heute von Deutschland weg wollen, sind diejenigen, die es sich auf unsere Kosten am besten haben gehen lassen und die jetzt, wo es ans große Bezahlen geht, sich drücken wollen. Aus der Frage, um die in Südschleswig gekämpft wird, wird trotz aller Schulmeisterei keine Volkstumsfrage.“

Hoffnungen auf Grenzrevision in der dänischen Minderheit

In Flensburg verblieb bis zu ihrer erneuten Spaltung und Teilwiedervereinigung mit der SPD im Jahre 1954 eine dänisch-orientierte „Sozialdemokratische Partei Flensburg“ (SPF), die bei der Kommunalwahl 1948  acht Sitze erhielt, die zusammen mit den 13 Sitzen des SSW sogar eine Mehrheit in der Flensburger Ratsversammlung ergaben.

Angesichts dieser neuen Situation im Grenzland hegten radikale Vertreter der dänischen Minderheit, aber auch nationalistische Kreise in Dänemark – vor allem während der britischen Besatzungszeit –  Hoffnungen auf eine Grenzrevision in südliche Richtung und lehnten es verständlicherweise ab, in dieser Situation eine von deutscher Seite vielfach geforderte „Loyalitätserklärung“ abzugeben.

Es kursierten die verschiedensten Ideen und Gerüchte, angefangen bei einer verwaltungsmäßigen Trennung des Landesteils Schleswig von Holstein und einer Art von Autonomie oder der Trennung Schleswigs und Holsteins durch eine unter internationaler Kontrolle stehenden Nord-Ostsee-Kanal-Zone bis hin zu einer Abtretung des gesamten Landesteils Schleswig an Dänemark.

Sowohl im Grenzland als auch in Dänemark wurden Unterschriftensammlungen durchgeführt, mit denen die dänische Regierung zu einer Intervention veranlasst werden sollte.

Kopenhagen: „Die Grenze liegt fest“

Allerdings hatte der dänische Ministerpräsident Vilhelm Buhl bereits am 9. Mai 1945 vor dem Parlament eine grundsätzliche Erklärung zur Staatsgrenze abgegeben, an der seither alle dänischen Regierungen festgehalten haben: „Die Regierung, die auf dem Boden des nationalen Selbstbestimmungsrechts steht, ist der Auffassung, dass die Grenze Dänemarks festliegt. Die beim Abschluss des Krieges total veränderten Verhältnisse bewirken, dass sowohl die Frage der Stellung der dänischen Minderheit südlich der Grenze als auch die Frage der Stellung der deutschen Minderheit in Dänemark einer Erwägung unterworfen werden müssen“.

Obwohl nicht ganz klar erschien, was mit dem Hinweis auf das nationale Selbstbestimmungsrecht konkret gemeint war, hieß die offizielle Leitlinie Kopenhagens also: Die Grenze liegt fest („Grænsen ligger fast“).

Der Nachfolger Buhls, Knud Kristensen, äußerte sich zur Situation der dänischen Minderheit zweideutiger, auch gab es zahlreiche Versuche von verschiedenen Seiten, die britische Regierung zu einer Grenzveränderung zu bewegen. Die britische Besatzungsmacht zeigte sich gegenüber der dänischen Minderheit anfangs großzügig und entgegenkommend.

Sie erließ einige vorläufige Bestimmungen über das Minderheitenschulwesen und genehmigte im Juni 1948 die Gründung des bis heute bestehenden „Südschleswigschen Wählerverbandes“ (SSW) als politische Partei, durch die der Minderheit eine direkte Mitwirkung an der Landespolitik ermöglicht wurde.

Briten zunehmend skeptisch gegenüber den Dänen

Das starke Anwachsen der Minderheit, das sogenannte Neudänentum, und ihre radikalen Äußerungen und Forderungen irritierten sie jedoch zunehmend und verhärteten ihre Haltung. So forderte Großbritannien in einer Note vom 9. September 1946 die Regierung in Kopenhagen in ultimativer Form auf, ihre Wünsche bzw. Forderungen hinsichtlich der dänischen Minderheit rasch und deutlich zu formulieren:

„Die Regierung Seiner Majestät ist ... bereit, jeden Vorschlag zu überprüfen, der abzielt, entweder auf einen Bevölkerungsaustausch oder eine Volksabstimmung mit anschließender Grenzberichtigung oder eine einfache Grenzberichtigung ohne Volksabstimmung. Von welchem dieser Vorschläge die dänische Regierung auch Gebrauch zu machen wünscht, das Entscheidende ist – mit Rücksicht auf die Sicherheit von Verwaltung, Gesetz und Ordnung, für welche die Regierung Seiner Majestät verantwortlich ist -, dass er umgehend oder in allernächster Zukunft durchgeführt wird“.

In ihrer Antwortnote vom 19. Oktober 1946 ließ die dänische Regierung Großbritannien etwas indigniert wissen, dass „die dänische Regierung ... der britischen Regierung keine Veranlassung gegeben [hat], diese drei Möglichkeiten vorzubringen“.

Sie habe nicht die Absicht, „irgendeine Änderung in Südschleswigs nationalem Zugehörigkeitsverhältnis vorzuschlagen. Es muss daher der Entscheidung der Bevölkerung Südschleswigs überlassen bleiben, ob sie die Frage nach der Möglichkeit von ihrem natürlichen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen, zu erheben wünscht“.

John Christmas Møller
John Christmas Møller, aufgenommen 1940 Foto: Ritzau Scanpix

Dänischer Außenminister mahnt zur Besonnenheit

Für den damaligen konservativen dänischen Außenminister John Christmas Møller erschien es für einen kleinen Staat wie Dänemark gefährlich, die vorübergehende Schwäche des viel größeren Nachbarn zu einer Grenzverschiebung auszunutzen.

Jede Verschiebung der Grenze nach Süden bedeutete für Dänemark eine Vergrößerung der deutschen Minderheit und damit möglicherweise ein großer Unruhefaktor. Auf jeden Fall müsse abgewartet werden, bis sich die „überhitzte“ Situation in Südschleswig wieder normalisiert habe.

Kieler Erklärung unter britischem Vorsitz verhandelt

Nach diesem Notenwechsel zielte die Politik Großbritanniens nun darauf ab, alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass über den Status der dänischen Minderheit und ihre Rechte direkt zwischen der Minderheit und der schleswig-holsteinischen Landesregierung unter britischem Vorsitz verhandelt werden solle.

Ergebnis dieser Verhandlungen war schließlich die vor nunmehr 70 Jahren, am 26. September 1949, erfolgte Abgabe einer „Erklärung der Landesregierung Schleswig-Holstein über die Stellung der dänischen Minderheit“, die sog. Kieler Erklärung, der der Landtag bei nur zwei Gegenstimmen aus der CDU zustimmte.

Freies Bekenntnis zum Dänentum

Kernpunkt dieser Kieler Erklärung ist das subjektive Bekenntnisprinzip, das bereits Eingang in den preußischen Schulerlass von 1929 gefunden hatte: „Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei. Es darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden“.

Eine ähnliche Formulierung wurde auch in die noch im gleichen Jahr verabschiedete schleswig-holsteinische Landesverfassung (Landessatzung) vom 13. Dezember 1949 aufgenommen: „Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten“.

Die Auflistung der wesentlichen Grundrechte aus dem wenige Monate zuvor in Kraft getretenen Bonner Grundgesetz brachte minderheitenrechtlich nichts Neues. Wesentlich waren jedoch nichtdiskriminierende Ausführungen zum Gebrauch der dänischen Sprache, der Einrichtung von Schulen und Kindergärten seitens der dänischen Minderheit sowie ihrer Mitwirkung an der politischen Willensbildung im Land.

Zur Klärung verschiedener Einzelfragen und Beschwerden der Minderheit wurde ein gemeinsamer Verständigungsausschuss eingerichtet.

 

Fårhus-Lager
Blick ins Museum im ehemaligen Internierungslager Frøslev, das offiziell „Polizeigefangenenlager Fröslee“ hieß und 1944 in Betrieb genommen wurde. Nach dem Krieg wurden dort vor allem Angehörige der deutschen Minderheit inhaftiert, das Lager in „Faarhuslager“ umbenannt. Foto: Karin Riggelsen

Die Entwicklung bei den Deutschen in Nordschleswig

Die deutschen Nordschleswiger befanden sich nach der Befreiung Dänemarks von der deutschen Besatzung in einer sehr prekären Situation. Als Reaktion auf ihre Verwicklung mit dem NS-Regime und die Kollaboration mit der Besatzungsmacht schloss die dänische Regierung fast alle Minderheitenschulen und beschlagnahmte ihre Gebäude.

Das kulturelle Leben der Minderheit kam weitgehend zum Erliegen. Tausende von deutschen Nordschleswigern wurden interniert oder verhaftet und fast 3.000 Gerichtsurteile unterschiedlichen Ausmaßes gegen Minderheitenangehörige verhängt, die auf einer im ganzen Land durchgeführten rückwirkenden Strafverfolgung beruhten, der sogenannten Rechtsabrechnung („Retsopgøret“).

Aus heutiger Sicht erscheint diese „Abrechnung“ des dänischen Staates mit Personen, die des Landesverrats, der Kollaboration etc. beschuldigt wurden, verständlich; für die Minderheit stellte sie einen besonders schweren Schlag dar, von dem sie sich nur langsam wieder erholen konnte.

Matthias Hansen
Matthias Hansen, hier mit seiner Ehefrau, war einer der Urheber der „Haderslebener Erklärung“, die 1943 die Loyalität deutscher Minderheitsangehöriger zum Königreich Dänemark erklärte. Zudem gilt Hansen als Vater der 1945 gegründeten Zeitung „Der Nordschleswiger“. Foto: Archiv Der Nordschleswiger

 

„Haderslebener Kreis“ erklärt bereits 1943 Loyalität gegenüber Dänemark

Nicht unerwähnt bleiben darf jedoch, dass bereits am 11. November 1943 ein demokratisch gesinnter „Haderslebener Kreis“ deutscher Nordschleswiger in einer offenen Erklärung von der Notwendigkeit „absoluter Loyalität“ gegenüber dem dänischen Staat gesprochen hatte.

In der Gründungserklärung des „Bundes Deutscher Nordschleswiger“ vom 22. November 1945, der seitherigen Hauptorganisation der deutschen Minderheit, hieß es denn auch zu Beginn: „Als deutsche Nordschleswiger bekennen wir uns zu unbedingter Loyalität dem dänischen König, dem dänischen Staat und der jetzigen Grenze gegenüber und erstreben einen ehrlichen Frieden in unserer Heimat“.

Allmählich gelang es den deutschen Nordschleswigern, ihre Gebäude zurückzuerhalten und private Volksschulen und andere Kultureinrichtungen wieder in Gang zu bringen; die Einrichtung weiterführender Schulen wurde ihr jedoch vorerst nicht gestattet. Von 1953 bis 1964 war sie wiederum durch einen Abgeordneten ihrer „Schleswigschen Partei“ im Kopenhagener Parlament vertreten.

Buno Diekmann
Buno Diekmann (SPD), Ministerpräsident Schleswig-Holsteins von 1949 bis 1950. Foto: Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein

 

Kiel erwartet gleiche Bedingungen für Deutsche in Nordschleswig

Die damalige von Ministerpräsident Bruno Diekmann (SPD) geführte schleswig-holsteinische Landesregierung hegte den Wunsch, auch im Blick auf die noch zu lösenden Probleme der deutschen Minderheit in Nordschleswig, mit Dänemark einen „Minderheitenschutzvertrag“ abschließen zu können, obwohl die grundsätzliche dänische Ablehnung eines solchen bilateralen Vertrags bereits 1920 deutlich geworden war.

Außerdem gab die Landesregierung die Kieler Erklärung in der „bestimmten Erwartung [ab], dass die dänische Regierung der deutschen Minderheit in Dänemark dieselben Rechte und Freiheiten einräumen und garantieren wird.“

Dänen zunächst nicht bereit

Zu einer solchen parallelen Erklärung war die von dem Sozialdemokraten Hans Hedtoft geführte dänische Regierung aus innenpolitischen Rücksichten jedoch nicht bereit.

Gegenüber den Vertretern der deutschen Nordschleswiger verlas er am 27. Oktober 1949 lediglich einen vorbereiteten Text (sog. Kopenhagener Protokoll), der auf die unterschiedlichen Verhältnisse nördlich und südlich der Grenze hinwies und hervorhob, dass die deutsche Minderheit alle in der dänischen Staatsverfassung niedergelegten Grundrechte uneingeschränkt genieße und die durchgeführte „Rechtsabrechnung“ sich nicht explizit gegen die deutsche Volksgruppe richte.

Dänische Minderheit „schrumpft“

Mit der Verbesserung der Lebensbedingungen in Schleswig-Holstein, der Integration und Teil-Umsiedlung der Flüchtlinge in andere Bundesländer sowie der Konsolidierung eines demokratischen Staatswesens in Deutschland ging die „Hochkonjunktur“ der dänischen Minderheit südlich der Grenze bald vorüber.

1955, zehn Jahre nach Kriegsende, verfügte die „Südschleswigsche Vereinigung“ nur noch über 42.638 Mitglieder gegenüber 75.419 im Oktober 1948. Der SSW errang bei der Landtagswahl im September 1954 42.224 Stimmen, weniger als die Hälfte im Vergleich zur Wahl von 1947, und verfehlte den Einzug in den Kieler Landtag.

Neues Ziel: Das geordnete Miteinander

Fortan ging es im politischen Leben des Grenzlandes nicht mehr um das Thema „Grenzrevision“, sondern um die Herstellung eines geordneten Miteinanders, politische Mitwirkungsrechte und finanzielle Förderung der beiden Minderheiten.

Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) verlangte vor allem die Befreiung von der seit 1952 geltenden Fünfprozent-Sperrklausel im Landtagswahlrecht und die Rücknahme der von der Landesregierung verfügten Kürzung der Zuschüsse für die Minderheitenschulen.

Nach Verhandlungen zwischen den Regierungen in Bonn, Kiel und Kopenhagen konnten diese Streitfragen mit den Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärungen vom 29. März 1955 in der Folgezeit zufriedenstellend gelöst werden. Die „Kieler Erklärung“ von 1949 war ein Meilenstein auf diesem Weg der Verständigung.

Der Verfasser hat 1981 in Kiel über die Minderheitenpolitik der schleswig-holsteinischen Landesregierung promoviert und war bis 2019 an der Universitätsbibliothek Tübingen tätig.

 

 

 

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