Die Woche am Alsensund

„Wo kein Leben, da kein Tod“

Wo kein Leben, da kein Tod

Wo kein Leben, da kein Tod

Sonderburg/Sønderborg
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Journalistin Sara Eskildsen hat über diese Woche am Alsensund nachgedacht. Foto: Karin Riggelsen

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Was tun, wenn Milch und Lebensmut den Bach runtergehen? Kolumnistin Sara Eskildsen fischt in dieser Woche im trüben Wasser des Alsensunds nach Lösungen.

In dieser Woche am Alsensund gingen 1.000 Liter Milch den Bach runter und landeten nach kurzer Reise im Ulkebüller Teich, dem örtlichen Auffangbecken für Regenwasser im Norden Sonderburgs. Auf einem Firmengelände in der Nähe waren Paletten umgefallen, die Milch lief aus und ab in die Kanalisation.

Die erste Reaktion der Kommune kam per Pressemitteilung und war voll des Trostes: Der Teich ist eh schon tot, da machen 1.000 Liter keinen Unterschied. Wo kein Fisch, da kein Sterben. Wo kein Leben, da kein Tod. So einfach ist das. Und da im Sommer nach einem Großbrand vor Ort Tausende Liter vergiftetes Löschwasser in den Ulkebüller Teich gelaufen waren, ist das Gewässer bereits so ausgestorben wie der Säbelzahntiger.

Über vergossene Milch zu jammern, ist bekanntlich müßig und im Falle des Ulkebüller Damms überhaupt nicht notwendig.

All dieses Gejammer um tote Meeresböden hätte endlich ein Ende, würde eine Umweltkatastrophe endlich klare Verhältnisse schaffen.

Sara Eskildsen, Journalistin

Fast wünscht man dem Alsensund und der Flensburger Förde vor den Toren der Sonderurger Bucht ein ähnliches Schicksal. Seit Jahren machen wir uns Sorgen, klagen und warnen, wie tot die Gewässer vor unserer Haustür sind. Ein Meer voller Grünalgen und Plastikpartikel, totgepflügter Meeresboden, auf dem nur noch der Schlamm gedeiht, und Fische, die im Sommer keine Luft mehr kriegen. Ein Elend, das Ganze, da wird einem ganz schwer ums Herz.

All dieses Gejammer um tote Meeresböden hätte endlich ein Ende, würde eine Umweltkatastrophe klare Verhältnisse schaffen. Und wenn dann im Frühjahr die Felder links und rechts des Alsensunds mit Schweinekot besprüht werden, der beim nächsten Regenschauer in den Sund läuft, könnte man ganz nüchtern und pragmatisch feststellen: Ist überhaupt nicht schlimm, der Sund ist eh schon tot, da machen 1.000 Liter Gülle keinen Unterschied.

Was würde uns für ein Findling vom Herzen fallen. Tot ist tot, da ist nichts mehr zu machen. Aber Schmerz beiseite: Nicht ohne Grund besteht Fatalismus zum großen Teil aus dem Wort fatal.

Der Alsen Fjord bei Sonnenuntergang: außen hui, innen pfui. Foto: Sara Eskildsen

Ein paar Kilometer fördeaufwärts stieß ich in dieser Woche ebenfalls auf Milch. Aber die trieb da, wo sie hingehört: aufgeschäumt in einem Becher Kaffee. Im Café des „Augustenborg Projekt“ sprach ich mit Angestellten über das Kunst- und Wohnprojekt, das vor Kurzem in den Gebäuden der alten Augustenburger Psychiatrie eröffnet hat.

Beim Rundgang durch die langen Gänge wurde mir einmal mehr vor Augen geführt: Wer Visionen hat, verändert die Welt. Und in diesem Fall die Welt in Augustenburg. Café, Weinbar, Bistro, Kunstausstellungen, Luxus-Ferienwohnungen und Künstlerateliers mitten auf dem Land in einer alten Psychiatrie, auf die Idee muss man erst mal kommen. Und natürlich muss der Visionär in diesem Fall auch das nötige Kleingeld in der Schublade haben – oder ein paar Bitcoins in der Blockchain.

Im Interview erzählte der Besitzer des Projekts, dass er zunächst aus reinem Interesse den Verkauf des Augustenburger Schlosses und des dazugehörigen Krankenhaus-Traktes verfolgt hatte. Bis er eines Tages auf die Idee kam, den Gebäudekomplex selbst zu kaufen.

Die Vision einer Ponyzucht im Palais streift mich täglich

Mir liegt der Wunsch, ein Schloss zu kaufen, durchaus nicht fern. Die Vision einer Ponyzucht im Palais streift mich täglich. Aber manchmal braucht es leider neben der Vision auch die Mittel.

Arme Visionäre können sich vertrauensvoll an den neuen Stadtrat wenden, sobald das Jahr 2022 geschlagen hat. In diversen Ausschüssen wird das Leben und Wohnen auf dem Land gezielt gefördert, Initiativen auf dem Land sind willkommen und können bezuschusst werden.

Der Ausschuss für Natur und Umwelt wird sich in seiner Arbeit vor allem um die Gesundheit der Sonderburger Weltmeere kümmern: Kleiner Belt, Alsensund, Sonderburger Bucht und Flensburger Förde. Denn so schön die Natur vor unserer Haustür auch ist – sonderlich gesund ist sie nicht.

Ich kann das aus erster Hand bestätigen. Nicht ein einziges Mal ist es mir in all den Jahren gelungen, einen lebenden Fisch aus dem Alsensund zu ziehen, um ihn aufzubraten. Einmal hing eine mickrige Flunder an meinem Haken, die ich schnell wieder ins seichte Wasser entlassen habe.

Schon Goethe schreib: „Die Algenflut blüht zu meinen Füßen“

An meinen Angelkünsten kann es nicht liegen, die sind so ausgereift wie ein junger Gouda, aber wo kein Fisch, da kein Fang. So einfach ist auch das. Als ehemaliges Milchmädchen auf dem Bauerhof der Lobers kann ich mit Blick auf den Alsensund leicht eine Rechnung aufstellen: Sobald der Sund wieder voller Fische ist, fange auch ich einen. 

„Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag“, schrieb Goethe, und ist damit interessanterweise nahe dran am Kommunikationsstil der Kommune in oben genannter Pressemitteilung: negative Situationen positiv darstellen. Das Zitat hat Goethe niedergeschrieben, als Heinrich Faust nicht mehr weiter weiß und den Freitod ins Auge fasst. Mit Sonderburger Lokalkolorit würde sich die betreffende Stelle wie folgt lesen:

„In den hohen Sund werd ich hinausgewiesen,
Die Algenflut blüht zu meinen Füßen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.“

Manchmal geht eben nicht nur die Milch den Bach runter. Sondern auch Träume und Visionen, und der Lebensmut geht baden und ertrinkt. Dann können wir uns ans Ufer setzen, bitterlich weinen und uns selbst kleinmachen, weil wir das zweite Futur bei Sonnenaufgang immer wieder falsch jodeln und an Visionen leiden.

Oder aber wir halten uns an Loriot und suchen in Krisenzeiten nach Lösungen. Und nicht nach Schuldigen.

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