Minderheiten

Warum im Deutschen Bundestag am Donnerstag Dänisch gesprochen wird

Warum im Deutschen Bundestag Dänisch gesprochen wird

Warum im Bundestag Dänisch gesprochen wird

Berlin
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Der BDN setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Sprachencharta in Dänemark in höherem Umfang umgesetzt wird. Foto: Karin Riggelsen

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Die Charta der Regional- und Minderheitensprachen feiert 25-jähriges Bestehen. Im Bundestag werden am Donnerstag 45 Minuten lang Wortbeiträge auf Dänisch, Friesisch oder Sorbisch gehalten. Ein stärkeres Bewusstsein für Minderheiten in der Mehrheitsgesellschaft spiele eine zentrale Rolle für den Erhalt des kulturellen Erbes, sagt der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler. Der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) setzt sich seit Jahren für mehr Engagement Dänemarks ein.

45 Minuten. So lange wird am Donnerstag im Deutschen Bundestag in Berlin etwas weniger Deutsch zu hören sein als üblich. Reden in friesischer, sorbischer, niederdeutscher und dänischer Sprache werden stattdessen das Plenum erreichen.

Anlass ist das 25-jährige Bestehen der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen. 1998 wurde die Charta verabschiedet. Im Jahr der Lewinsky-Affäre, des Kosovo-Kriegs und der Eröffnung der Großer-Belt-Brücke. Der Vertrag sieht den Schutz und die Förderung der geschichtlichen gewachsenen Regional- und Minderheitensprachen Europas vor. Mit ihm sollten zum einen kulturelle Traditionen und das Kulturerbe Europas bewahrt und weiterentwickelt werden, zum anderen das unverzichtbare und allgemein anerkannte Recht geachtet werden, im öffentlichen Leben und im privaten Bereich eine Regional- oder Minderheitensprache zu gebrauchen. 

Zudem sieht die Charta eine Reihe an Maßnahmen vor, diese Sprachen im öffentlichen Leben zu fördern – etwa in der Bildung, den Medien, in Verwaltungsbehörden, aber auch beim grenzüberschreitenden Austausch. Die Charta wurde vom dänischen Parlament am 8. September 2000 ratifiziert und trat zum 1. Januar 2001 in Kraft. Darin erklärte sich Dänemark bereit, weitreichende Bestimmungen der Charta auch auf die deutsche Minderheit in Nordschleswig anzuwenden.

Pflicht zur Anwendung von 35 Paragrafen oder Absätzen

In Deutschland wurden neben dem Dänischen und Friesischen noch fünf weitere Minderheitensprachen anerkannt. Jede Vertragspartei verpflichtete sich, mindestens 35 Paragrafen oder Absätze aus dem Maßnahmenkatalog anzuwenden, einschließlich einer gewissen Zahl zwingender Maßnahmen, die aus einem „Kernbereich“ auszuwählen sind. 

Regional- und Minderheitensprachen müssen öffentlich sichtbarer werden, um von der Mehrheit als kulturelles Erbe Deutschlands und Gewinn für eine vielfältige Gesellschaft begriffen zu werden.

Dawid Statnik, Vorsitzender des Minderheitenrates der vier autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands

SSW-Politiker Seidler hält Rede in vier Sprachen

Als Vertreter der dänischen Minderheit und friesischen Volksgruppe wird der Bundestagsabgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), Stefan Seidler, am Donnerstag seine Rede in gleich vier verschiedenen Sprachen halten. „Wir stehen in der Pflicht, die nationalen Minderheiten bei der Pflege und dem Erhalt ihrer Kultur als Teil unseres gemeinsamen kulturellen Erbes zu unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass ein stärkeres Bewusstsein in der Mehrheitsgesellschaft dabei eine ganz zentrale Rolle spielt“, sagt der SSW-Politiker anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Charta. „Nur durch eine Aufnahme von Minderheiten in die Lehrpläne und dauerhafte Förderung für Unterricht in unseren Minderheitensprachen sichern wir ihr Überleben nachhaltig.“

Auch negative Stereotype spielten nach wie vor eine Rolle, sagt Seidler. „Es ist ein Stück weit erschreckend, dass es immer noch Vorbehalte gegenüber Friesisch, Romanes, Sorbisch oder auch Platt zu geben scheint. Wenn mich Geschichten erreichen, in denen Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler auffordern, das Plattsprechen zu lassen, weil es für sie weniger intelligent klingt, kann man nicht energisch genug den Kopf schütteln“, so Seidler.

Minderheitensprachen „öffentlich sichtbarer machen“

„Mit dieser Debatte setzt der Deutsche Bundestag ein starkes Zeichen, dass unsere Regional- und Minderheitensprachen zu Deutschland gehören – auch in der Politik. Dass sie auf Niederdeutsch, Dänisch und Friesisch geführt wird, zeigt, dass diese Sprachen kein folkloristisches Relikt sind, sondern gelebte Sprachwirklichkeit“, sagt der Vorsitzende des Minderheitenrates der vier autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands, Dawid Statnik.

Damit sich Minderheiten- und Regionalsprachen erhalten und weiterentwickeln können, bedürfe es neben aktiven Sprecherinnen und Sprechern auch der Möglichkeit, diese Sprachen in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen zu gebrauchen – sei es in der Schule, im Beruf, in den Medien, in der Verwaltung oder eben in der Politik, so Statnik. „Regional- und Minderheitensprachen müssen öffentlich sichtbarer werden, um von der Mehrheit als kulturelles Erbe Deutschlands und Gewinn für eine vielfältige Gesellschaft begriffen zu werden.“

 

Die Sprachencharta ist ein sehr wichtiges Instrument für die deutsche Minderheit. Mit ihrer Hilfe haben wir sowohl prinzipielle als auch finanzielle Forderungen umsetzten können.

Harro Hallmann, Leiter des BDN-Sekretariats in Kopenhagen

BDN wünscht sich mehr Maßnahmen 

Seit 2018 müssen die Länder alle fünf Jahre einen Bericht zum aktuellen Status an die Generalsekretärin bzw. den Generalsekretär des Europarates senden. Aktuell erhält die Kroatin Marija Pejčinović Burić den Rapport. Dänemark war verpflichtet, zum 1. Januar 2023 einen aktuellen Bericht einzusenden, der anschließend von einem Expertengremium begutachtet wird.

Im September 2019 forderte der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) gegenüber dem Kultur- und Außenministerium, dass Dänemark mehr Maßnahmenvorschläge aus der Charta umsetzen solle. Nur 37 von 68 möglichen Verpflichtungen seien im Vergleich zu anderen Ländern wenig. So setzten etwa Ungarn (45), Slowakei (49) oder Rumänien (58) mehr Maßnahmen um. Auch Deutschland sei aktiv und stocke in Bezug auf die dänische Minderheit in Südschleswig auf.

Punkte sind etwa Unterricht in Minderheitensprache bereits ab der Vorschule sowie die Gleichstellung des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig (DGN), das aktuell nur zu 85 Prozent gefördert wird. Auch die Möglichkeit, Rechtsangelegenheiten schriftlich oder mündlich in deutscher Sprache zu erledigen oder eine Behandlung im Krankenhaus auf Deutsch wahrzunehmen, sei trotz des hohen sprachlichen Dänisch-Niveaus der Mitglieder der Minderheit manchmal einfacher. Gleiches gelte für Behördengänge. Dass etwa Briefe auf Deutsch an die Behörden geschickt werden können, bearbeitet und Antworten dann ebenfalls auf Deutsch gegeben werden. Auch die Digitalisierung und das Internet spielen eine immer größere Rolle­ − etwa bei der MitID. 

Im November 2021 fand dazu ein Treffen im Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen statt, um weitere Prozesse anzustoßen. Dabei wurde auch betont, dass es nicht der Wunsch der Minderheit sei, Deutsch in Nordschleswig als Amtssprache einzuführen. Allerdings solle Deutsch nicht als Fremdsprache angesehen werden.

Es ist ein Stück weit erschreckend, dass es immer noch Vorbehalte gegenüber Friesisch, Romanes, Sorbisch oder auch Platt zu geben scheint. Wenn mich Geschichten erreichen, in denen Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler auffordern, das Plattsprechen zu lassen, weil es für sie weniger intelligent klingt, kann man nicht energisch genug den Kopf schütteln.

Stefan Seidler

Deutsch-dänischer Aktionsplan gibt Zuversicht

Im September vergangenen Jahres wurde ein deutsch-dänischer Aktionsplan vorgestellt. Dänemark will demnach weitere Verpflichtungen der Sprachencharta übernehmen. Der damalige dänische Außenminister Jeppe Kofod und seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock unterzeichneten das Vorhaben am 26. August. 

Harro Hallmann, Leiter des BDN-Sekretariats in Kopenhagen, sagte damals: „Ich finde, wir sind auf einem richtig guten Weg. Die Arbeit geht seit einiger Zeit deutlich voran, doch durch die Verpflichtung im deutsch-dänischen Aktionsplan wird die Frage auf eine höhere Ebene gehoben. Ich bin zuversichtlich, dass die neuen Maßnahmen zu gegebener Zeit auch die parlamentarische Hürde nehmen werden“, meint er.

Das Thema sei weiterhin „groß und wichtig“, sagte Hallmann am Donnerstag. „Die Sprachencharta ist ein sehr wichtiges Instrument für die deutsche Minderheit. Mit ihrer Hilfe haben wir sowohl prinzipielle als auch finanzielle Forderungen umsetzten können.“ Darunter fiele etwa die Möglichkeit der Vereine, ihre deutschen Satzungen gegenüber den Behörden zu nutzen. Auch der Zuschuss für den Informationseinsatz des BDN sei hier zu nennen, so Hallmann

 

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