Drama in Südjütland

Mehr als 50.000 persönliche Stimmen zur freien Verfügung

Mehr als 50.000 persönliche Stimmen zur freien Verfügung

Mehr als 50.000 persönliche Stimmen zur freien Verfügung

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Regierungschef Lars Løkke Rasmussen (Venstre) mit Sohn Bergur Foto: Thomas Sjørup / Ritzau Scanpix

Analyse: Bei der Folketingswahl 2015 wurde die Dänische Volkspartei in Nordschleswig sensationell mit deutlichem Abstand die größte Partei, vom „gelben Nordschleswig“ war danach die Rede, aber man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass DF diesmal auf die hinteren Plätze abrutschen wird, meint Siegfried Matlok.

Wenige Tage nach der Wahl zum Europa-Parlament, bei der es vor allem in Nordschleswig durch die Niederlage der Dänischen Volkspartei (DF) einen rechten Erdrutsch gab, geht es nun um die Wurst:  am 5. Juni um die Entscheidung, wer in der kommenden Legislaturperiode Dänemark regieren soll. Dass die EU-Wahl nicht im Verhältnis 1:1 mit der Folketingswahl zu vergleichen ist, das wissen nicht nur die Experten, sondern auch die Parteien, deren Kandidaten deshalb bis zum Schlusstag um jede Stimme kämpfen.

Bei der  Folketingswahl 2015 wurde die Dänische Volkspartei in Nordschleswig sensationell mit deutlichem Abstand die größte Partei,  vom „gelben Nordschleswig“ war danach die Rede, aber man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass DF diesmal auf die hinteren Plätze abrutschen wird. Bei der Folketingswahl 2015 siegte DF in den vier nordschleswigschen Wahlkreisen mit 42.774 Stimmen vor Venstre (34.545) und den Sozialdemokraten mit 33.244 Stimmen, die sich in den Jahrzehnten zuvor immer in der Führung ablösten.  In ganz Dänemark kam DF auf 21,1 Prozent der Stimmen, im Großkreis Südjütland, dem auch die vier nordschleswigschen Wahlkreise seit der Kommunalreform angehören, waren es 28,4 Prozent – in Nordschleswig über 30 Prozent, ja, in Tingleff zum Beispiel 33,9 Prozent.

Bei der EU-Wahl am Sonntag stürzte DF zwar ab, lag aber noch immer in Nordschleswig deutlich über dem Ergebnis für Südjütland (15,8) und Dänemark (10,8), erreichte in Tingleff zum Beispiel am Sonntag immerhin noch 20 Prozent. Folgen nun  am 5. Juni rote Wolken am Himmel oder folgt sogar blauer Himmel?

Stimmenschlucker ohne Stimme

Die Folketingswahl    wird im Großkreis Südjütland und vor allem in Nordschleswig besonders spannend, weil hier einige der großen Stimmenschlucker der jüngsten Wahl nicht mehr kandidieren. So sind insgesamt rund 50.000 persönliche Stimmen neu zu verteilen. Der frühere Verteidigungsminister, Venstres Carl Holst (12.135 persönliche Stimmen), fehlt ebenso auf dem Stimmzettel wie die bisherige Kulturministerin der Liberalen Allianz, Mette Bock (11.588 Stimmen), der ehemalige sozialdemokratische Finanzminister Bjarne Corydon (11.326) und auch der Folketingsabgeordnete von DF, Peter Kofod aus Hadersleben (3.366), der übrigens bei der EU-Wahl am Sonntag bemerkenswert von allen Kandidaten in Südjütland die meisten persönlichen Stimmen holte.

Auch der frühere Verteidigungsminister Peter Christensen, der trotz 5.133 persönlicher Stimmen 2015 den Einzug ins Folketing verpasste, ist bei Venstre nicht mehr an Bord, ebensowenig wie bei den Sozialdemokraten Anne Sina, die in Apenrade mit 4.582 Stimmen knapp scheiterte, sich jedoch am 5. Juni berechtigte Hoffnung macht, als Nachfolgerin von Mogens Lykketoft im Wahlkreis Taastrup erfolgreich zu sein. 

Und nicht zu vergessen sind auch die 2.819 persönlichen Stimmen von Stephan Kleinschmidt (SP), der nicht wieder für die Radikale Venstre  kandidiert. Ihm fehlten zum Sprung ins Folketing nur ganz wenige Stimmen, denn das Mandat der Radikalen ging an die Apenraderin Lotte Rod, die zwar weniger persönliche Stimmen als Kleinschmidt aufwies, jedoch durch mehr  Listenstimmen noch auf der Ziellinie an ihm vorbeizog.  

Dass so viele Stimmen am 5. Juni auf dem freien Markt sind, macht das Rennen natürlich noch spannender – nicht nur die Frage, ob Ven-stre wie bei der EU-Wahl am Sonntag in Nordschleswig wieder die Führungsposition vor den Sozialdemokraten erobern kann.  Die Tatsache, dass so viele persönliche Stimmen neu zu verteilen sind, dürfte vor allem den Ausgang unter den Venstre-Kandidaten noch offener machen, als es vor vier Jahren bereits der Fall war.

Wahlplakate 2019 in Broacker: In manchen anderen Ländern haben Clowns und Gaukler große Wahlerfolge erzielt. Fake-News in Dänemark? Foto: S. Matlok

Blick auf die einzelnen Parteien

Bei der Folketingswahl vor vier Jahren gewann Venstre fünf Kreismandate. Von den bisherigen Folketingskandidaten kandidieren erneut Gesundheitsministerin Ellen Trane Nørby aus Sonderburg, die 2015 Platz eins eroberte mit 12.012 persönlichen Stimmen. Der ehemalige Minister Hans Chr. Schmidt aus Hadersleben folgte mit 8.348 Stimmen vor der aus Apenrade kommenden Lebensmittelministerin Eva Kjer Hansen (7.647). Sie gelten erneut als Favoritin neben der Folketingsabgeordneten Anni Mathiesen (8.197), aber Vorsicht! Allen droht große Gefahr von Entwicklungshilfeministerin Ulla Tørnæs, die vor vier Jahren noch dem EU-Parlament angehörte und die nun im bisherigen Holst-Wahlkreis Esbjerg beste Chancen hat.

Sollte Venstre zusätzliche Mandate gewinnen, dann ist Landwirt Mogens Dall aus Apenrade ein Außenseiter. Bei den Sozialdemokraten, die 2015 ebenfalls fünf Kreismandate erzielten, sind der frühere Steuerminister Benny Engelbrecht aus Sonderburg (2015: 8.516 persönliche Stimmen) und der steuerpolitische Sprecher Jesper Petersen aus Hadersleben (6.842) gesetzt, also so sicher, wie man nun mal sein kann.

Die Radikale Venstre gewann durch Lotte Rod ein Mandat vor vier Jahren. Da Kleinschmidt ihr diesmal nicht im Nacken sitzt, gilt sie als haushohe Favoritin, zumal die Prognosen für die Radikalen günstig aussehen. Ein zweites Mandat ist durchaus möglich. SF war der große Verlierer der jüngsten Wahl, ging sogar völlig leer aus, aber die frühere Folketingsabgeordnete Karina Lorentzen Dehnhardt aus Kolding steht vor einem sicheren Comeback angesichts der jüngsten Meinungsumfragen, die SF Stimmengewinne voraussagen. Ein zweites Mandat könnte an Nanna Bonde gehen.

Auf die Liberale Allianz entfielen 2015 zwei Mandate – auf Mette Bock und auf Henrik Dahl.  Da sich Ministerin Bock nach der schmerzhaften Niederlage bei der EU-Wahl aus der aktiven Politik verabschiedet hat, dürfte LA trotz zu erwartender Verluste das Mandat von Henrik Dahl wohl behaupten können. Bei der Einheitsliste –  2015 zwei Mandate – ist Folketingsmitglied Henning Hyllested aus Esbjerg haushoher Favorit.

Das große Zittern hat seit dem Debakel bei der EU-Wahl DF erfasst. Im Großkreis Südjütland konnte die Partei bei der jüngster  Folketingswahl sensationelle sechs Mandate und Platz eins für sich verbuchen. Spitzenkandidat Kristian Thulesen Dahl ist zwar wieder das Zugpferd in Südjütland, aber nach jüngsten Meinungsumfragen ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Mandatszahl sogar halbieren wird.  

Kofod in Brüssel

Da Peter Kofod nun nach Brüssel wechselt, hofft auch sein Haderslebener Nachfolger Torbjørn Fristed,  doch die Folketingsabgeordneten Maria Krarup und Karina Adsbøl haben im Rennen um O-Mandate die weitaus besseren Karten. Neu auf dem Stimmzettel erscheint die Partei „Ny Borgerlige“, wo die Spitzenkandidatin Pernille Vermund ganz bewusst Südjütland/Nordschleswig gewählt hat, um hier in Konkurrenz zur Dänischen Volkspartei national/nationalistisch mit einer noch härteren Ausländerpolitik zu punkten. Sollte ihr der Sprung über die Zwei-Prozent-Sperrklausel gelingen, dann ist nicht ganz auszuschließen, dass es im Großkreis Südjütland eventuell noch ein zweites Mandat, ein Zusatzmandat, geben könnte.

Darauf hofft der Apenrader Kandidat Jan Køpke Christensen, der einst die Fortschrittspartei im Folketing vertrat. Auf seiner langen politischen Reise mit zahlreichen Zwischenstopps in verschiedenen Parteien ist er nun bei Ny Borgerlige gelandet: Ende oder Neubeginn? Narkoseärztin Anne Marie Buch aus Tondern   könnte als Kandidatin Køpke „einschläfern“.  

Hoffnung auf parlamentarische Rückkehr

Ohne Mandat blieben vor vier Jahren überraschend die Konservativen mit nur 2,2 Prozent der Stimmen in Südjütland. Im alten Schlüter-Land Nordschleswig macht man sich aber gewisse Hoffnungen auf eine parlamentarische Rückkehr nach Christiansborg.

Ohne Mandat blieben vor vier Jahren im Großkreis Südjütland auch die Alternativen, und dies wird sich realistisch auch am 5. Juni nicht ändern. Die Christdemokraten verpassten 2015 erneut den Einzug ins Folketing, glauben aber,  dass sie mit ihrer neuen TV-talentierten Spitzenkandidatin Isabella Arendt eventuell doch die Sperrgrenze überwinden können.

Aussichtslos gilt die Riskær-Partei, aber was ist mit Paludan? Sein strammer rechter Kurs bietet im Großkreis Südjütland nur einen Kandidaten – Carsten Normann Munk. Manche Meinungsumfragen prognostizieren, dass Paludan die Zwei-Prozent-Hürde nehmen wird, aber hoffentlich  gibt es doch noch innere Grenzkontrollen, die diesen rechten Sturmangriff in Nordschleswig und ganz Dänemark abwehren! 

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