Leitartikel

„Eine Politikerin für die Geschichte“

Eine Politikerin für die Geschichte

Eine Politikerin für die Geschichte

Kopenhagen
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Das historische Urteil gegen Inger Støjberg bedeutet nicht, dass wir die Politikerin zum letzten Mal gesehen haben, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

In einem historischen Urteil ist die frühere Ministerin für Ausländer und Integration, Inger Støjberg, vom dänischen Reichsgericht zu 60 Tagen Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Ein wichtiges und richtiges Urteil, zeigt es doch für Minister die Grenzen auf, wie sie agieren können – nämlich nur innerhalb des Gesetzes.

Inger Støjberg, die nach ihrem Austritt aus der liberalen Partei Venstre nun als fraktionsloses Mitglied im dänischen Folketing sitzt, führte 2016 gesetzeswidrig ein System ein, bei dem Asylpaare, von denen mindestens einer der Partner minderjährig war, voneinander getrennt wurden.

Der rechte Flügel im Folketing kritisiert das Urteil, und auch Inger Støjberg war nach dem Urteil nach eigenen Angaben schockiert. Ihrer Meinung nach seien mit dem Urteil dänische Werte verloren gegangen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Støjberg selbst hat die gesellschaftlichen Werte mit den Füßen getreten, indem sie ohne die nötige Gesetzesgrundlage gehandelt hatte. Und zwar vorsätzlich.

25 von 26 der politisch und juristisch auserwählten Richterinnen und Richter waren der Meinung, dass Støjberg gesetzeswidrig gehandelt hat, und ihre Begründung ist ebenfalls eindeutig.

Jeder Zweifel ist damit ausgeräumt, aber Inger Støjberg hält an ihrer Unschuld fest – und das, obwohl sie von Beamten in Ministerium gewarnt worden ist. Sie trage die Ausländerpolitik im Herzen, so die 48-Jährige uneinsichtig. Støjberg fühlt, als stehe sie über dem Gesetz.

Zum Urteil kann sich auch noch gesellen, dass das Folketing sie als unwürdig für einen Sitz im Parlament hält. Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie das Folketing verlassen muss. Doch dann stellt sich die Frage, ob die frühere Ministerin überhaupt noch als heißeste Kandidatin für den Vorsitz in der Dänischen Volkspartei (DF) gilt.

Die Wahl steht gerade zwischen ihr und Morten Messerschmidt, der selbst noch vor Gericht muss. Ihm wird vorgeworfen, EU-Gelder veruntreut zu haben. Also steht die Wahl womöglich zwischen einer Kriminellen oder einem Kriminellen.

Martin Henriksen (den die Partei aus der Parteizentrale entlassen hat), oder der Haderslebener EU-Parlamentarier Peter Kofod, der nicht einmal im Folketing sitzt, kommen ebenfalls als Kandidaten infrage. Doch eine Idealbesetzung ist das für die krisengebeutelte Partei nicht.

Das Urteil gegen Støjberg ist daher alles andere als ein Wunschszenario der Dänischen Volkspartei, die sich allerdings dermaßen unter existenziellem Druck befindet, dass auch eine verurteilte Inger Støjberg Parteivorsitzende werden könnte, zumal ein neues Folketing 2022 oder 2023 die Politikerin wieder begnadigen könnte. Wir reden von der Dänischen Volkspartei – da ist alles möglich.

Die frühere Ministerin hat Montag Geschichte geschrieben. Damit ist der Fall Støjberg zu Ende, doch im Politiker-Dasein Inger Støjbergs werden mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Kapitel folgen – und auch die könnten Geschichte schreiben. Urteil hin oder her.

Anmerkung der Redaktion: In diesem Satz in Absatz 7 haben wir das Wort womöglich“ hinzugefügt, da Morten Messerschmidt in Berufung gegangen und somit noch nicht rechtskräftig verurteilt worden ist: Also steht die Wahl womöglich zwischen einer Kriminellen oder einem Kriminellen.

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