Reportage

Historisch hartes Urteil

Historisch hartes Urteil

Historisch hartes Urteil

Kopenhagen
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Inger Støjberg ist schuldig – so lautet das klare Votum von 25 der 26 Richterinnen und Richter des Reichsgerichts. Foto: Martin Sylvest/Ritzau Scanpix

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Der Montag war ein historischer Tag im Eigtveds Pakhus. Historisch, weil es das erst sechste Reichsgerichtsverfahren ist, der erst dritte Schuldspruch und das bisher härteste Urteil. „Der Nordschleswiger“ war während der dramatischen 40 Minuten dabei.

Der Saal, in dem der Präsident des Reichsgerichts, Thomads Rørdam, das Urteil vorliest, dürften den meisten Menschen im Lande bekannt sein: Im Eigtved Pakhus haben die regelmäßigen Pressekonferenzen der Behörden zur Corona-Situation stattgefunden.

Seit September ist er jedoch zum Gerichtssaal umfunktioniert.

Auch bei der Ankunft ist einiges anders: Ein starkes Polizeiaufgebot bewacht den Platz vor dem Gebäude. Direkt gegenüber dem Eingang hat sich ein kleine, aber lautstarke, Schar an Demonstrantinnen und Demonstranten aufgebaut, die aus ihrer rechten bis rechtsradikalen Einstellung keinen Hehl machen.

Demonstration vor dem Reichsgericht Foto: Martin Sylvest/Ritzau Scanpix

Ungefähr eine Viertelstunde vor der Urteilsverkündung erscheint ein schwarzer BMW mit der Angeklagten, Inger Støjberg. Von den Demonstranten, aber auch einigen der Zuhörer, die auf Einlass warten, gibt es Applaus.

Großes Interesse

Die 80 Zuschauerplätze im Gerichtssaal sind längst voll, doch im Nachbarraum können weitere 40 Personen die Urteilsverkündung per Livestream verfolgen.

Um 12.53 Uhr erscheint die ehemalige Integrations- und Ausländerministerin Inger Støjberg im Gerichtssaal, geht an der ersten Zuschauerreihe mit Pressevertreterinnen und -vertretern vorbei und nimmt mit ihrem Verteidigerteam auf der rechten Seite Platz.

Sie lächelt kurz in die Zuschauerreihen und wendet sich dann ihren Verteidigern zu.

Bei der Ankunft konnte Inger Støjberg noch lächeln. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Der Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Kristian Thulesen Dahl, eilt noch eben in den Saal, bevor alle sich erheben, als die 26 Richterinnen und Richter um 13.59 erscheinen. 13 von ihnen sind vom Obersten Gerichtshof ernannt, 13 von den politischen Parteien.

Bislang härteste Urteil

Der Präsident des Gerichts, Thomas Rørdam, spricht die Worte, die in Dänemark jede Urteilsverkündung einleiten: „Thi kendes for ret“. Und dann lässt er in einem ausgesprochen sachlichen, fast schon lakonischen, Ton die Bombe platzen: „Die Angeklagte, die ehemalige Integrations- und Außenministerin Inger Støjberg, wird zu 60 Tagen Haft verurteilt“.

Es ist das erste Mal, seit das Reichsgericht 1849 eingeführt wurde, dass ein Minister oder eine Ministerin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. In den bislang sechs Fällen wurden drei schuldig gesprochen. Im sogenannte Tamilfall wurde der ehemalige Justizminister Erik Ninn-Hansen 1995 zwar zu vier Monaten Haft verurteilt, diese wurden jedoch auf Bewährung ausgesetzt.

Nachdem die Anwesenden sich setzen dürfen, erläutert Rørdam, dass 25 der 26 Richter „schuldig“ votiert haben. 15, und damit eine Mehrheit, waren für eine Haftstrafe ohne Bewährung. 10 von ihnen forderten sogar drei Monate Haft.

Vorsatz

Die Trennung von Asylpaaren, von denen der eine Partner zwischen 15 und 17 Jahren alt war, sei, ohne individuelle und konkrete Beurteilung, illegal gewesen, so der Gerichtspräsident in seiner Urteilsbegründung.

„Die illegale Praxis, die die Ausländerbehörde einführte, war eine Folge des Beschusses von Inger Støjberg, umgehend eine neue Einquartierungsregelung, ohne eine Möglichkeit von Ausnahmen, einzuführen“, erläuterte er weiter.

Støjberg habe vorsätzlich das Gesetz übertreten. 

Thomas Rørdam sagt, Inger Støjberg habe das Gesetz mit Vorsatz übertreten. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

18 Paare wurden in der Periode vom 10. Februar bis zum 18. März getrennt. In mindestens drei der Fälle sei eine Trennung nach geltendem Recht nicht möglich gewesen.

Beschluss mit Folgen für die Betroffenen

Die Mehrheit von 15 Richtern, die für eine Strafe ohne Bewährung gestimmt haben, meinen Støjberg sei von ihren Beamtinnen und Beamten vor einer illegalen Praxis gewarnt worden.

„Ihr war klar, dass die Praxisänderung, die sie einführte, auch für Paare, bei denen es keinen Hinweis auf Zwang gibt, Folgen haben würde. Die Trennung, die eine Folge der illegalen Anweisung waren, führte in mehreren Fällen zu Belastungsreaktionen bei den Paaren, die bereits zu einer gefährdeten Gruppe von Menschen gehörten“, so die deutlichen Worte von Rørdam.

Während der gut zehn Minuten langen Urteilsbegründung blickt die Hauptperson konzentriert auf den Gerichtspräsidenten. Als sie im Anschluss als erste den Gerichtssaal verlässt, ist das anfängliche Lächeln verschwunden.

Ihr war klar, dass die Praxisänderung, die sie einführte, auch für Paare, bei denen es keinen Hinweis auf Zwang gibt, Folgen haben würde.

Thomas Rørdam, Präsident des Reichsgerichts

Pia Kjærsgaard „erschüttert“

Vor dem Gebäude wird der wartenden Presse von der Polizei ein enger Raum zugewiesen. Zunächst erscheinen die beiden Ankläger und erklären sich mit dem Ergebnis zufrieden.

Einige Minuten später taucht die Altvorsitzende der Dänischen Volkspartei, Pia Kjærsgaard, auf. Sie hofft auf Støjberg als neue Vorsitzende ihrer von Krisen gebeutelten Partei. Doch das Projekt hat mit dem klaren Urteil einen schweren Rückschlag erlitten.

„Ich bin sehr, sehr tief erschüttert (über das Urteil, Red.). Das hatte ich nicht erwartet. Das hatte keiner von uns, glaube ich“, sagt sie dem Pressepulk.

Die Demonstrierenden, die ein Banner mit „Fuck Islam“ dabeihaben, sind wesentlich leiser als vor der Urteilsverkündung. Doch dann kommt einem von ihnen die Idee, einen Koran zu verbrennen. Ein Zuschauer versucht den Brand auszutreten, und es kommt zu einem kurzen Handgemenge. Die Polizei zerrt den von den Demonstranten als „Landesverräter“ beschimpften Mann weg und bringt ihn in Sicherheit.

Demonstrierende verbrennen einen Koran. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Støjberg hält an Unschuld fest

Als Inger Støjberg dann um 14.22 Uhr vor der Tür erscheint, skandieren die Demo-Teilnehmenden ihren Namen. Sie selbst zeigt sich gefasst, aber verständnislos.

„Ich bin sehr, sehr überrascht. Das muss ich schon sagen, und ich meine, dass die dänischen Werte, und nicht nur ich heute verloren haben“, sagte sie der wartenden Presse.

Inge Støjberg nach der Urteilsverkündung Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Die Tatsache, dass 25 der 26 Richter sie für schuldig befunden haben, kann sie vom Festhalten an der eigenen Unschuld nicht abbringen.

Zu ihrer politischen Zukunft will sie sich, so kurz nach dem Urteil, nicht äußern. Das Folketing wird nun entscheiden, ob sie weiterhin würdig ist, ihr Mandat als Volksvertreterin wahrzunehmen.

Ein Demonstrant überreichte Inger Støjberg Blumen. Foto: Martin Sylvest/Ritzau Scanpix

Nach den Statements gegenüber den Journalistinnen und Journalisten spricht sie noch mit einigen der Demonstranten und nimmt einen Blumenstrauß entgegen. Dann verschwindet sie wieder in dem schwarzen BMW.

Inger Støjberg politisch Zukunft ist ungewiss. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix
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