Leitartikel

„Auch Weltmeister können besser werden“

Auch Weltmeister können besser werden

Auch Weltmeister können besser werden

Nordschleswig/Kopenhagen
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Dänemark legt sich und anderen zu viele Hindernisse in den Weg, meint Chefredakteur Gwyn Nissen. Warum holt sich die Gesellschaft nicht Inspiration bei den Handballern?

Die dänischen Handballer haben in den vergangenen Wochen der ganzen Sportwelt gezeigt, wie sich ein kleines Land gegen weitaus größere Nationen durchsetzen kann. Auch im deutsch-dänischen Grenzland macht uns die Weltmeisterschaft stolz, weil wir sehen können, was uns die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Handballfeld bereits gebracht hat.

Flensburg, Kiel, Berlin und die weltbeste Handballliga machen aus den dänischen Handballern Weltstars: Im Angriff wirbeln sie mit Kreativität und Fantasie – in der Abwehr bildet das Team Schulter an Schulter eine unüberwindbare rote Mauer.

Doch im Grenzland ist der Alltag nicht immer so rosig wie bei der Handball-WM. Wir stechen uns immer wieder an den Dornen der Rosenbüsche, die sich manchmal vor uns auftürmen und trotz ihrer Pracht ein unschönes Hindernis bilden.

Es läuft vieles toll im deutsch-dänischen Grenzland. Man kennt und besucht einander nördlich und südlich der Grenze, und wir mögen uns als Nachbarn. Alles hat Vorzeige-Charakter. Aber irgendwie ist vieles komplizierter geworden.

Dabei sind die Grenzkontrollen nicht der einzige Störfaktor. Dänemark scheint ausländischen Bürgerinnen und Bürgern viele Hindernisse in den Weg zu legen und das trifft insbesondere unser Grenzland.

Beispiel 1: Erst seit Kurzem können Deutsche den dänischen MitID-Zugang erhalten, ohne den vorherigen Behördengang mit einem Zeugen oder einer Zeugin. Wobei dies allerdings nur für Deutsche mit einem Reisepass geht. Die dänischen Behörden scheinen nicht gewusst zu haben, dass viele in Deutschland nur einen Personalausweis haben. Für sie gilt immer noch – im digitalen Dänemark – der Gang zur Behörde.

Beispiel 2: Wer als Ausländerin oder Ausländer den dänischen Führerschein aufs Smartphone herunterladen möchte, kann dies nur mit einem dänischen Pass. Hunderttausende werden dadurch diskriminiert – nicht nur im Grenzland, sondern in ganz Dänemark.

Beispiel 3: Immer wieder werden gut integrierte Geflüchtete aus dem Land verwiesen, obwohl diese keinen Bezug zu ihrem Heimatland haben und in Dänemark sogar gebraucht werden. Es werden kaum nachvollziehbare Regeln und Sprachbarrieren aufgestellt, die scheinbar nur dazu da sind, es allen – außer dänischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern – schwer zu machen, in Dänemark Fuß zu fassen.

Beispiel 4: Oft treffen solche Restriktionen auch die eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Zum Beispiel, wenn Däninnen und Dänen aus dem Ausland zurückkehren und hier ihren Beruf nicht ausüben können, obwohl sie viele Jahre internationale Erfahrung gesammelt haben. Aber es zählt nur die „weltbeste“ dänische Ausbildung. Oder auch dürfen Partnerinnen und Partner nicht mit ihrem dänischen Freund oder der Freundin nach Dänemark einreisen. Ob man sich dann noch willkommen fühlt?

Dänemark mauert – und das ist nicht positiv gemeint wie bei der Handballnationalmannschaft. Dänemark lässt ungern jemanden aus dem Ausland rein (Touristen ausgenommen), und wem es dennoch gelingt, wird es alles andere als leicht gemacht. Guter Service fühlt sich anders an als die politischen und administrativen Hindernisse, die offensichtlich und absichtlich den Weg versperren.

Warum lernt die dänische Gesellschaft nicht vom Handball? Die dänischen Spieler sind nicht die weltbesten Handballer geworden, weil sie zu Hause in der dänischen Liga geblieben sind. Sie sind ins Ausland gereist, weil sie dort noch mehr lernen und besser werden konnten – gemeinsam mit Handballern aus vielen anderen Nationen. Und natürlich machen auch sie ihre Mannschaften besser.

Dänemark kann ebenfalls dazulernen, wenn die Gesellschaft internationaler aufgestellt wird. Es gibt viele Ausländerinnen und Ausländer, die Dänemark noch besser machen können. Dazu gehört aber auch der Wille, in Dänemark bei der Umsetzung Hilfestellung zu leisten – statt Steine in den Weg zu legen. Außerdem gehört grundsätzlich eine andere Einstellung dazu, als zu glauben, dass man in allen Belangen Weltmeister ist. Vielleicht können wir als Gesellschaft dazulernen – das ist gar nicht undenkbar.  

 

 

 

 

 

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