Vergangenheitsbewältigung

„Überfällige“ Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit an der Petri-Schule

„Überfällige“ Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit an der Petri-Schule

„Überfällige“ Aufarbeitung der Nazizeit an der Petri-Schule

Kopenhagen
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Die Vorsitzende des Schulvorstandes von Sankt Petri, Heike Omerzu (l.), moderiert das Gespräch mit dem Autor Jacob Halvas Bjerre, den Mitgliedern der Forscherkommission Joachim Lund und Ning de Conninck-Smith (v.l.). Foto: Walter Turnowsky

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Jahrzehntelang hielt die deutsche Schule in Kopenhagen an der Erzählung fest, man habe sich dem Einfluss der Nationalsozialisten entziehen können. Am Montag stellte die Schule das Buch „Den tyske Skole og Besættelsen“ vor, das die wahre Geschichte der Nazifizierung der Schule erzählt.

Der Sankt Petri-Schule im Zentrum von Kopenhagen ist es bis vor weniger als zehn Jahren gelungen, die Erzählung zu verbreiten, man habe sich mit Geschick dem nationalsozialistischen Einfluss entzogen.

Dass die Wahrheit eine andere ist, weiß die 99-jährige Bella Katznelson, die ab 1932 die deutsche Schule besuchte. Die jüdische Frau war dabei, als die Petri-Schule das von ihr in Auftrag gegebene Buch „Den tyske Skole og Besættelsen“ vorstellte. Sie meldete sich bei der Veranstaltung zu Wort, und obwohl sie als kleines Mädchen nicht alles verstanden habe, so habe sie die allmähliche Nazifizierung der Schule mitbekommen. Ihre Eltern nahmen sie 1934 von der Schule.

Zeitzeugin Bella Katznelson berichtet von ihrer frühen Schulzeit an der Petri-Schule. Foto: Walter Turnowsky

Historiker: Konsequente Nazifizierung

Der Historiker Jacob Halvas Bjerre hatte von einer von der Schule eingesetzten Historikerkommission die Aufgabe bekommen, eine unabhängige Studie über die Geschichte von Sankt Petri von 1930 bis 1950 zu erarbeiten.

Seine Schlussfolgerung im Buch ist eindeutig: „Die Sankt Petri-Schule erlebte einen langsamen, aber konsequenten Nazifizierungsprozess in so gut wie allen Bereichen.“ Seine Erkenntnisse sollen zukünftig in den Unterricht an der Schule einfließen. Die Vorsitzende der Schulkommission (des Vorstandes) von Sankt Petri, Heike Omerzu, bezeichnete vergangenen Freitag diese Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit als „überfällig“.

Falsche Erzählung bis 2016

Noch 2016 konnte „Weekendavisen“,  basierend auf offiziellen Quellen der Schule, schreiben, sie habe sich von nationalsozialistischer Beeinflussung freihalten können. Der Artikel löste eine größere öffentliche Diskussion aus, und infolgedessen gründete die Schule die Historikerkommission.

Reges Interesse für die Vorstellung des Buches: Es haben kaum alle Platz gefunden. Foto: Walter Turnowsky

Der Historiker Joachim Lund von der Copenhagen Business School (CBS) ist Mitglied der Kommission. Bei der Veranstaltung am Montag griff er die Frage der späten Auseinandersetzung mit dem dunklen Kapitel der Vergangenheit auf. Seine Erklärung dafür ist zum einen, dass die Schule nach der Besatzungszeit ums Überleben kämpfte, zum anderen gab es auch auf dänischer Seite, nach anfänglicher Skepsis, ein Interesse daran, die deutsche Schule in Kopenhagen zu bewahren.

„Wenn dann so eine Erzählung entsteht, man sei vom Nationalsozialismus nicht beeinflusst worden, dann stellt niemand die kritischen Fragen. Das haben wir auch bei großen Unternehmen gesehen, die während des Krieges mit Deutschland Handel betrieben haben“, sagt er im Anschluss an die Veranstaltung dem „Nordschleswiger“.

Das Buch isi bei Gads Forlag erschienen. Foto: Walter Turnowsky

Persilschein vom dänischen Unterrichtsminister

Der königliche ernannte Patron der Petri-Schule und -Kirche, Gustav Bardenfleth, spielte nach Jacob Halvas Bjerres Recherchen beim Einsatz für das Überleben der Schule eine zentrale Rolle. Er ging in den Ministerien ein und aus, kannte die Departementschefs (Staatssekretäre) und Minister. Nicht zuletzt seinem Einsatz sei es zu verdanken, dass die dänischen Behörden sich überzeugen ließen, die jahrhundertealte Schule bestehen zu lassen.

Nach einem Regierungswechsel 1947 ändert sich die Einstellung nicht nur gegenübeder Petri-Schule, sondern gegenüber aller deutschen Schulen in Dänemark. Und somit wird das Schicksal der Schule in dieser Zeit eng mit den neugegründeten deutschen Schulen verwoben.

1949 stellte der damalige Unterrichtsminister Hartvig Frisch (Soz.) dann der Schule einen Persilschein aus, und stellte fest, sie sei Dänemark gegenüber loyal gewesen. „Den nahm man natürlich an der Schule dankend an, denn damit haben die dänischen Behörden sie sozusagen freigesprochen“, so Halvas Bjerre.

Selektive Selbstdarstellung 

Wie sein Buch zeigt, spiegelte dieser Freispruch nicht die Entwicklung wider, die tatsächlich an der Schule stattgefunden hatte. In den nachfolgenden Selbstdarstellungen und Jahresschriften der Schule werden Informationen über die braune Vergangenheit heruntergespielt oder ganz ausgelassen.

Jacob Hakvas Bjerre bei der Präsentation seiner Ergebnisse Foto: Walter Turnowsky

„Es ist deutlich, dass Quellen weggelassen wurden, die schädlich sein konnten für die Darstellung der Schule und der Kirche als Kulturinstitutionen, die den Nationalsozialismus abgewiesen haben“, schreibt der Historiker in seinen Schlussfolgerungen.

Erst kurz vor dem eingangs erwähnten Artikel in „Weekendavisen“ begann man, die Erzählung vom Antinazismus intern an der Schule zu hinterfragen. Danach wurde die Debatte besonders intensiv. Joachim Lund wundert sich darüber, dass nicht früher kritische Fragen gestellt wurden.

„Ich habe keine Erklärung dafür, dass es so lange gedauert hat. Es muss ja Menschen gegeben haben, die gedacht haben, dass bei der Darstellung etwas nicht stimmt“, sagt er.

In der dänischen Öffentlichkeit spiele die Petri-Schule keine große Rolle. Daher seien auch von der Seite keine kritischen Fragen gekommen.

Die Petri-Schule ist die bislang einzige deutsche Auslandsschule, die einen einen unabhängigen Historiker beauftragt hat, die nationalsozialistische Vergangenheit zu untersuchen. Zeitzeuginnen und -zeugen, die man dazu befragen könnte, gibt es kaum noch. Die 99-jährige Bella Katznelson zählt zu den wenigen. 

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