Kommentar

„Zaghafte Digitalisierung doch gesünder?“

Zaghafte Digitalisierung doch gesünder?

Zaghafte Digitalisierung doch gesünder?

Apenrade/Aabenraa
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Bücher aus Papier sollten wieder mehr Teil des Unterrichts werden. Foto: COLORBOX

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An dänischen Schulen wird versucht, die Präsenz der digitalen Lernmittel im Klassenzimmer zu reduzieren – Deutschland hingegen befindet sich noch im Prozess der Digitalisierung. Treffen sich beide Länder bei diesem Prozess in der Mitte?

Immer öfter wird im dänischen Fernsehen von Aktionen an Schulen oder Nachschulen berichtet, bei denen Handys am Abend eingesammelt und erst am nächsten Morgen wieder herausgegeben werden. Die Maßnahmen werden zuvor mit den Schülerinnen und Schülern abgestimmt.

Die Zeit, die Heranwachsende vor verschiedenen Bildschirmen verbringen, steigt seit Jahren an, sodass nun immer öfter mit solchen Maßnahmen experimentiert wird.

Auch wenn es aus der Abwesenheit digitaler Möglichkeiten entsteht: Wie wertvoll ist das Einsammeln der Telefone, wenn die freie Zeit am Abend statt mit dem Handy mit einem Buch gefüllt wird? Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass man schwieriger in einen erholsamen Schlaf findet, wenn der Blick kurz vor dem Einschlafen auf den leuchtenden Handy-Bildschirm gerichtet ist. Einen gegenteiligen Effekt erlangt man hingegen, wenn man vorher ein paar Seiten in einem Buch liest. 

Heranwachsenden darf durch die omnipräsente Digitalisierung, aus der es sicherlich schwer ist, sich selbstständig zu befreien, nicht die Besonderheit des Erlebnisses vorenthalten werden, von einem guten Buch in den Bann gezogen zu werden.

Lesen bietet die perfekte Zerstreuung. Es ist nicht möglich, gleichzeitig am Handy zu daddeln – man muss sich zwangsläufig konzentrieren, um der Geschichte zu folgen. 

Auch im Unterricht ist der Blick den größten Teil der Zeit auf einen Bildschirm gerichtet.
Um dem Problem entgegenzuwirken, hat die schwedische Regierung nun ein Budget von 685 Millionen schwedischen Kronen verabschiedet, die in Unterrichtsmaterialien und physische Lehrbücher investiert werden sollen, berichtete „Politiken” Anfang Februar. Der schwedischen Bildungsministerin Lotta Edholm zufolge sei es der Wunsch der schwedischen Regierung, den Alltag der Schulkinder mit Lesen und Wissen zu füllen – statt mit Bildschirmzeit.

Deutschland kann einmal mehr von den skandinavischen Ländern lernen

Bereits 2019 wies die damalige Bildungsministerin Dänemarks, Pernille Rosenkrantz-Theil (Sozialdemokratie), darauf hin, dass ihrer Meinung nach die Digitalisierung an mancher Stelle zu weit geht. Einige Schulen würden Bücher wegwerfen, da sie durch digitale Lernmittel und E-Bücher überflüssig geworden seien. Laut Rosenkrantz-Theil sei es wichtig, einen gesunden Ausgleich zwischen physischen und digitalen Lehrmitteln zu schaffen. Ihre Ansichten trafen bei verschiedenen Leuten auf breite Zustimmung.

Dann kam die Pandemie, und die Relevanz der digitalen Möglichkeiten bestätigte sich.
Dänemark konnte ohne Weiteres den Online-Unterricht direkt umsetzen, Deutschland versagte. Das Ausmaß der Digitalisierungs-Trägheit wurden offensichtlich – die Schülerinnen und Schüler waren wohl die größten Leidtragenden.

Nun haben wir 2023, die Pandemie ist weitgehend überstanden. Deutschland will aus der Versäumnis gelernt haben und investiert in Digitalisierung. In Skandinavien ist währenddessen eine gegenteilige Tendenz zu erkennen.

Das wirft die Frage auf, ob sich Deutschland mit der wohlbekannten bürokratischen Trägheit doch einmal fortschrittlicher erweist als die skandinavischen Länder. Ist Deutschland bezüglich des zurückhaltenden Einsatzes von digitalen Mitteln in Schulen unabsichtlich bereits dort angelangt, wo man im Norden wieder hin möchte?
Sollte Deutschland sich diese Erkenntnisse nicht zu eigen machen und sich einer vorausschauend handelnden Bildungsstrategie rühmen? 

Ein Kompromiss aus physischen und digitalen Lehrmitteln

Bei aller Kritik muss auch das vielseitige Potenzial, das die Digitalisierung an Schulen mit sich bringt, erwähnt werden. Der Unterricht kann viel leichter und schneller den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler angepasst werden. Insbesondere für diejenigen mit Lese- und Rechtschreibschwäche ist die Digitalisierung ein riesiger Gewinn.

Deutschland hat hier nach wie vor starken Nachholbedarf, aber vielleicht kann man dank dieser Erkenntnisse der Rückständigkeit Deutschlands doch etwas gelassener begegnen, ihr vielleicht sogar etwas Gutes abgewinnen. Der Umgang mit physischen Lehrbüchern und Lehrmethoden ist den deutschen Schülerinnen und Schülern auf jeden Fall vertraut.

Dennoch dürfen Bücher und Unterricht fernab des Bildschirms nicht vernachlässigt werden. Ein ausgewogener Kompromiss aus physischen und digitalen Lehrmitteln ist optimal und erstrebenswert. Hierfür muss Deutschland vielleicht ein bisschen Gas geben – Dänemark im Gegensatz dazu etwas auf die Bremse treten.

 

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