Südschleswig

Zu besichtigen: Ein Staatsgeheimnis mit Stahltüren unter der Akademie Sankelmark

Zu besichtigen: Ein Staatsgeheimnis mit Stahltüren unter der Akademie Sankelmark

Staatsgeheimnis mit Stahltüren unter der Akademie Sankelmark

Sankelmark
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Mehrere Türen im Bunker bestehen aus etwa zwölf Zentimeter dickem Stahl. Peter Weber ist darin geübt, sie zu öffnen. Foto: Karin Riggelsen

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Viele, viele Male haben Mitglieder der deutschen Minderheit die Neujahrstagung in der Akademie Sankelmark besucht. Dass „Simon“ in all den Jahren auch da war, hat wohl niemand geahnt. Bei der nächsten Tagung im Januar steht einer Kontaktaufnahme nichts mehr im Weg. Wir haben ihn uns vom ehemaligen Hausmeister schon mal vorstellen lassen.

Er heißt Simon, ist 70 Jahre alt und ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Der Bunker, der diesen Namen trägt, wurde 1962 unter eines der Gästehäuser der Akademie Sankelmark, in der Nähe von Flensburg, gebaut. Das „S“ von Simon steht für Sankelmark, einen „Kollegen“ mit dem Namen Ludwig gab es zum Beispiel im wenige Kilometer entfernten Lindewitt.

Simon, der sich etwa einen Meter unter der Erde befindet, wurde als sogenannter Ausweichsitz der schleswig-holsteinischen Landesregierung errichtet. Dort hätten die Bediensteten des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums sowie des Sozialministeriums im Falle eines Atomkrieges ihre Amtsgeschäfte weiterführen sollen. 

Ein Staatsgeheimnis mit zwölf Zentimeter dicken Stahltüren.

Der Zugang ist eher unspektakulär

Ein großer Ficus Benjamini im Blumenkübel lenkt von der unscheinbaren kleinen Pforte im Eingangsbereich des Gästehauses 1 ab. Von dort führt eine Wendeltreppe zum Bunker hinab.

Ein Benjamin lenkt von der Kellertreppe ab, die zu Simon führt. Foto: Karin Riggelsen

Hineinzukommen war früher naturgemäß nicht so einfach. Links an der Wand hängt noch eine Art Tresor. „Hier mussten zunächst vier Zahlen eingegeben werden“, erzählt Peter Weber beim Besuch des „Nordschleswigers“. Der gelernte Tischler und ehemalige Hausmeister der Akademie und seine Frau Erika haben von 1981 bis 1990 auf dem Gelände der Akademie gewohnt – in den letzten Jahren ihrer Dienstzeit direkt über dem Bunker – und die Anlage in Schuss gehalten. „Dann wurden an der eigentlichen Eingangstür vier weitere Zahlen eingegeben“, so Weber weiter. „Wenn all das stimmte, leuchtete eine grüne Lampe auf, und die Stahltür ließ sich öffnen.“

Ob das Ehepaar Weber im Ernstfall wohl auch mit in die Schutzräume gedurft hätte? „Vielleicht, wenn die Leute die dicke Tür nicht allein aufgekriegt hätten“, sagt der 84-Jährige lachend.

Lichtschalter aus schwarzem Bakelit

Heute steckt er einfach einen Schlüssel ins Schloss und gibt den Blick frei auf einen langen Gang. In Augenhöhe alte Lichtschalter aus schwarzem Bakelit, über den Köpfen Neonröhren und andere Lampen, die so aufgehängt sind, dass sie Spiel haben, damit sie bei Erschütterung nicht zerbrechen.

Heute öffnet Peter Weber den Bunker mit einem einfachen Schlüssel. Foto: Karin Riggelsen

 

„Hier hing früher eine Alarmanlage“, sagt Peter Weber und zeigt auf eine Wand, wo Dübel in gebohrten Löchern sitzen und Schrauben aus der Wand ragen.

Nachdem 1986 noch ein Anbau fertig geworden war, hätte der Bunker 155 Personen einen mehrwöchigen Aufenthalt geboten. Mit halb so vielen Betten – sie hätten in Schichten schlafen müssen –, mit Arbeits-, Kommunikations- und Schutzräumen, einem Krankenzimmer und einem Dekontaminierungsraum. Nur der Ministerpräsident hätte ein eigenes Zimmer bekommen.

Kurbeln für die Frischluft

Es gab eine eigene Wasserversorgung, und die natürliche Luftzufuhr hätte bei einem Angriff mit atomaren oder chemischen Waffen eine Filteranlage passiert. Bei Stromausfall wäre die Belüftung per Handbetrieb weitergelaufen. Einfach kurbeln.

Der ehemalige Hausmeister der Akademie Sankelmark, Peter Weber, demonstriert, wie die Belüftung bei Stromausfall gesichert gewesen wäre – per Handbetrieb. Foto: Karin Riggelsen

 

Etliche Räume gehen von den Fluren ab. „Meine Frau ist hier damals mit der Bohnermaschine entlanggefahren“, sagt Weber, und in Erinnerung daran beschreiben seine Hände Schlangenlinien, an denen er das imaginäre Gerät den Flur entlang steuert.

Lebensmittel und Leichensäcke

Die ehemalige Telefonistin Erika Weber arbeitete in der Akademie als Angestellte im Landesdienst. Dass sie den Bunker sauber hielt, Handtücher, Bettwäsche, aber auch Leichensäcke verwaltete und das Haltbarkeitsdatum der Lebensmittelvorräte im Blick hatte, durfte natürlich niemand wissen. „Wir sind damals von einem Staatssekretär zu strenger Geheimhaltung verpflichtet worden“, erinnert sich Peter Weber.

Der Bunker liegt unter der Erde wie ein ganz normaler Keller, diente aber dem Schutz vor atomarer oder chemischer Verseuchung. Foto: Karin Riggelsen

 

Aber Bescheid wussten letztlich doch einige Leute. Nicht nur die Handwerker, die ab und zu im Bunker zu tun hatten und die Erika Weber dann hineinließ. Auch für die drei Männer, die 1986 während der Errichtung des Anbaus plötzlich in einem Auto mit Gardinen auf dem Akademiegelände aufgetaucht waren und fotografierten, wird der Bunker kein Geheimnis gewesen sein. „Sie hatten ein russisches Kennzeichen“, erzählt Peter Weber grinsend.

Es gab auch ein Krankenzimmer

Heute dient der Bunker in erster Linie als Lagerstätte für Akten. In Raum 8 befand sich früher das Krankenzimmer: „Bis zur Blinddarm-Operation wurde hier alles gemacht“, versichert der 84-jährige Weber, um gleich darauf lachend einzuräumen: „Nein, das ist natürlich Quatsch.” Aber kein Wunder, dass die Fantasie so manche Szenerie ersinnt, wenn man jahrein, jahraus während vieler Dienststunden dafür gesorgt hat, dass der Katastrophenfall wenigstens im Bunker reibungslos hätte gemanagt werden können.

Kein Licht, aber trotzdem etwas zu erkennen – fluoreszierende Farbe macht’s möglich. Foto: Karin Riggelsen

 

Bei Stromausfall etwa wäre die räumliche Orientierung möglich gewesen, weil die Wände der Anlage mit fluoreszierender Farbe bestrichen sind.

Der Bunker war zunächst nur auf Männer ausgelegt. Erst in den 80er-Jahren – mit dem steigenden Anteil von Frauen in Führungspositionen – wurden auch sanitäre Anlagen für Frauen eingebaut.

Nach der Wende 1990 wurde der Bunker aufgelöst. Doch erst 2011 durfte das, was von ihm übrig ist, öffentlich gezeigt werden. Wie es dort früher wirklich ausgesehen hat, ist heute – etwa in Fotos – noch immer nicht einsehbar. Bilder von damals gelten weiterhin als Geheimsache.

Die Tastentelefone sind noch da – Relikte aus der Zeit des Kalten Krieges. Foto: Karin Riggelsen

Das Inventar haben nach der Auflösung gemeinnützige Institutionen bekommen. „Es war ja aus Steuermitteln gekauft worden“, sagt Peter Weber, „also musste es an öffentliche Einrichtungen abgegeben werden.“ Etwa die Lebensmittel, Bettwäsche, Handtücher und anderen Dinge für den täglichen Bedarf – beziehungsweise für den atomaren Ernstfall. Nur die Tastentelefone wollte keiner haben, deshalb liegen heute noch etwa 100 Stück von ihnen in Raum 5, der damaligen Kommunikationszentrale.

Die Betonquader hinter Peter Weber tarnen einen Notausstieg. Foto: Karin Riggelsen

Im Rahmen der Neujahrstagung des Bundes Deutscher Nordschleswiger können sich Interessierte den Bunker anschauen. Termin: Sonnabend, 14. Januar 2023, 16.30 Uhr. Anmeldelisten liegen dann in der Akademie aus.

 

 

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