Infrastruktur

Was Volker Wissings neue Verkehrsprognose für Schleswig-Holstein bedeutet

Was Volker Wissings neue Verkehrsprognose für Schleswig-Holstein bedeutet

Was Volker Wissings neue Verkehrsprognose für SH bedeutet

Henning Baethge/shz.de
Kiel
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Sieht sich im Streit mit den Grünen bestätigt: Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Foto: Bernd von Jutrczenka/shz.de

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Der Bundesverkehrsminister legt eine langfristige Vorhersage bis 2051 vor – und erntet Kritik von den Grünen und seinem Kieler Amtskollegen Claus Ruhe Madsen. Dabei geht es auch um die Küstenautobahn A20. Aber nicht nur. 

Mehr Güter von der Straße auf die Schiene verlagern will die Ampelkoalition in Berlin – doch die am Freitag von Verkehrsminister Volker Wissing vorgelegte Verkehrsprognose bis 2051 zeigt, dass diese Wende noch nicht mal in der fernen Zukunft gelingt: Der Anteil der Schiene an den Gütertransporten sinkt demnach sogar in den nächsten drei Jahrzehnten um fast zwei Prozentpunkte auf nur noch 17 Prozent, der Anteil der Straße steigt um vier Punkte auf 78 Prozent. Insgesamt steigt der Güterverkehr in Deutschland gegenüber 2019 um 46 Prozent, auf der Straße gar um 54.

Der Güterverkehr nimmt vor allem auf der Straße zu

Als Hauptgrund für die stärkere Zunahme der Transporte auf der Straße nennt FDP-Minister Wissing einen „Strukturwandel“ im Güterverkehr: „Durch die Energiewende gibt es einen starken Rückgang bei Massen- und Energiegütern wie Kohle, Koks, Mineralölprodukten und Erzen, die bisher vor allem auf der Schiene und den Wasserstraßen transportiert wurden“, erklärt Wissing. Großes Wachstum dagegen gebe es bei Gütern, die auf der Straße befördert würden, wie Postsendungen oder Lebensmitteln.

Weniger stark als der Güterverkehr wächst der Personenverkehr in Deutschland – nur um 13 Prozent. Hier verschiebt sich zudem das Gewicht tatsächlich etwas zugunsten von Bahn und Bus: Deren Anteil an den zurückgelegten Wegen steigt um rund vier Prozentpunkte auf gut 18 Prozent, das Auto verliert sechs Punkte, bleibt aber mit 68 Prozent das mit Abstand wichtigste Verkehrsmittel. Das Fahrrad gewinnt knapp einen Punkt und kommt auf vier Prozent.

Wo die A20 weitergehen soll, steigt der Verkehr gar nicht

In Schleswig-Holstein nimmt der Personenverkehr vor allem rund um Hamburg zu, aber auch in Dithmarschen, wo die Prognose ein besonders starkes Wirtschaftswachstum unterstellt, sowie in Rendsburg-Eckernförde und Ostholstein. Im nördlichen Landesteil dagegen steigt er kaum. Auffällig ist außerdem, dass der Personenverkehr im Norden Niedersachsens, wo die Küstenautobahn A20 weitergebaut werden soll, sogar stagnieren wird. Für den Güterverkehr hat Wissing noch keine regionalisierten Daten veröffentlicht.

Durch die neue Langfristprognose sieht sich der Minister im Dauerstreit mit dem grünen Koalitionspartner um den Bau von neuen Autobahnen bestätigt. „Wir benötigen einen leistungsfähigen und klimaneutralen Verkehrsträger Straße“, sagt Wissing. Daher sei eine schnellere Planung auch bei Autobahnen nötig. Derzeit ringt er mit den Grünen darum, ob auch für den Bau neuer Autobahnen wie der A20 ein „überragendes öffentliches Interesse“ gesetzlich festgeschrieben werden soll. Dann wäre es deutlich schwieriger, solche Projekte vor Gericht zu stoppen.

Die Grünen lehnen die neue Verkehrsprognose allerdings ab. „Diese Prognose kann und wird für keine Infrastrukturplanung die Grundlage sein“, sagt ihr Bahnexperte Matthias Gastel. Er kritisiert, dass „weitgehend Entwicklungen aus der Vergangenheit in die Zukunft übertragen wurden, statt Entwicklungen nach einem Konzept zu steuern.“ Wissing wolle einem Zuwachs an Lastwagen den „roten Teppich“ ausrollen. „Seine Aufgabe wäre jedoch, für ein leistungsfähigeres Schienennetz zu sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit der Güterbahn zu stärken“, mahnt Gastel.

Grüne im Norden sehen sich in Kritik an A20 bestärkt

Bei Schleswig-Holsteins Grünen sieht sich Verkehrspolitikerin Nelly Waldeck angesichts des stagnierenden Personenverkehrs im Norden Niedersachsens in ihrer Skepsis gegenüber dem Weiterbau der A20 von Bad Segeberg unter der Elbe hindurch bis nach Westerstede bestätigt. „Wir Grüne haben immer darauf hingewiesen, dass die Verkehrsprognosen keine sieben Milliarden Euro teure Autobahn rechtfertigen“, sagt sie.

Kieler Minister Madsen stört sich am Streit in der Ampel

Dagegen hält der Kieler Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen den 200 Kilometer langen Weiterbau weiterhin für erforderlich: „„Die A20 kann ihre volle Verkehrswirkung erst dann entfalten, wenn sie durchgängig bis Niedersachsen befahrbar ist“, sagt der parteilose Minister. Ein „bedarfsgerechter Ausbau von Straßen“ sei weiterhin nötig: „Sonst werden wir das bestehende Wirtschaftsniveau nicht halten können.“ Allerdings sei in diesem Punkt „leider keine Einigkeit in der Bundesregierung zu erkennen“, kritisiert Madsen.

Mehr Ladestationen und Autobahnrastplätze gefordert

Gleichzeitig fordert er Wissing auf, weitere Konsequenzen aus der neuen Prognose zu ziehen. So müsse der Bund mehr Tempo machen beim Ausbau von Ladestationen und regenerativem Strom. „Sonst kann der Energiebedarf der künftigen Mobilität nicht gedeckt werden.“ Und Madsen moniert, dass es nicht zuletzt im Norden viel zu wenig Rastplätze an Autobahnen für den wachsenden Lkw-Verkehr gebe. „Das ist ein immenses Problem – hier ist der Bund gefordert, Abhilfe zu schaffen.“

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