Minderheitensprache

ECMI setzt Friesisch als neuen Forschungsschwerpunkt

ECMI setzt Friesisch als neuen Forschungsschwerpunkt

ECMI setzt Friesisch als neuen Forschungsschwerpunkt

Flensburg
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Ruth Kircher und Martin Klatt
Forscherin Ruth Kircher mit ihrem Kollegen Martin Klatt im Kompanietor in Flensburg Foto: ECMI

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Das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen holt mit Ruth Kircher eine renommierte Forscherin auf dem Gebiet der Minderheitensprachen ins Boot. Sie soll in den kommenden zwei Jahren untersuchen, ob und wie die nordfriesische Sprache innerhalb der Familie weitergegeben wird – und welche Mittel es für den Erhalt der Sprache braucht.

Das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen (ECMI) will in einem aktuellen Forschungsprojekt beleuchten, wie die nordfriesische Sprache innerhalb der Familie weitergegeben wird. Dafür hat sich das ECMI laut Pressemitteilung eine erfahrene Expertin ins Team geholt. Die Soziolinguistin Dr. Ruth Kircher beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Mehrsprachigkeit und Minderheitensprachen. 

Sie soll unter anderem die Frage beantworten, warum die Minderheitensprache in einigen Familien beibehalten wird – und in anderen nicht. Insbesondere die Faktoren, die eine Weitergabe der Sprache von Generation zu Generation begünstigen, sollen ermittelt werden. Dabei soll auch im Fokus der Forschung stehen, welche Ressourcen Familien benötigen, um ihre Kinder mehrsprachig mit Deutsch und Nordfriesisch großzuziehen.

Erhalt von Minderheitensprachen fördern

„Mein letztes Forschungsprojekt hat gezeigt, dass Eltern, die ihre Kinder mit Minderheitensprachen erziehen, zwischen zwei Arten von Ressourcen unterscheiden. Hierbei handelt es sich um Ressourcen, die Kindern direkt beim Spracherwerb helfen – wie zum Beispiel Kinderbücher und Spiele in der Minderheitensprache sowie Mittel, die Eltern dabei unterstützen, die Minderheitensprache an ihre Kinder weiterzugeben – wie zum Beispiel Webseiten und Videos, die relevante Informationen übermitteln“, sagt Ruth Kircher auf Nachfrage des „Nordschleswigers“.

Ein Teil des Projektes sei es nun, herauszufinden, welche Ressourcen derzeit schon genutzt werden und welche sich Eltern zur Unterstützung wünschen. 

Wurzeln in der nordfriesischen Minderheit

Kircher kommt ursprünglich aus Köln, hat aber familiäre Wurzeln in der nordfriesischen Minderheit. Seit April 2023 ist sie als Wissenschaftlerin im Forschungscluster „Dänisch – Deutsche Minderheitenfragen“ tätig, welches sich mit Fragestellungen zu allen vier in der Grenzregion lebenden nationalen Minderheiten beschäftigt. Dies schließt außer den Nordfriesen auch die Sinti und Roma und die dänische Minderheit in Deutschland sowie die deutsche Minderheit in Dänemark ein.

„Ein wichtiges Ziel meines neuen Projekts ist es, die Spracheinstellungen von friesischsprachigen Eltern zu erforschen.“ Dabei legt Kircher den Fokus nicht nur auf die Einstellung, die Eltern gegenüber der Minderheitensprache selber haben, ​sondern auch ihre Einstellungen gegenüber dem Phänomen der Mehrsprachigkeit. „Positive Einstellungen beider Art bedingen die Weitergabe von Minderheitensprachen maßgeblich“, so die Expertin.  

Friesisch als Forschungsschwerpunkt

Das Friesische ist schon länger einer von Ruth Kirchers Forschungsschwerpunkten. Am Mercator European Research Centre on Multilingualism and Language Learning / Fryske Akademy in Leeuwaarden erforschte sie zum Beispiel sogenannte „new speakers“ des Westfriesischen – Menschen, die nicht mit der Minderheitensprache aufgewachsen sind, sondern sich als Erwachsene dazu entschlossen haben, diese zu lernen.

Mit den Forschungsergebnissen als Grundlage entwickelte sie Unterrichtsmaterialien, welche die „new speakers“ dazu ermutigen, das Westfriesische auch im Alltag verstärkt anzuwenden. Zusammen mit einer Kollegin von der Allgemeinen friesischen Bildungskommission (Afûk) erstellte sie darüber hinaus eine Kampagne zur Förderung des Minderheitensprachgebrauchs.

Die gezielte und forschungsbasierte Förderung der Sprachweitergabe von Eltern an ihre Kinder kann erheblich zum Erhalt und der Revitalisierung des Friesischen beitragen.

Ruth Kircher, Minderheitensprachforscherin am ECMI

Fragebogen an drei Gruppen

In Nordfriesland sollen die Daten für das Projekt hauptsächlich mithilfe eines Fragebogens erhoben werden. Dazu sollen drei Gruppen befragt werden – Eltern, die das Friesische derzeit an ihre Kinder weitergeben, Eltern, die Friesisch sprechen, sich aber dagegen entschlossen haben, es an ihre Kinder weiterzugeben, und werdende Eltern, die derzeit entscheiden, ob sie das Friesische weitergeben oder nicht. 

„Wie viele andere Minderheitensprachen steht das Friesische vor der Herausforderung, neue Sprecherinnen und Sprecher zu finden – sowohl in unserer Generation als auch in den kommenden Generationen“, so Kircher. „Auch wenn es immer weniger Mehrgenerationenhaushalte gibt: Die gezielte und forschungsbasierte Förderung der Sprachweitergabe von Eltern an ihre Kinder kann erheblich zum Erhalt und der Revitalisierung des Friesischen beitragen.“

Am besten sei es, wenn derartige Maßnahmen Unterstützung von außerhalb der Familie erhalten, so die Expertin. „In welchem Maße dies der Fall ist, wird eines meiner zukünftigen Forschungsprojekte untersuchen.“

Wichtiger Baustein soll in Projekt einfließen

Kirchers vorheriges Forschungsprojekt befasste sich ebenfalls mit sprachlichen Minderheiten in der kanadischen Provinz Quebec. Für die kollaborative Studie wurden insgesamt mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer befragt. Die eigens dafür entwickelten Forschungsmaterialien sowie die gewonnenen Erkenntnisse werden für das kommende Projekt zum Nordfriesischen von elementarer Bedeutung sein: „Wir warten noch auf einen wichtigen Baustein, der die Studie komplementiert. Sobald dieser da ist, kann es losgehen“, so Ruth Kircher. Dabei handelt es sich um die Analyse eines letzten Datensatzes aus dem Quebec-Projekt.

Zusammenarbeit mit anderen Institutionen

Das neue Projekt ist für zwei Jahre angelegt und wird mit anderen Forschungsinstitutionen, wie dem Nordfriisk Instituut und dem Institut für Frisistik und Minderheitenforschung der Europa-Universität Flensburg, zusammenarbeiten. Die Forschungsergebnisse von Kirchers erstem Projekt am ECMI bieten eine wichtige Grundlage für die effektive Unterstützung und Förderung der Weitergabe des Nordfriesischen innerhalb der Familie.

Über das ECMI

Seit fast 27 Jahren beschäftigen sich die Forscherinnen und Forscher des Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen (ECMI) in Flensburg mit Minderheitenthematiken in ganz Europa. Gründungsgedanke war es, das hiesige Miteinander der Minderheiten und Mehrheiten als Best-Practice-Beispiel zu nutzen und den Blick auf andere, stärker konfliktbehaftete Minderheitensituationen zu richten. Nun ist es wieder im Interesse des Forschungszentrums, seine direkte Umgebung mehr zu erforschen, denn auch diese hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert und steht vor neuen Herausforderungen. So auch das Friesische.

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