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Darum boykottiert das Chilleck in Leck die WM in Katar

Darum boykottiert das Chilleck in Leck die WM in Katar

Darum boykottiert das Chilleck in Leck die WM in Katar

Marco Nehmer/shz.de
Leck
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Der Mann hinterm Tresen: Ferdi Önal, Chilleck-Betreiber, verzichtet aus freien Stücken auf die Übertragung der WM in seinem Laden. Foto: Marco Nehmer/shz.de

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Gastwirt Ferdi Önal müsste die Spiele der Weltmeisterschaft aus wirtschaftlichen Gründen eigentlich zeigen – und trotzdem verzichtet er. Andere Kneipen in Südtondern übertragen dagegen.

Ferdi Önal ist ratlos. Das kommt nicht häufig vor, der 39-Jährige schmeißt seit drei Jahren in der Lecker Hauptstraße recht erfolgreich das Chilleck, eine Cocktail-Bar mit Shisha-Lounge. Ein Unternehmertyp, der bislang mit allen Herausforderungen zurechtkam, der anpassungsfähig ist, auf alles eine Antwort zu haben scheint. Aber jetzt das: Katar, Fußballweltmeisterschaft. „Die Lage, in der wir uns befinden“, sagt Önal, „zwingt uns eigentlich dazu, die Spiele zu zeigen.“ Die Energiekosten, die Umsatzeinbußen, die Leute sparen unter dem allgemeinen wirtschaftlichen Druck am Nachtleben. Da muss man locken, die WM erscheint wie das perfekte Zugpferd. „Mein Herz sagt aber etwas anderes.“

„Das ist eine WM auf Kosten billiger Arbeitskräfte“

Dürfte das Herz allein entscheiden, dann bleibt der Fernseher im „Chilleck“ aus, wenn ab Sonntag kommender Woche der Ball am Persischen Golf rollt. „Ich würde die WM gerne boykottieren“, sagt Önal. „Aber ob es was bringt?“ Eine Frage, die er nicht beantworten kann, die niemand beantworten kann. Aber da sind diese Bilder, die ihn beschäftigen, diese Berichte. „Das ist eine WM auf Kosten billiger Arbeitskräfte“, sagt Önal, Vater dreier Kinder. „So viele Menschen haben darunter gelitten.“ Er schaut herüber zu seiner Mitarbeiterin, Nadja Hahn. „Was machen wir jetzt? Boykottieren?“

Es ist Mittwochabend, und Önal ringt mit sich, mit seiner Haltung. Einen Tag später, am Donnerstag, hat das Herz dann endgültig obsiegt über den inneren Buchhalter: keine WM im Chilleck. „Ich kann das nicht unterstützen“, sagt Önal, „und dann so einen Abend veranstalten.“ Was er meint: In seinem barrierefreien Laden planen sie gerade herum an einer regelmäßigen Inklusionsdisco für Menschen mit und ohne Behinderung, in Kooperation mit dem Projekt „Südtondern inklusiv“. Alles kostenlos, ehrenamtlich, auf eigene Initiative. Mitte Dezember soll es losgehen. Ziemlich genau dann, wenn in Katar das WM-Finale angepfiffen wird. Aber das interessiert sie hier nicht mehr.

Läuft die WM im Colle und im Café Kö. in Niebüll?

Andere Gastronomen in der Region gehen da schon pragmatischer mit der Weltmeisterschaft um. Das Colle etwa, in Sichtweite vom Chilleck, zeigt sie. Was wenig verwunderlich ist, schließlich definiert man sich selbst als Sportsbar. Die komplette WM gibt‘s hier aber nicht – sondern nur die Spiele, die in den normalen Öffnungszeiten liegen. „Anders können wir das personell gar nicht machen“, sagt Geschäftsführerin Karina Diederichsen. Heißt unter anderem: Beim ersten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft gegen Japan (23.11., 14 Uhr) bleibt die Tür zu. Wer die frühen Spiele sehen will, muss da schon nach Niebüll, ins Café Kö. Die Betreiber haben sich früh festgelegt. „Uns war klar, dass wir die WM live zeigen werden“, sagt Vellat Urey.

Die EM 2024 macht der Gastro-Szene Hoffnung

Dass sie in einem Land stattfindet, das wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht, gerade erst hat der WM-Botschafter Homosexualität als „geistigen Schaden“ bezeichnet, das habe man eben nicht selbst entschieden. „Und der Sinn der WM ist doch“, sagt Urey, „dass alle Kulturen zusammenkommen.“ Im Kö hoffen sie nun, dass die Gäste zusammenkommen, in ihrem Laden. Auch wenn das große Problem ungelöst bleibt: Den Leuten geht es gerade ans Geld. „Ich glaube“, sagt Urey deshalb, „dass weniger Gäste als bei früheren Turnieren da sein werden.“

Auch bei Ferdi Önal gab es Zeiten, da war die Hölle los. Der unbeschwerte EM-Sommer 2021, die Bar-Terrasse geschmückt in Schwarz-Rot-Gold. Feiernde Fans, kein Platz war mehr übrig, die Bilder davon gibt es noch bei Instagram zu sehen. Eineinhalb Jahre später ist von der Euphorie nicht mehr viel nach. Aber es gibt Hoffnung, fürs Chilleck, für die gesamte Gastro-Szene, für den Fußball überhaupt: 2024 ist wieder Europameisterschaft. Diesmal in Deutschland. Die Bars werden übertragen. Und die Leute werden kommen.

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