Nachruf

Ich hatte einen Freund

Ich hatte einen Freund

Ich hatte einen Freund

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Ein Bild aus „jüngeren Tagen“: Siegfried Matlok und Peter Iver Johannsen.
Ein Bild aus „jüngeren Tagen“: Siegfried Matlok und Peter Iver Johannsen Foto: Siegfried Matlok

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Siegfried Matlok zum Tode von Peter Iver Johannsen

Mein Freund Iverle – und nur so habe ich ihn nach einem gemeinsamen Schwarzwald-Urlaub genannt – ist nicht mehr da. Wir, die ihm nahestanden und die seinen Kampf gegen die heimtückische Krankheit bis zuletzt aus nächster Nähe im Apenrader Krankenhaus mit stetig wachsender Besorgnis miterlebt haben und dabei sein trauriges Ende immer mehr befürchten mussten, haben ihn selbst in dieser schweren Zeit bewundert. Angesichts (s)einer persönlichen Eigenschaft, die ihn privat und beruflich immer ausgezeichnet hatte: Zuversicht – mit einem schier unerschöpflichen Glauben, es werde schon gut gehen.

Leider, leider nicht, aber in seinen 80 Jahren ist ihm so viel gelungen, dass wir uns nun alle vor seiner Lebensleistung ehrenvoll verbeugen.

Die Entscheidung im Kopenhagen Hotel

Den Namen Peter Iver Johannsen habe ich 1972 zum ersten Mal im Kopenhagener „Hotel Alexandra“ gehört, wo sich der BDN-Hauptvorsitzende Harro Marquardsen, Chefredakteur Jes Schmidt und Schulrat Arthur Lessow abends auf eine Sitzung am nächsten Tag im Kopenhagener Kontaktausschuss vorbereiteten und dabei auch die Nachfolge von Generalsekretär Rudolf Stehr diskutierten. Harro Marquardsen schlug plötzlich den Namen Peter Iver vor, der in Kopenhagen eine Agronom-Ausbildung abgeschlossen hatte und der sich zuvor als landwirtschaftlicher Mitarbeiter seit 1963 auf Harros Hof in Fauerby fachlich und menschlich so bewährt hatte, dass Marquardsen ihn als qualifiziert für das hohe Amt empfahl und dafür prompt auch die Zustimmung der beiden anderen fand. 

Da Peter Iver zu dem Zeitpunkt noch beim Landwirtschaftlichen Hauptverein als Konsulent tätig war, gab es Riesen-Ärger zwischen BDN und LHN, der selbst Karrierepläne mit Peter Iver hatte. Letztlich konnte man sich einigen, und Johannsen wurde 1973 zum neuen Generalsekretär berufen.

Mein erster Schlagabtausch mit Peter Iver 

Ich lernte Peter Iver kurz nach seiner Wahl kennen. Vor mehr als 50 Jahren begann unsere – sich seitdem tief entwickelte – Freundschaft mit einem bösen Krach: Johannsen hatte sich nämlich zuerst von „Jydske Tidende“ interviewen lassen – und nicht vom hauseigenen „Nordschleswiger“, was ich ihm natürlich zum Vorwurf machte. Ein Fehler, der sich seitdem nie wiederholte; im Gegenteil, hat gerade „Der Nordschleswiger“ ihm so unendlich viel zu verdanken!

Vater positiv – Vorgänger negativ

In der deutschen Minderheit rief seine Wahl Freude hervor, viel jünger als sein Vorgänger war er ein Zukunftssignal. Und seine Wahl sorgte gleichzeitig auch auf dänischer Seite für einen ersten grenzlandpolitischen Klimawandel. Dafür gab es zwei Gründe. Peter Ivers Vater, der frühere Flensburger Büchereidirektor Dr. Hans Peter Johannsen, gebürtiger Nordschleswiger aus Tingleff, gehörte zusammen mit Professor Troels Fink und dem schleswig-holsteinischen Minister Dr. Hartwig Schlegelberger zu einem Gesprächskreis, der erste vorsichtige Versöhnungsschritte unternahm – u. a. hatten sie 1954 zur Etablierung der „Flensburger Tage“ beigetragen, die eine erste Plattform deutsch-dänischer Begegnungen schufen, um nach Krieg und Besatzung mühsam gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Der Name seines in einflussreichen, intellektuellen dänischen Kreisen hoch angesehenen Vaters war ein sofortiger Sympathie-Gewinn für Peter Iver, und hinzu kam ganz entscheidend, dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger überhaupt nicht mit der Nazi-Zeit belastet war.

Stehr hatte für die Minderheit nach 1951 als Generalsekretär zwar gute Arbeit geleistet, aber seine braune Vergangenheit, seine führende Rolle in der Nazi-Zeit – u. a. als Leiter des deutschen Kontors beim Staatsministerium in Kopenhagen – machte ihn für viele Dänninnen und Dänen zur Persona non grata. Ein kleines Beispiel für den dänischen Sinneswandel: Stehr blieb es stets verboten, als Generalsekretär an den Sitzungen des Kopenhagener Kontaktausschusses teilzunehmen, während Peter Iver sofort von der dänischen Regierung eingeladen wurde – künftig als inoffizielles Mitglied dabei zu sein. 

Huckepack mit Peter Iver

In seinem neuen Amt verlieh Peter Iver dem Bund Deutscher Nordschleswiger neue Ideen und Impulse, seine erste große Herausforderung war politischer Art. Das Angebot des früheren sozialdemokratischen Bürgermeisters und Folketingsabgeordneten Erhard Jakobsen, der deutschen Minderheit einen Platz auf der Liste seiner neu gegründeten Partei CD („Centrums-Demokraterne“) sozusagen im Huckepack-Verfahren anzubieten, schlug 1973 wie eine Bombe ein. In der deutschen Minderheit gab es erhebliche Widerstände gegen diese „europäische Lösung“ – ebenso in nationalen dänischen Kreisen, die Jakobsen sogar als Landesverräter stempelten. 

Was nun, Peter Iver? Er sah in diesem Angebot eine einmalige Chance, die Minderheit seit dem Verlust des eigenen Folketingsmandats 1964 aus der politischen Isolation herauszuführen, wobei er jedoch stets darauf Wert legte, dass gleichzeitig mit dieser Öffnung auch die noch immer angeschlagene eigene deutsch-nordschleswigsche Identität nach innen gestärkt werden musste. 

Dass der Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Jes Schmidt, als Person intern nicht unumstritten, zum Kandidaten durch die Delegiertenversammlung nominiert und danach ins Folketing gewählt wurde, war auch ein Verdienst von Peter Iver Johannsen. Schmidt wurde 1975 und 1977 mit steigenden persönlichen Stimmenzahlen – auch von dänischer Seite – wiedergewählt und erhielt große Anerkennung für hervorragende Arbeit im Parlament. Dass die Zusammenarbeit zwischen CD und Schleswigscher Partei 1979 nach dem Tode von Jes Schmidt ziemlich unrühmlich zu Ende ging, war auch eine persönliche Enttäuschung für Johannsen, weil – leider auch durch eigene Fehleinschätzungen – eine Zukunftschance verspielt wurde.  

Sonderbeifall für Peter Iver und Lob vom Kanzler

Gerade vor diesem Hintergrund war Johannsen maßgeblich daran beteiligt, sich für das deutsche Sekretariat in Kopenhagen 1983 einzusetzen, eine Lösung, die er und der damalige Hauptvorsitzende Gerhard Schmidt mit Staatsminister Poul Schlüter selbst ausgehandelt hatten. 

Als das Kopenhagener Sekretariat kürzlich auf Christiansborg sein 40-jähriges Bestehen feierte, da fehlte Peter Iver zu seinem großen Bedauern bereits krankheitsbedingt, aber als ich meiner Festrede den Namen Peter Iver Johannsen hervorhob, gab es spontanen Beifall von allen deutschen und dänischen Teilnehmenden, eine Nachricht, die ihn zu Hause in Hoptrup erreichte und tief berührte.

Eine andere wichtige Entscheidung dank Peter Iver war die Rettung unserer Tageszeitung 1975. Bonner Sparmaßnahmen bedrohten die Existenz des „Nordschleswigers“, und Peter Iver setzte sich mit aller Kraft in Bonn und Kiel für den Erhalt der Zeitung ein, die er als Lebensnerv der Minderheit betrachtete. Es war ein Glücksfall, dass just 1975 Bundeskanzler Helmut Schmidt und Staatsminister Anker Jørgensen ihr jährliches Sommertreffen in Sonderburg vereinbarten, wo es in der Deutschen Privatschule zu einem Gespräch mit führenden Vertretern der deutschen Minderheit kam. Die Zeitungs-Krise stand oben auf der Tagesordnung. Nachdem Peter Iver dem Kanzler die Notwendigkeit einer eigenen Minderheiten-Zeitung vorgetragen hatte, zeigte sich der Kanzler beeindruckt – und gab seine Zustimmung für die Fortsetzung der Tageszeitung. Vor der Presse begründete Schmidt anschließend seine Entscheidung für den „Nordschleswiger“ mit einem – aus seinem Munde – hohen Lob für den Generalsekretär, dessen schriftliche und mündliche Vorarbeit ihm, dem stets aktenkundigen Kanzler, imponiert hatte. „Der hat seine Schularbeit gut gemacht“, lautete Schmidts Kompliment.  

„Hjemmetysker“ Peter Iver 

Die Verdienste von Peter Iver Johannsen für die deutsche Volksgruppe sind auch im historischen Kontext gar nicht hoch genug einzuschätzen. Da ging es zunächst um wichtige Änderungen in der eigenen Finanz-Politik, wo die Verbände (zu) oft eigene Interessen verfolgt hatten. Johannsen schuf eine Gesamtlösung, wonach nun allein der BDN für die gesamte Volksgruppe die Haushaltsverhandlungen mit Kiel und Bonn führte und damit eine Verzettelung zum Schaden aller verhinderte. Besonders seine persönlichen (ja freundschaftlichen) Beziehungen zum damaligen Haushaltsreferenten in Bonn, Uwe Stiemke, kamen immer wieder der gesamten Volksgruppe zugute. 

Und noch wichtiger – der Generalsekretär war immer für alle da: Tarifliche Arbeitszeiten kannte er nicht, er stellte sich stets – sozusagen Tag und Nacht – zur Verfügung, sodass seine Frau Ulla nicht selten private Opfer bringen musste. Angeblich soll sie einen „Hjemmetysker“ wie ihren geliebten Peter Iver so definiert haben: „Aldrig hjemme“.

Neuen Lebensmut in lebensmüde Minderheit gebracht

Als guter Mensch vermittelte Peter Iver überall Vertrauen, und mit seinem herrlich schlagfertigen deutsch-dänisch-sønderjysk Humor löste er auch so manch verkrampfte Situation. Vor allem aber gab er der Minderheit neuen Lebenswillen. Die Rückgänge bei den politischen Kommunalwahlen in seiner Zeit führten zu einer heftigen Diskussion darüber, ob nicht die parteipolitische Arbeit völlig eingestellt werden sollte, denn es ergab doch für viele keinen Sinn mehr, unnötige Kräfte für die Schleswigsche Partei zu vergeuden. Johannsen lehnte Auflösung und Trennung ab. Ihm ging es in dieser schwierigen Phase darum, die Zweifler zu überzeugen und das eigene angeknackste Selbstwertgefühl als deutsche Nordschleswiger zu stärken. 

Peter Iver: Kein neutraler Schleswiger

Sein Vater wurde mal „der letzte Schleswiger“ genannt und sprach oft von den „zwei Seelen in einer Brust“. Die trug Peter Iver auch in sich, aber er charakterisierte sich dennoch nicht als „Neutraler“, sondern immer als deutscher (Nord-)Schleswiger. 

Den eigenen Leuten wieder Mut beizubringen und manchen die Hoffnungslosigkeit zu nehmen, war seine Mission als Generalsekretär. Die Losung „Wir schaffen das“ war vom ersten Tag an seine zuversichtliche Losung – lange bevor Angela Merkel diese Formel erfand. Diese innere Kraft zur Erneuerung der deutschen Minderheit ist seine Lebensleistung, wobei er mit großem Stolz die Wahl von Bürgermeister Popp in Tondern als Bestätigung der auch von ihm stets eingeforderten Gleichwertigkeit im Grenzland ansah. 

Dass er in Nachrufen auf dänischer Seite besonders als deutsch-dänischer Brückenbauer gewürdigt wird, ist natürlich voll berechtigt, aber er war noch mehr: Er schuf das tragbare Fundament auch mit europäischem Zement nach innen und außen, etwa durch seine aktive und führende Rolle in der dänischen Europabewegung bis zu seinem Tode. 

Freundschaft und Vertrauen in offener Distanz

Man gestatte mir auch einige persönliche Anmerkungen: Gleichzeitig in seiner Zeit als Generalsekretär jahrzehntelang Chefredakteur der Zeitung und 24 Jahre erster Leiter des deutschen Sekretariats Kopenhagen gewesen zu sein, war für unsere Freundschaft natürlich manchmal ein Balanceakt, aber wir haben unsere (private) Freundschaft von Anfang an auch stets mit offener Kritik verbunden, und ich muss zugeben, dass ich ihn damit mehr belastet habe als umgekehrt. Dass der Chefredakteur in seinen Leitartikeln manchmal etwas geschrieben hat, was den BDN-Offiziellen nicht gepasst hat, ist ja kein Geheimnis, aber Peter Iver hat dann stets die Zeitung und mich nach innen und außen verteidigt und so dem „Nordschleswiger“ und seinen Redakteurinnen und Redakteuren jene Rückendeckung, jenen Spielraum gewährt, der natürlich für einen „unabhängigen“ Journalismus das Salz in der Suppe ist – und damit auch als „Kitt“ für die deutsche Minderheit, wie es der frühere Pressevereinsvorsitzende H. C. Bock einst so treffend formuliert hat.

Der Wechsel zu Hans Heinrich Hansen 

Peter Iver konnte ich immer vertrauen, er hielt dicht, auch wenn ich – vor allem als Kopenhagener Sekretariatsleiter – Schritte, ja manchmal Alleingänge, unternommen habe, die zunächst nur streng vertraulich bleiben mussten. Zum Beispiel meine Informationen nur an ihn über meine ersten Kontakte zum Königshaus, die schließlich 1986 zum historischen Besuch von Königin Margrethe bei der deutschen Volksgruppe führten. 

Peter Iver war loyal als erster Diener der Volksgruppe gegenüber seinen Vorsitzenden, aber er war in vertraulichen Gesprächen auch daran beteiligt, dass wir nach Gerhard Schmidt dringend Erneuerung benötigten und mit Hans Heinrich Hansen einen neuen Hauptvorsitzenden fanden, der segensreich für die Minderheit neue Wege beschritt. Mit ihm verband er bis zuletzt auch eine persönliche Freundschaft. 

Familie, Rückhalt und Gewinn 

Peter Iver, der über 30 Jahre lang sozusagen nebenbei noch den Familien-Hof seines Onkels in Hoptrup weitergeführt hatte, musste vor einem Jahr den Tod seiner aus dem Raume Næstved stammenden langjährigen Ehefrau Ulla hinnehmen, und wenige Monate später ereilte ihn ein neuer harter Schicksalsschlag. Seine geliebte Nichte Kirsten in Kopenhagen erlag im Alter von nur 48 Jahren einem Krebsleiden. 

Trotz aller Belastungen in seiner Amtszeit von 1973 bis 2008: Peter Iver war ein Familienmensch, vor allem sein Verhältnis zu seiner in Lügumkloster lebenden Schwester Ellen und zu seinen Nichten Tina, Kirsten und Thea war innig – und vor allem gegenseitig. Sowohl Ellen als auch Tina und Thea standen ihm in der schwierigen Zeit seiner Krankheit engstens zur Seite – auch als er in Hoptrup in kleinem Kreise Ende Dezember noch seinen 80. Geburtstag feierte. 

Sein letztes Wort

Vor dem Hintergrund seiner so ernst zu nehmenden Erkrankung habe ich vor Kurzem mit ihm in Hoptrup auf Tonband seine Erinnerungen aufgezeichnet – es wurden leider nur zwei Stunden. Er nannte diese Aufnahmen in Anlehnung an den Titel einer dänischen Fernsehsendung scherzhaft und doch auch realistisch „Mit sidste ord.“ Leider wurden wir also nicht fertig, aber ich werde seine letzten Worte gerne zur Verfügung stellen – als sein Vermächtnis.

Ich hatte einen Freund – ich habe einen Freund!

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