Deutsche Bücherei

Antisemitismus: „Ich bin bereit, mit der Gefahr zu leben – nicht aber mit der Angst“

„Ich bin bereit, mit der Gefahr zu leben – nicht aber mit der Angst“

„Ich bin nicht bereit, mit der Angst zu leben“

Apenrade/Aabenraa
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Therkel Stræde (links), Büchereidirektorin Claudia Knauer und Gershom Jessen Foto: Anna-Lena Holm

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Auch die deutsche Minderheit muss beim Thema Antisemitismus Verantwortung übernehmen und Haltung zeigen. Diese Überzeugung war einer der Beweggründe für die Organisation des politischen Forums. Drei Experten, mit unterschiedlichen Hintergründen, bescherten den Anwesenden jede Menge neues Wissen rund um das Thema des Abends.

Die anberaumte Zeit für die Veranstaltung ist um 21.30 Uhr längst deutlich ausgereizt – und dennoch mag die Wissbegierde des Publikums nicht abreißen. Der Abend hat den Besuchenden so viel gegeben, und nun, gegen Ende des politischen Forums zum Thema Antisemitismus, ergibt eine Frage aus dem Publikum die nächste. Hätte Claudia Knauer nicht irgendwann höflich darauf hingewiesen, dass auch die zwecks Sicherheit erschienenen Polizisten ihren wohlverdienten Feierabend einläuten können sollen – vielleicht säße der ein oder andere heute noch dort.

Dem wichtigen Thema widmen

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus ist wichtiger denn je. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel sehen sich Juden und Jüdinnen wieder mehr Anfeindungen ausgesetzt. Auch die Redner des Abends berichten von solchen Erlebnissen – erfahren am eigenen Leib.

Kämpfe für die Rechte der anderen.

Jair Melchior, Oberrabiner aus Kopenhagen

Und plötzlich ist man im Jahr 2024 dem Antisemitismus näher, als man es je erwartet hätte – genauer gesagt, den Menschen, die ihn erleben müssen.

Die Redner des Abends sind absolute Experten auf dem Gebiet, dem sich alle Anwesenden entschlossen haben, ihre Zeit zu widmen, um mehr über das Thema Judenfeindlichkeit zu erfahren.

Antisemitische Feindbilder

Den Anfang macht Therkel Stræde von der Süddänischen Universität, dessen Forschungsschwerpunkte Antisemitismus und der Holocaust sind. Gebannt folgen die Zuhörenden seinen Ausführungen. Stræde klärt unter anderem über die vielfältigen antisemitischen Feindbilder auf. So ist der Jude religiös betrachtet durch den Mord an Jesus zu einer Hassfigur geworden. Aus kultureller Sicht sind Juden Umstürzler der gesellschaftlichen Werteordnung. Damit seien nur zwei mögliche antisemitische Blickwinkel erwähnt. Auch einen Überblick zur Geschichte des Antisemitismus hat der Fachmann vorbereitet und ruft ins Gedächtnis: Der Judenhass hat eine lange Geschichte. „In Luthers Schrift ist der gesamte Holocaust schon angelegt“, erklärt Stræde.

Therkel Stræde forscht zum Thema Antisemitismus. Foto: Anna-Lena Holm

Als Nächstes ist Jair Melchior, Oberrabiner aus Kopenhagen, an der Reihe. Er wird über Zoom zugeschaltet – was bis zuletzt reibungslos funktioniert. 

Melchior strahlt die Positivität, die er lebt, aus. Sein Lächeln scheint in keiner Sekunde je ganz zu verschwinden. Er fühlt sich in Dänemark sicher und willkommen – und vom System unterstützt. Die Zeiten haben sich geändert, sagt er, heute muss man – anders als noch vor 40 Jahren – Kränkungen nicht mehr akzeptieren. Man kann sich gegen sie behaupten. Dennoch ist ihm klar, dass man die Entwicklungen ernst nehmen muss. „Ich selbst habe schlechte Erfahrungen gemacht und meinen Sohn – nach dem Überfall auf Israel – gebeten, draußen über seiner Kippa eine Mütze zu tragen“, erzählt der Oberrabbiner offen. Mittlerweile täte der Junge das aber nicht mehr.

Wie viele Jüdinnen und Juden habe auch er gelegentlich ein ungutes Gefühl. „Doch zur Realität gehören auch die ganzen positiven Begegnungen – all die Male, die ich freundlich auf der Straße angesprochen werde“, erzählt Melchior und bringt es mit dem aussagekräftigsten Satz des Abends auf den Punkt: „Ich bin bereit, mit der Gefahr zu leben, nicht aber mit der Angst.“

Jair Melchior ist via Zoom zugeschaltet. Foto: Anna-Lena Holm

Bildung als Prävention

Die Frage nach Präventionsmaßnahmen kommt aus dem Publikum. Und ohne Umschweife hat der in Israel aufgewachsene Kopenhagener seine Antwort parat: Auf die Erziehung und Bildung der nächsten Generationen kommt es an.

Melchior glaubt an die Gemeinschaft – ist überzeugt, dass Gutes zu tun keine Einbahnstraße ist. „Kämpfe für die Rechte der anderen“, sei seine Philosophie. Die Authentizität lässt sich in seinem Gesicht lesen.

Gershom Jessen verfolgt die Worte seines Glaubensbruders. Foto: Anna-Lena Holm
Gershom Jessen ist Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Flensburg. Foto: Anna-Lena Holm

Gershom Jessen ist der dritte Mann des Abends. Der Pattburger ist Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Flensburg (Flensborg) und bietet unterschiedliche Einblicke in das alltägliche Leben eines Menschen, der sein Leben nach dem jüdischen Glauben ausrichtet. So erfahren die Zuhörenden unter anderem von der Besonderheit seiner Gemeinde, dass man koscheres Essen im Grunde als strikt ökologische Küche bezeichnen kann, und die Anzahl der Einladungen von deutschen Schulen seit dem Angriff der Hamas stark angestiegen ist.

Auch in der Pause reißen die Gespräche zum Thema nicht ab. Foto: Anna-Lena Holm

Diejenigen, die an diesem Abend ihren Weg in die Deutsche Zentralbücherei Apenrade gefunden haben, wurden mit interessanten Einblicken und neuem Wissen belohnt. Christel Lorenzen findet die Initiative dieser Veranstaltung toll. „Mich hat das Thema schon immer interessiert – und viel dazu gelesen habe ich auch bereits.“

Christel Lorenzen hat sich diese Veranstaltung nicht entgehen lassen. Foto: Anna-Lena Holm
Der positive Blickwinkel von Jair Melchior hat Christa Kath besonders beeindruckt. Foto: Anna-Lena Holm

Christa Kath, Mitglied des Bücherei-Vorstands, ist ebenfalls angetan von dem Geschehen des Abends. Man habe viele neue Denkanstöße bekommen. „Wunderbar fand ich Jair Melchior. Dieser positive Winkel hat mich beeindruckt.“

Passend zum Thema hat die deutsche Bücherei eine Buchausstellung mit sowohl weiterführender Literatur als auch entsprechenden Romanen organisiert.

 

Buchausstellung zum Thema Antisemitismus in der Bücherei Apenrade Foto: Claudia Knauer
Passend zum Thema stellt die Deutsche Bücherei in Apenrade eine ganze Reihe Bücher aus. Foto: Claudia Knauer
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