Deutscher Tag 2023

Hinrich Jürgensen zur Minderheit der Zukunft: „Die Identität soll individuell geprägt bleiben“

BDN-Chef zu Minderheit der Zukunft: „Identität soll individuell geprägt bleiben“

BDN-Chef: „Identität soll individuell geprägt bleiben“

Tingleff/Tinglev
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Natalie Pawlik, Hinrich Jürgensen
Hinrich Jürgensen begrüßte am Sonnabend Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Auch Gösta Toft, Vize-Präsident des europäischen Minderheitenverbandes FUEN, war in Tingleff anwesend. Foto: Karin Riggelsen

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Wer und was ist Minderheit? Das war – neben dem dringenden Appell an Berlin, die Förderung nach Jahrzehnten an die Realität anzupassen – Kern der Ansprache von Hinrich Jürgensen im Vorfeld der Festveranstaltung zum Deutschen Tag in Tingleff. Auch in die eigene Vergangenheit soll verschärft geblickt werden. Da sei bisher einiges versäumt worden, so Jürgensen.

Der Dachverband der deutschen Minderheit in Dänemark, der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN), werde sich in kommender Zeit verstärkt mit der eigenen Identität auseinandersetzen. Das sagte BDN-Chef Hinrich Jürgensen am Sonnabend in Tingleff.

„Unser Ziel ist nicht so sehr die Schaffung einer gemeinsamen Identität, wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität“, sagte Hinrich Jürgensen am Sonnabendvormittag in der Aula der Deutschen Nachschule Tingleff.

Deshalb würde die Minderheit im kommenden Jahr ein „Identitätsprojekt“ ins Leben rufen. Ergebnis solle „eine Festigung und Stärkung des Bewusstseins der Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit sein, wobei die Identität individuell geprägt bleiben soll“, so der BDN-Hauptvorsitzende. Diese Vorgabe ist ein Ergebnis der Arbeitsgruppe „Zukunft der Minderheit“, die derzeit den BDN und seine Mitgliedsverbände beschäftigt.

Informationsgespräch Derutscher Tag 2023
Volles Haus und Besuch aus der deutschen und dänischen Politik gab es am Sonnabend in der Aula der Nachschule in Tingleff. Foto: Karin Riggelsen

„Im Gegensatz zu früher, wächst man heute nicht automatisch in die Minderheit hinein. Die Identität muss gepflegt und gefördert werden. Das ist ein laufender Prozess, der aber auch bewusst unterstützt werden kann“, so Jürgensen.

Eine Idee: Elemente der deutsch-nordschleswigschen Identität sollen gesammelt werden. „Als Resultat möchten wir eine Liste erstellen, mit sieben bis zehn konkreten Aktivitäten, Orten, Gegenständen etc., die für die Identität der deutschen Nordschleswiger prägend sind.“

 

Informationsgespräch zum Deutschen Tag

Beim jeweils vor dem Festakt zum Deutschen Tag stattfindenden Informationsgespräch berichten zentrale Akteure der Minderheit über aktuelle und geplante Entwicklungen. Die Beiträge richten sich an die Minderheit selbst, vor allem aber auch an Gäste aus der deutschen und der dänischen Politik, die einen Einblick in die Arbeit der Minderheit bekommen sollen.

Hinrich Jürgensen 2023
Hinrich Jürgensen beim Informationsgespräch zum Deutschen Tag 2023 in der Aula der deutschen Nachschule Foto: Karin Riggelsen

Thema Identität auch beim Jugendverband im Zentrum

Jasper Andresen und Thore Naujeck, Vorsitzender und Leiter des Deutschen Jugendverbandes für Nordschleswig (DJN), stellten schließlich ihren Verband und dessen Aktivitäten vor.

„Wir sind uns einig, wir schaffen positive Erlebnisse, die Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene an Nordschleswig und die Minderheit knüpfen sollen“, so Jasper Andresen. Der DJN hat sich in den vergangenen Jahren strukturell neu aufgestellt und hat, so Naujeck, das Ziel, die identitätsstiftende Arbeit über die Vereine und über Ehrenamt zu stärken und dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen.

Der Weg nach vorn, um als Minderheit insgesamt attraktiv zu sein, sei „der Weg der Zusammenarbeit“, so Andresen. Hier sei der DJN Vorreiter gewesen, indem sich der Verband neu aufgestellt und näher an den BDN gebunden habe.

Ein Lob dafür kam aus Südschleswig bzw. Nordfriesland, wo Ilse Johanna Christiansen vom Friesenrat und SSW in einer Wortmeldung schilderte, dass dort die Professionalisierung der Jugendarbeit gescheitert sei.

Informationsgespräch Derutscher Tag 2023
Jasper Andresen (2. von links) und Thore Naujeck (2. von rechts) stellten die Arbeit des Jugendverbandes vor. Foto: Karin Riggelsen

Jürgensen: Identitätsstiftende Arbeit braucht Geld – und zwar mehr als vor Jahrzehnten

„Unsere Identität gehört zu den immateriellen Voraussetzungen für die Existenz der Minderheit. Zu den materiellen gehört eine ausreichende finanzielle Förderung“, so Hinrich Jürgensen in seinem Beitrag.

Der BDN bezieht seine Mittel heute aus Berlin, Kiel und Kopenhagen und auch von den Kommunen. Sorgen machten ihm, trotz der kürzlich zugesagten Sondermittel aus der Bundeshauptstadt, die Zuwendungen aus der Bundespolitik.

Nach Jahrzehnten des Stillstandes ist eine Anhebung auf 2 Millionen Euro jährlich für bauliche Maßnahmen ein eher bescheidener Wunsch.

Hinrich Jürgensen

„Wir sind froh, dass unsere institutionelle Förderung um knapp 500.000 Euro für nächstes Jahr angehoben wurde. Das hilft uns teilweise beim Ausgleich der steigenden Löhne und Preise. Außerdem sind die investiven Mittel um 400.000 Euro auf etwas über 1 Million Euro gestiegen. Das sind rund 7,5 Millionen Kronen – viel Geld“, so Jürgensen. „Aber nicht viel, wenn wir neue Kindergärten bauen müssen, Schulen renovieren sollen, ein neues Internat errichten müssen und vieles andere mehr instand halten wollen“, so Jürgensen.

Die Liste mit notwendigen investiven Projekten werde von Jahr zu Jahr länger, weil die Mittel nicht ausreichten. „Auf der aktuellen Liste stehen Projekte mit einem Volumen von über 36 Millionen Euro. Demgegenüber stehen die – schon erwähnten – 1 Million Euro, in vielen Jahren sogar nur 600.000. Das entspricht genau dem, was wir früher bekamen, nämlich 1 Million D-Mark“, erklärte er.

„Wenn man sieht, was man früher für eine Million D-Mark bekam und was man heute für eine Million Euro bekommt, dann klaffen Welten auseinander“, so der BDN-Hauptvorsitzende.

Informationsgespräch Deutscher Tag 2023
Zeit für Gespräche am Rande gab es auch. Foto: Karin Riggelsen

Jürgensen fordert dauerhaft mehr Geld aus Berlin

„Wir brauchen deshalb erstens eine permanente Erhöhung der investiven Mittel. Nach Jahrzehnten des Stillstandes ist eine Anhebung auf 2 Millionen Euro jährlich für bauliche Maßnahmen ein eher bescheidener Wunsch“, so der BDN-Hauptvorsitzende. Er forderte darüber hinaus Sonderzuschüsse für „besonders große und wichtige Projekte“.

Das weitaus größte Projekt auf der Liste sei eine zukunftsfähige Lösung für Kindergärten, Internat und Gymnasium in Apenrade (Aabenraa).

Nur wenn wir offen und ehrlich mit unserer eigenen Geschichte umgehen, können wir das auch von anderen verlangen.

Hinrich Jürgensen

Hallmann: Kontakt zur dänischen Politik wird neu aufgestellt

Harro Hallmann, Leiter des Sekretariats der Minderheit in Kopenhagen, stellte in seinem Beitrag in Aussicht, dass die deutsche Minderheit künftig nicht mehr den Umweg über das Kulturministerium in die dänische Politik wird nehmen müssen. Das bisherige Konstrukt mit einem von dem Ministerium geleiteten Kontaktausschuss sei nicht zufriedenstellend.

„Es sind noch nie alle Mitglieder zu einer Sitzung erschienen. Wenn wir Glück haben, erscheint die Hälfte“, so Hallmann über den mangelnden Ehrgeiz der Folketingsabgeordneten, den untergeordneten Ausschuss, der kein ordinärer Folketingsausschuss ist, zu besuchen.

„Was wir erreichen wollen, ist, dass nicht der Kulturminister Vorsitzender ist, sondern dass der Ausschuss ins Folketing gelegt wird“, so Hallmann. „Das war bisher nicht kontrovers, bis das Ministerium im Frühjahr plötzlich eine Kehrtwende machte“, so Hallmann.

Eine Regierung gebe nicht freiwillig Kompetenzen ab ans Parlament, habe es überraschend von Minister Jakob Engel-Schmidt (Moderate) geheißen. Doch nachdem es im Kontaktausschuss einhellige Unterstützung gegeben habe, habe der Minister schließlich auch zugestimmt.

Kritischer Blick in die eigene Vergangenheit

Mit der erstmaligen Vorlage eines Forschungsprogramms für die kommenden Jahre sei die Minderheit auch beim Blick zurück gut aufgestellt – denn der gehöre auch zur Identität der Minderheit, so Jürgensen am Sonnabend in Tingleff. 

„Die Erforschung der Zeit des Nationalsozialismus wird ein Fokuspunkt bleiben. Nur wenn wir offen und ehrlich mit unserer eigenen Geschichte umgehen, können wir das auch von anderen verlangen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass den größten Teil unserer Geschichte die Zeit nach 1945 ausmacht. Und dieser Teil unserer Geschichte ist bisher kaum beschrieben und erforscht worden“, so Jürgensen.

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