Minderheitenpolitik

Austausch unter Minderheiten: „Der Krieg wäre so oder so gekommen“

Austausch unter Minderheiten: „Der Krieg wäre so oder so gekommen“

Austausch: „Der Krieg wäre so oder so gekommen“

Frederike Müller, Flensborg Avis/kj
Flensburg/Apenrade
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Das ECMI hatte zur Diskussion um Minderheiten in Deutschland und der Ukraine eingeladen. Foto: ECMI

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Auf Initiative des Minderheitenforschungsinstituts ECMI hat in Flensburg ein Gespräch zur aktuellen Situation in der Ukraine stattgefunden. Dabei waren sich die Teilnehmenden schnell einig: Es handelt sich nicht um einen minderheitenpolitischen Konflikt. Gibt es trotzdem Lösungsansätze aus dem deutsch-dänischen Grenzland?

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die russische Minderheit als Vorwand genommen, um in die Ukraine einzumarschieren. Trotzdem handelt es sich dabei nicht um einen minderheitenpolitischen Konflikt. „Der Krieg wäre so oder so gekommen“, sagte Harro Hallmann, Kommunikationschef des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN). Gemeinsam mit anderen Minderheitsvertretern, Minderheitenbeauftragten und Forscherinnen und Forschern war er dabei, als am Mittwoch ein Austausch im Forschungsinstitut ECMI in Flensburg stattgefunden hat.

Ebenso wie Harro Hallmann sieht es auch Bernd Fabritius, Bundesbeauftragter für nationale Minderheiten. Egal, was Putin von einem „Genozid“ an der russischen Minderheit propagiert – Minderheiten und Minderheitenpolitik sind keine Ursache für den aktuellen Krieg. Vielmehr handele es sich um „Rechtfertigungsmechanismen Putins“, zitiert „Flensborg Avis“ Bernd Fabritius. Wäre diese Erzählung nicht geglückt, hätte Putin sich eine andere Ausrede gesucht.

„Durchaus Minderheitenprobleme“

Dabei gebe es „durchaus Minderheitenprobleme“ in der Ukraine. Die Politik habe zum Beispiel muttersprachlichen Schulunterricht eingeschränkt, diese Maßnahme habe nicht nur die russische Minderheit getroffen. Auch die Ungarn und Rumänen im Land sahen ihre Rechte beschnitten.

Sieht ebenfalls große Chancen im Minderheiten-Know-how: der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler. Foto: Sven Geissler/Flensborg Avis

Es sei aber wichtig, genau zu differenzieren, wandte Frank Golczewski, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Hamburg, ein. Neben den ethnischen Russinnen und Russen gebe es schließlich zahlreiche russischsprachige Menschen, die sich dennoch als Ukrainerinnen und Ukrainer verstünden.

Ukrainisch wurde diskriminiert

Das liege daran, dass die ukrainische Sprache in der Landesgeschichte immer wieder und über lange Zeiträume hinweg diskriminiert oder sogar verboten wurde, während Russisch Amts- und Universitätssprache war. Das sei sogar mit Deutschland vergleichbar, so Golczewski, wo früher in den Schulen kein Plattdeutsch gesprochen werden durfte. Martin Klatt (Syddansk Universitet Sønderborg) ergänzte, noch Mitte des 19. Jahrhunderts sei auch Dänisch beziehungsweise Sønderjysk auf ähnliche Weise zum „Bauerndialekt“ degradiert worden.

Neben den ethnischen Russinnen und Russen gibt es in der Ukraine noch viele weitere Minderheiten, auch griechische und deutsche. Ihnen allen drohe im Krieg ein Identitätsverlust, befürchtete Christoph Schmidt, Direktor des Nordfriisk Instituuts.

Volksabstimmung sinnlos

Wie können die Erfahrungen aus Deutschland und Dänemark helfen, die Minderheiten zu unterstützen? „Das ist erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder richtig möglich“, befürchtet Harro Hallmann, „wenn der Krieg vorbei ist.“ Auch Felix Schulte, Konfliktforscher im ECMI, stellte fest, dass das Minderheiten-Know-how eigentlich erst im Friedensprozess wirklich anwendbar sei.

Pläne für die nahe Zukunft: ECMI-Direktor Vello Pettai (3. v. l.) berichtete, das Minderheitenzentrum wolle sich an Projekten beteiligen und ukrainische Akademikerinnen und Akademiker mit Stipendien fördern. Foto: Sven Geissler/Flensborg Avis

Zunächst, so erklärte sein Chef Vello Pettai, wolle das ECMI ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördern und zum Beispiel Akademikerinnen und Akademiker mit Stipendien auch nach Flensburg holen, wenn sie zum Thema Minderheiten forschen.

Obwohl sich alle einig waren, dass Minderheitswissen nicht ausreicht, um den Krieg zu beschwichtigen, ging die Expertenrunde nicht pessimistisch auseinander. Bernd Fabritius prophezeite: „Die Initiative, die hier heute gestartet wird, wird ganz wichtig in Friedenszeiten.“

Grenzlandbewohnerinnen und -bewohner, die jetzt schon etwas tun möchten, können Hilfsorganisationen im jeweiligen Land unterstützen oder dies über die europäische Minderheitenorganisation FUEN tun.

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