Leitartikel

„Phönix Skrydstrup“

Phönix Skrydstrup

Phönix Skrydstrup

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen/Nordschleswig
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Skrydstrup liefert im wahrsten Sinne des Wortes die gemeinsame DNA für Dänemark und die Ukraine. Der ehemalige „Nordschleswiger"-Chefredakteur Siegfried Matlok analysiert den historischen Selenskyj-Besuch, und die Stippvisite von Mette Frederiksen bei Olaf Scholz in Berlin.

Beim historischen Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Dänemark haben Gast und Gastgeber auf ihre enge, fast familiäre Verwandtschaft – auf eine gemeinsame DNA ­ verwiesen.

Dass Selenskyj am Sonntag im nordschleswigschen Skrydstrup landete, lässt den Ursprung dieser Seelenverwandtschaft  sogar vor Ort entschlüsseln: Hier wurde 1943 von der deutschen Besatzungsmacht der Fliegerhorst Skrydstrup errichtet, um den Überfall des großen Nachbarn auf das kleine Dänemark militärisch abzusichern. Und just aus den dunklen fünf Jahren der Besetzung speisen die Dänen 80 Jahre später an gleicher Stelle jene Motivation, die diese gemeinsame DNA unter Beweis stellt.

Die schmerzvolle Erfahrung 1940-1945 und die aus der historischen Lehre moralisch gezogene Verpflichtung, der kleinen Ukraine beim Überfall durch den übermächtigen russischen Bruder dringend und so lange es nötig ist, zu helfen, ist eben der Schlüssel für die in Dänemark so überwältigende Unterstützung für den nicht nur territorialen Kampf um das eigene Überleben. 

Hier wird 2023 nicht wie einst gefragt „Hvad kan det nytte?“, defätistisch resignierend „Was kann es überhaupt nützen“, sondern hier wird aktiv Unterstützung geliefert, wohl wissend, dass auch sie ihren hohen Preis hat, ja sogar einen gefährlichen Preis haben kann.

Bei allen verbalen Freundlichkeiten, die bei solchen Anlässen aus wohl geschmiertem Politikermunde strömen: Präsident Selenskyj hat bei seinem Besuch eben nicht nur der „lieben Mette“ gedankt und der Königin seine Reverenz erwiesen, sondern hat von der Haupttreppe des Folketings aus direkt dem dänischen Volk gedankt, und nicht nur für das Versprechen, nun (hoffentlich) noch in diesem Jahr die ersten sechs von insgesamt 19 bewilligten F16-Kampflugzeuge aus Nordschleswig an die östliche Front zu schicken.

Es ist ja schon höchst ungewöhnlich, dass sich im dänischen Folketing keine einzige Partei – auch keine mit links-pazifistischen Grundströmungen – der Mitverantwortung für das Schicksal der Ukraine entzieht.

Noch gewichtiger ist demokratisch, dass es in der dänischen Bevölkerung nicht einmal ansatzweise einen Protest gegen diese Linie gibt, die nun sogar die noch gestern angeblich „roten Linien“ überschreitet. 

Dänemark liefert – bei den Kampfflugzeugen gemeinsam mit Holland – ein Beispiel, das auch international Aufmerksamkeit hervorrufen wird. Nicht nur bei den USA, die ja die „Freigabe“ der F-16-Maschinen erst vor wenigen Tagen bekanntgegeben hat, sondern vor allem auch in Deutschland, wo sich die Regierung wahrlich in einer ganz anderen Situation befindet, parlamentarisch, aber auch angesichts eines nicht nur historisch begründeten breiten Widerstandes in der Bevölkerung.

Staatsministerin Mette Frederiksen – die beim Selenskyj-Besuch als „Commander in Chief“ nicht nur mehr medial sowohl Außenminister Løkke als auch Verteidigungsminister Ellemann-Jensen in den Schatten stellte – war ja am vergangenen Donnerstag zum zweiten Male zu Besuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz.

Ihr erster Besuch im Kanzleramt fand 2022 nur wenige Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine statt, und obwohl dieses Thema sicherlich letzte Woche die Tagesordnung füllte, war es schon bemerkenswert, dass die beiden Regierungschefs anschließend nicht einmal vor die Presse traten. Für Mette Frederiksen jedenfalls höchst ungewöhnlich.

Ohne in Verdacht eines Landesverrates zu geraten, darf man wohl annehmen, dass sie den Kanzler auch streng geheim über den bevorstehenden Selenskyj-Besuch informiert haben dürfte. Wichtiger aber für die Staatsministerin ist die Tatsache, dass Dänemark und Deutschland in diesen Sicherheitsfragen nach anfänglichen Differenzen in der Strategie eng zusammenarbeiten, nicht nur bei der gemeinsam beschlossenen Lieferung von Leopard-1-Panzern.

Dass Mette Frederiksen sich nun mit dem niederländischen Kollegen an die Spitze der F16 gesetzt hat, zeigt aber auch einen deutlichen Unterschied. Dass nicht alle gleich mitziehen, bedeutet ja keineswegs, dass etwa Berlin die dänische Haltung kritisiert oder gar missbilligt.

Nein, das Gegenteil ist der Fall: Wenn Deutschland aus vielerlei Gründen – nicht nur historisch – oft (zu lange) zögert, dann kann Dänemark den Spielraum als kleineres Land für sich nutzen; indirekt sogar zum Vorteil für die größeren Verbündeten.

So war es auch in den Jahren des Kalten Krieges oder etwa bei der dänischen Teilnahme am Irak-Krieg. Die insgesamt 19 zur Verfügung gestellten F16-Maschinen werden zwar allein keine Kriegswende bringen, aber ihre symbolische Bedeutung erhöht Dänemarks außen- und sicherheitspolitischen Kredit – in Washington und ebenso in Berlin.

Für die deutsche Öffentlichkeit ist dies ein Wink mit dem Zaunpfahl über die Grenze hinweg; gerade auch während der ungeklärten Diskussion über die Lieferung deutscher Taurus-Raketen an Kiew. Er verändert auch Dänemarks Image, das einerseits durch eine harte, für manche unbarmherzige Ausländerpolitik gekennzeichnet ist, zugleich aber jetzt durch die große humanitäre und militärische Hilfe an die Ukraine ein anderes vorbildhaftes Bild vom „Hygge“-Nachbarn vermittelt.

Dänemark erlebte von 1940 bis 1945 eine fünfjährige Besetzung: Leider vermuten nicht wenige Experten, dass der russische Angriffskrieg auch noch Jahre dauern wird. Hoffen wir, dass nicht nur die F16 aus Skrydstrup das Leiden der schwer geprüften Bevölkerung in der Ukraine reduzieren können.

Eines Tages werden sich dänische und ukrainische Bevölkerung nach den gestrigen Worten von Selenskyj vor Christiansborg freudig mit einem „Skål“ begegnen.

Hoffen wir, dass eines Tages dazu Grund besteht. Für die Ukraine steht jetzt ihre Existenz auf dem Spiel – und für den gesamten Westen die eigene Glaubwürdigkeit.

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