Leitartikel

„Ein wertvolles Schuljahr“

Ein wertvolles Schuljahr

Ein wertvolles Schuljahr

Kopenhagen/Nordschleswig
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In Dänemark wird gerade über die Abschaffung der 10. Klasse diskutiert. Dabei ist dieses Schuljahr für viele Jugendliche als Findungs- und Entwicklungsjahr sehr wichtig, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Stellen wir erst einmal fest: Die 10. Klasse in Dänemark ist nicht abgeschafft. Es liegt lediglich ein Vorschlag einer Kommission vor, die sich mit einer Reform der dänischen Volksschule beschäftigt hat.

Die Vorschläge der Kommission, die 10. Klasse durch ein neues System zu ersetzen, ergeben Sinn – wenn sie nur den einen Zweck erfüllen sollen, kommende Generationen durch das Schulsystem zu drängen, um sie schnellstmöglich auf den Arbeitsmarkt zu bringen.

Schule ist aber keine Fabrik, in der Schülerinnen und Schüler zehn Jahre lang nur Wissen tanken. Es sind prägende Jahre, in denen sich auch die Persönlichkeiten und das soziale Verhalten der Kinder und Jugendlichen entwickeln.

Dabei lernen und leben unsere Kinder nicht im Gleichschritt. Einige kapieren Mathe schneller als andere, während andere wiederum länger auf der Suche nach dem eigenen Ich sind.

Wir haben alle unser eigenes Tempo, wobei es natürlich gesellschaftliche Regeln und Rahmen gibt. Man kann nicht 20 Jahre Volksschule machen, zehn Jahre Gymnasium oder ewig an der Uni sein. Natürlich nicht.

Aber vor allem in den Volksschuljahren ist wichtig, die jetzige Flexibilität im Schulsystem zu bewahren. Dieses eine Jahr – das 10. Schuljahr – ist für viele Kinder von großer Bedeutung, obwohl der schulische Wert über die Jahre geringer geworden ist, weil der eigentliche Abschluss bereits in der 9. Klasse stattfindet.

Einige finden in der 10. Klasse der Volksschule ihren Weg, andere wiederum in einer der vielen Nachschulen. Und dann gibt es natürlich die Schülerinnen und Schüler, die früh eingeschult werden, die 10. Klasse überspringen und als junge Abiturienten und Abiturientinnen gleich ein Studium beginnen. Weil sie es können und wollen.

Das macht sie aber nicht zu Musterschülerinnen und -schülern. Und es macht vor allem nicht die Jugendlichen, die etwas länger brauchen, zu Menschen 2. Klasse.

Die Gesellschaft hätte nur einen kurzzeitigen Gewinn davon, dass wir unsere Kinder temporeich durch eine Schul- und Ausbildungsmaschinerie zwingen. Wenn überhaupt: Sind Jugendliche, die mit der Schule nicht richtig fertig sind, schon bereit fürs Arbeitsleben? Und was macht ein Jahr aus in einem Arbeitsleben, das für die Jugend von heute vielleicht bis 73 oder 74 geht?

Wenn wir reife, starke, selbstständige und vor allem motivierte junge Menschen wollen, dann müssen wir ihnen auch die nötige Zeit gewähren. Als Gesellschaft müssen wir das 10. Schuljahr, aber auch die Sabbatjahre nach dem Studium oder Abitur als eine Investition in unsere Zukunft sehen – nicht als vergeudete Jahre.

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