Folketingswahl 2022

Reportage: Eine wahnsinnige Wahlnacht

Reportage: Eine wahnsinnige Wahlnacht

Reportage: Eine wahnsinnige Wahlnacht

Kopenhagen
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Jubel bei der Wahlparty der Sozialdemokratie: Eine Hochrechnung prognostiziert eine rote Mehrheit. Foto: Walter Turnowsky

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Erst konnten die Moderaten jubeln, weil sie laut Hochrechnungen die entscheidenden Mandate bekommen würden. Doch am Ende war es die Wahlparty der Sozialdemokratie, die außer Rand und Band geriet.

Wer kein starkes Nervenkostüm hat, der ist hoffentlich rechtzeitig ins Bett gegangen. Denn die Wahlnacht wurde so spannend wie noch nie. Selbst als 99,8 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, waren sich „DR“ und „TV2“ in ihren Hochrechnungen noch nicht einig, wer das entscheidende Mandat bekommen würde.

Gesundheitsminister Magnus Heunicke brachte es kurz nach 23 Uhr bei der Wahlparty der Sozialdemokratie gegenüber dem „Nordschleswiger“ auf den Punkt: „Dieser Wahlabend ist eine ganz schöne Achterbahnfahrt.“

Schlechte Prognose für Sozialdemokraten

Die Achterbahnfahrt sollte erst fast zwei Stunden später vorbei sein. Begonnen hatte sie bei den Prognosen um 20 Uhr, die auf der Grundlage von Befragungen bei den Wahllokalen erarbeitet worden waren. Da sah es noch nach einem Rückgang für die Sozialdemokratie aus.  

Magnus Heunicke am frühen Wahlabend Foto: Walter Turnowsky

„Am Anfang des Abends musste ich noch Interviews zu halb schlechten Prognosen geben“, so Heunicke, dem die wenig dankbare Rolle zugefallen war, die Prognosen und Hochrechnungen zu kommentieren.

Laut der Prognosen war eine Mehrheit für den roten Block jedoch noch drin. Ein oder zwei Mandate mehr, und es würde für die magischen 90 reichen, wenn man die Mandate von den Färöern und Grönland dazurechnet.

Hochrechnung sieht Traumrolle für die Moderaten

Knapp zwei Stunden später wartete der ehemalige Tonderner Bürgermeister Henrik Frandsen bei der Wahlfete der Moderaten gespannt auf die erste Hochrechnung auf der Grundlage der ausgezählten Stimmen. Als die Zahlen für die von Lars Løkke Rasmussen gegründete Partei vorgelesen wurden, jubelte der Saal. Doch noch lauter wurde der Jubel, als die Hochrechnung zeigte, dass die beiden Blöcke fast gleich groß werden würden und die neue Partei die entscheidenden Mandate bekommen würde.

Henrik Frandsen applaudiert bei der ersten Hochrechnung. Foto: Walter Turnowsky

„Es liegt in der DNA der Moderaten, dass wir die Partei sind, die eine breite Regierung über die Mitte hinweg gewährleisten wollen. Sollte der rote Block eine Mehrheit bekommen, dann könnten wir unsere Wünsche nicht erzwingen. Es ist möglich, dass eine breite Regierung kommt, aber uns würde das Druckmittel fehlen“, so Frandsen gegenüber dem „Nordschleswiger“.

Lars Løkke sieht sich als Königsmacher

Die Moderaten waren nicht auf Christiansborg, sondern hatten Räumlichkeiten in der Stadt gemietet, um dort so richtig feiern zu können. Und die Feier nahm noch mehr Fahrt auf, als Parteigründer Lars Løkke Rasmussen eintraf. Der Saal skandierte: „Lars, Lars.“ In seiner Rede feierte er die Moderaten bereits als Königsmacher.

Henrik Frandsen hört konzentriert der Rede von Lars Løkke Rasmussen zu. Foto: Walter Turnowsky

„Es war eine Rede, die zeigte, dass wir es mit einem Parteichef zu tun haben, dem es darauf ankommt, dass wir unsere Position als Zünglein an der Waage nutzen sollen, um konstruktive und weitsichtige Lösungen für die dänische Gesellschaft durchzusetzen“, so Frandsens Einschätzung.

Zu diesem Zeitpunkt waren ungefähr 60 Prozent der Stimmen ausgezählt, und die Position als Königsmacher wirkte sicher.

Die Stimmung kippt

Nur eine Radtour von eineinhalb Kilometern später war es plötzlich die Wahlparty der Sozialdemokraten, bei der die Stimmung ins Positive kippte. Hochrechnung auf Hochrechnung war die Anzahl der Mandate für den roten Block stetig nach oben geklettert. Und dann meldete „TV2“, dass 87 Mandate auf die Mitte-links-Parteien fallen würden.

„Das sieht richtig gut aus. Ich setze auf ‚TV2‘. Jetzt packen wir das“, sagte Nahrungsmittelminister Rasmus Prehn zu einem Parteikameraden.

Die Hochrechnung von „DR“ zeigte nur 86 Mandate.

Heunicke optimistisch

Dann verdeutlichte „TV2“, dass voraussichtlich zwei Mandate aus Grönland und eines von den Färöern den roten Block unterstützen würden. Es reichte nach ihrer Hochrechnung also für eine Mitte-links-Mehrheit. Der Saal jubelte.

„Du kannst ja die Stimmung hier spüren. Wir sind jetzt ganz, ganz knapp davor“, so Heunicke.

Magnus Heunicke ist erleichtert. Foto: Walter Turnowsky

Moderate Enttäuschung

Währenddessen Ernüchterung bei der Wahlparty der Moderaten.

„Es ist fast erschreckend. Zunächst sah es für uns sehr komfortabel aus, aber jetzt zählen wir die Sekunden. Es ist wie bei einem Fußballspiel, es ist angenehmer, wenn man das Spiel selbst entscheiden kann“, sagte Henrik Frandsen zu „DR“. Die Moderaten sind jetzt auf das Wohlwollen der sozialdemokratischen Chefin Mette Frederiksen angewiesen, soll ihr Traum von der breiten Regierung Wirklichkeit werden.

Henrik Frandsen hat im Laufe des Abends etliche Interviews gegeben. Foto: Walter Turnowsky

Die Spannung steigt weiter an

Die Sozialdemokraten schwankten in den folgenden fast zwei Stunden zwischen Jubel und nervöser Spannung. „DR“ blieb bei 86 Mandaten, „TV2“ bei 87. Erst als das vorläufige Endergebnis die 87 Mandate bestätigte, konnten sie ihrem Jubel freien Lauf lassen.

Frederiksen hält daran fest, dass sie eine breite Regierung über die Mitte hinweg anstrebt. Jetzt kann sie jedoch aus einer Position der Stärke verhandeln, denn sie kann immer noch auf die rote Mehrheit zurückfallen.

Frandsen im Folketing

Für Henrik Frandsen persönlich sieht es gut aus. Die Moderaten bekommen im Großkreis Südjütland zwei Mandate bei nur vier Kandidaten. Er will zwar vor der Auszählung der persönlichen Stimmen am Mittwoch die Sektkorken noch nicht knallen lassen, aber „es fällt schwer, den Pessimismus zu bewahren“.

Henrik Frandsen zieht ins Folketing ein. Foto: Walter Turnowsky

Die Frage, ob er ein Ministeramt anstrebt, sollten die Moderaten Teil einer kommenden Regierung werden, will er nicht beantworten.

Drei Uhrzeiten sind am 2.11. um 23.13 geändert worden.

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