Leitartikel

„Deutsch in Dänemark: Machen statt denken“

Deutsch in Dänemark: Machen statt denken

Deutsch in Dänemark: Machen statt denken

Apenrade/Aabenraa
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Deutsch ist nicht sonderlich beliebt. Die Politik kommt nicht zu Potte, um die Zahl derer, die in Dänemark die Sprache lernen, auch nur ansatzweise zu erhöhen. Dabei leben Tausende Muttersprachlerinnen und Muttersprachler mitten unter uns. Cornelius von Tiedemann meint, dass man die ja mal aktivieren könnte, anstatt bloß wieder den Franz Joseph zu machen.

In Dänemark leben Zehntausende Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Hinzu kommen die ungezählten Zugehörigen der deutschen Minderheit in Nordschleswig und viele Deutsche, die inzwischen die dänische Staatsbürgerschaft angenommen haben.

Für Dänemark stellen sie ein riesiges Potenzial dar. Sie bringen – zumindest im Adressbuch – ihr privates und berufliches Netzwerk mit nach Dänemark. Sie bringen Fertigkeiten und Erfahrungen und vielleicht auch Ideen mit. Viele bringen Kinder mit. Und alle bringen eine ganz besondere, in Dänemark fast wie Gold gehandelte Qualifikation mit: Sie können Deutsch.

Keine gemeinsame Sprache

Unsere Datenanalyse zeigt jedoch, dass es einige Besonderheiten gibt, was die Deutschen in Dänemark angeht. Deshalb kann sich Dänemark nicht automatisch darauf verlassen, dass durch die Zuwanderung und die Minderheit allein eines der großen Probleme gelöst wird, die Dänemarks Wirtschaft beschäftigen. Dass Deutschland nicht mehr Dänemarks größter Handelspartner ist, obwohl die Wirtschaftsweltmacht direkt nebenan liegt. Und dass der kulturelle und wirtschaftliche Austausch fast nur noch auf Englisch und damit viel unpersönlicher und unkultivierter abläuft als früher.
 

Man sieht schon die Massen an dänischen Kindern in die Schulen rennen und begeistert Deutschunterricht einfordern.

Cornelius von Tiedemann

Unkultiviert, nicht, weil Englisch keine wunderbare Sprache wäre. Sondern weil weder die Menschen in Dänemark, was auch immer sie sich selbst einbilden mögen, noch die Deutschen, die sich ihres Unvermögens häufig derart bewusst sind, dass sie gleich auf Deutsch lospoltern, in der Regel besonders fein geschliffenes Englisch sprechen – oder verstehen können. Es ist und bleibt eine Drittsprache.

Künstliche Intelligenz kann natürlich dabei helfen zu übersetzen. Doch sie ersetzt nicht das kulturelle Wissen und Verständnis, die Kenntnis voneinander, die eine erlernte Sprache nun einmal mit sich bringt.

Viele Deutsche kehren Dänemark wieder den Rücken

Außerhalb Nordschleswigs kehrt ein großer Teil der Deutschen wieder nach Deutschland zurück. In den Universitätsstädten liegt das naturgemäß daran, dass die Studierenden ihre Auslandssemester oder ihr Studium beendet haben und sich neu orientieren. Oft ist der Auslandseinsatz für die Firma schlicht beendet.

Doch die Erfahrung zeigt auch, dass es für Menschen aus anderen Ländern schwierig ist, sich sozial in Dänemark zu integrieren. Das liegt nicht nur an den Zugewanderten. Dänemarks Kultur ist eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens. Das beinhaltet zwar nicht immer gleich, dass Fremden unbedingt misstraut wird. Doch wer nicht in diese Gemeinschaft geboren wurde und keinen Anknüpfungspunkt findet, hat es schwerer als in manchen anderen Kulturen.

Auch hier können Sprachkenntnisse auf beiden Seiten stabile Brücken bauen. Wer nach Dänemark kommt und sich auf Dauer mit Englisch durchschlagen will, hat, zumindest außerhalb Kopenhagens, ein Abenteuer mit fraglichem Ausgang vor sich.

Viele Strategien, kein Durchgreifen

Die Politikerinnen und Politiker in Kopenhagen, Vejle, Kiel und Berlin wissen das. Dieser Leitartikel könnte bisher, mit Verlaub, auch aus der Feder einer Redenschreiberin für die anstehende Sonntagsrede eines dänisch-deutschen Treffens zu welchem Anlass auch immer passen. Zum Beispiel zu einer der vielen Absichtserklärungen.

Der Zug ist längst abgefahren.

Cornelius von Tiedemann

Ja, es gab mal eine dänische Deutschlandstrategie. Und es gibt einen Freundschaftsvertrag. Und es gibt sogar einen gemeinsamen Handlungsplan von Schleswig-Holstein und der Region Süddänemark.

Darin heißt es unter anderem, dass „Aktivitäten zur Entwicklung gegenseitiger Sprachkenntnisse“ geplant werden sollten. Es soll sich ein Überblick verschafft werden. Es sollen Expertinnen und Experten neue Ansätze entwickeln. Das Ergebnis werden Interreg-Projekte und aus regionalen Töpfen geförderte Programme sein.

Man sieht schon die Massen an dänischen Kindern in die Schulen rennen und begeistert Deutschunterricht einfordern. Es bahnt sich eine studentische Erhebung an, die Deutsch als Pflichtfach in sämtlichen Studiengängen zur Forderung macht.

Was hat Franz Joseph mit dem Thema zu tun? Nichts, aber er wird gleich zitiert! Foto: Library of Congress, Prints & Photographs Division

Potenzial in den Zugezogenen entdecken und nutzen

Im Ernst: Der Zug ist längst abgefahren. Wenn wir jetzt noch untersuchen müssen, was überhaupt getan werden soll mit – bei aller Liebe – Fördertopf-Kleingeld, dann beweist das nur eines: dass hinter den Sonntagsreden und dem deutsch-dänischen Freundschaftsgehabe kein wirklicher politischer Wille steht, die gesellschaftliche Wirklichkeit in dieser Frage nachhaltig zu formen.

Dabei ist, wie eingangs geschildert, ein riesiges Potenzial vorhanden, ins Gespräch zu kommen. Auf Deutsch und Dänisch.

Abertausende Muttersprachlerinnen und Muttersprachler leben in Dänemark. Nicht alle sind in der Lage oder willens, ihr Leben um eine (Neben-)Tätigkeit als Lehrkraft zu bereichern. Doch viele deutsche Zugezogene könnten durchaus Deutsch unterrichten oder ihre Sprachkenntnisse auf andere Art weitergeben – und so ihrerseits noch stärker integriert werden.

Wenn denn mal jemand auf die Idee kommen würde, etwas zu tun, anstatt sich immer nur dazu zu verabreden, „darüber nachdenken zu lassen“, um mit Kaiser Franz Joseph zu sprechen – der übrigens ein wunderschönes österreichisches Deutsch mit rollenden Rs sprach.

Wenn wir alle wieder so gewählt und deutlich sprechen würden, wie er es tat, würden sich viele Kommunikationsschwierigkeiten auch über den grenzüberschreitenden Aspekt hinaus sicherlich erledigen. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Schmankerl zum Abschluss: Kaiser Franz Joseph hinterlässt der Nachwelt seine Stimme

 

 

 

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