Zugezogene

„Wer mitmachen will, ist herzlich willkommen“

„Wer mitmachen will, ist herzlich willkommen“

„Wer mitmachen will, ist herzlich willkommen“

Apenrade/Aabenraa
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Uwe Jessen, Generalsekretär des Bundes Deutscher Nordschleswiger Foto: Nils Baum

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Kann der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) noch mehr tun, um Zuzüglerinnen und Zuzügler aus Deutschland als neue Mitglieder zu gewinnen? Im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“ bezieht der Generalsekretär des BDN, Uwe Jessen, Stellung und erläutert, warum Zugezogene ein Gewinn für die deutsche Minderheit sind.

Warum sollte ich mich als frisch Zugezogener der Minderheit anschließen?

Zunächst einmal finde ich, sind wir ein toller „Verein“, sonst wären weder ich noch wir alle hier. Aber das muss natürlich jeder selbst wissen. Mir geht es so, wenn Leute aus Nordrhein-Westfalen oder irgendeinem anderen Bundesland der Bundesrepublik hierherziehen und uns gerne wollen, dann sollen sie uns wählen, aber dann ist es für mich auch wichtig, dass wir keine Zapp-Kultur sind, wie man das im Dänischen so sagt. Sprich, man soll uns nicht zu- und abwählen, sondern eine bewusste Entscheidung treffen. Zieht man wieder weg, ist es natürlich etwas anderes, aber für mich ist es wichtig, dass man uns ganz wählt. Das schließt nicht aus, dass man nicht auch Teil der Mehrheit ist, denn das sind die Zugezogenen auch, und sie müssen sich da ja auch integrieren, also auch Dänisch lernen.

Aber aus welchem Grunde sollte ich mich der Minderheit anschließen?

Das solltest du tun, wenn du es gut findest. Und nur dann, sonst solltest du es lassen. Also, wenn du unser Angebot in Schulen, Kindergärten, Sportvereinen, dem Sozialdienst, der Bücherei, dem „Nordschleswiger“, BDN und so weiter gut findest und da auch aktiv mitwirken willst – und aktiv ist ein weiter Begriff – dann sollst du das machen.

Man soll uns nicht zu- und abwählen, sondern eine bewusste Entscheidung treffen.

Uwe Jessen, BDN-Generalsekretär

In einer Serie beleuchtet der „Der Nordschleswiger“, wie Zugezogene das Angebot der deutschen Minderheit sehen und was die Minderheitenorganisationen selbst machen können, um mehr Zuzüglerinnen und Zuzügler als aktive Mitglieder zu gewinnen.

Generalsekretär Uwe Jessen Foto: Karin Riggelsen

Der BDN-Generalsekretär

Uwe Jessen, 50 Jahre, verheiratet mit Hanne Weitling Jessen, mit der er zwei Kinder hat, wohnhaft in Hadersleben. Seit Dezember 2008 Generalsekretär des Bundes Deutscher Nordschleswiger. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört die Lobbyarbeit, insbesondere die jährlichen Verhandlungen in Berlin, Kopenhagen und Kiel über den Haushalt der Minderheit sowie der laufende Betrieb des BDN und der angeschlossenen Minderheitenverbände.

Kannst du die Frage auch noch mal aus der Perspektive des BDN beantworten?

Also, wer unsere Satzung anerkennt und mit dabei sein möchte, der wird aufgenommen und kann ein Teil der Gemeinschaft sein. Zwar klingt das mit der Satzung etwas langweilig, aber wir möchten natürlich, dass Menschen, die bei uns Mitglied werden, sich auch mit unseren Zielen identifizieren. Man kann immer andere Meinungen haben, aber wir werden niemals ein normaler dänischer Verein sein. Wir sind die deutsche Minderheit, und da haben wir eine Geschichte, und auch einen aktuellen Stand, den man immer diskutieren kann. Aber es gibt natürlich auch einige Sachen, die wir machen wollen. Und darin sollten sich auch Zuzüglerinnen und Zuzügler schon widerspiegeln können, wenn sie dabei sein möchten.

Es ist nie schlecht, herausgefordert zu werden

Bringen Zugezogene aus deiner Sicht einen Vorteil, wenn sie sich auch im BDN engagieren?

Absolut. Ich finde es hervorragend, dass wir so einen Zulauf haben wie in jüngster Zeit, das sind wir nicht immer gewohnt gewesen. Und ich begrüße das sehr, wenn sich Zugezogene bei uns engagieren wollen, das ist eine Chance für unsere Kindergärten und Schulen, die dadurch ja mehr Kinder haben. Das ist insbesondere für die kleineren Einrichtungen eine Sicherung der Zukunft, und das ist sehr positiv. Die Rückmeldungen, die ich aus den anderen Verbänden bekomme, sind, dass die, die zugezogen sind, auch absolut aktiv sind. Sie möchten sich gerne in der Schule und im Verein beteiligen und dabei sein. Und wenn man statt sieben jetzt 14 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse hat, dann kann man auch leichter Mannschaften bilden. Das gibt uns in den Vereinen neue Möglichkeiten. Und sie bringen natürlich auch eine deutsche Sprache mit, die sicher moderner ist als unsere deutsche Sprache, weil wir im Ausland wohnen und nicht immer – ich inklusive – das moderne Deutsch verwenden. Es ist nie schlecht, herausgefordert zu werden. Zudem sind mehr Mitglieder natürlich auch finanziell ein Vorteil.

Ich gehe auch nicht nach Berlin und sage denen, wir haben jetzt 500 Zuzüglerinnen und Zuzügler aus der Bundesrepublik, denn das ist kein Argument. Denn wir bekommen in Berlin nicht Geld für deutsche Auswanderer, sondern wir bekommen Geld für die deutsche Minderheit.

Uwe Jessen, BDN-Generalsekretär

Wenn du zu Haushaltsverhandlungen nach Berlin fährst, bringen steigende Mitgliederzahlen dann auch bessere Argumente, um dort für mehr Geld und für die eigene Existenzberechtigung zu werben?

Also, bei einer Mitgliedschaft ist es wichtig, dass die Leute das auch wollen, und die sind dann entsprechend den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen auch Minderheit. Aber wir sind ja eigentlich kein Verein, der sich um deutsche Zuzüglerinnen und Zuzügler kümmern soll. Wenn sie bei uns in der Minderheit aktiv werden wollen, ist das fein. Wir reden immer von denen, die Kinder in Schulen haben, aber es gibt ja auch Senioren oder Ältere, die keine Schulkinder mehr haben, die auch hierherziehen. Das ist fein, dass die alle Mitglieder sind, aber sie sind jetzt nicht ein Argument in Berlin. Und ich gehe auch nicht nach Berlin und sage denen, wir haben jetzt 500 Zuzüglerinnen und Zuzügler aus der Bundesrepublik, denn das ist kein Argument. Denn wir bekommen in Berlin nicht Geld für deutsche Auswanderer, sondern wir bekommen Geld für die deutsche Minderheit.

Über Angebote der Minderheit informieren

Was sollte der BDN deiner Meinung nach tun, um Zuzügler willkommen zu heißen und sie zu integrieren?

Wir hatten neulich eine Vollversammlung der Orts- und Bezirksvereine, und da haben wir besprochen, dass wir gerne ein Zuzüglerinnen- und Zuzügler-Angebot machen wollen, denn wir müssen ja auch über unser Angebot informieren. Wenn man nach Nordschleswig zieht und sein Kind in einer deutschen Schule anmeldet, dann weiß man nicht unbedingt, dass es einen Ruderverein gibt, oder die Kirche, oder, oder, oder. Und deswegen werden wir jetzt über die Ortsvereine mithilfe einer Mitarbeiterin beim BDN mit allen, die es möchten, eine Veranstaltung machen. Zum Beispiel in Tingleff, wo dann alle Vereine, Kirche, Sozialdienst, „Nordschleswiger“, Bücherei und so weiter vor Ort sind, und wo Zugezogene eingeladen werden, um sich über uns zu informieren. Oder, wenn das vor Ort gewünscht wird, etwa einen Ausflug zum Knivsberg oder ins Deutsche Museum anbieten. Damit man auch sieht, dass die Minderheit mehr ist als nur der Standort Tingleff.

Das ist keine Veranstaltung, die wir vom Haus Nordschleswig aus durchführen, sondern die Leute vor Ort müssen in den Vorständen aktiv werden.

Uwe Jessen, BDN-Generalsekretär

Ist es nicht ein Problem in den größeren Orten, Zugezogene zu erreichen? Dort bekommt man es ja nicht unbedingt mit, wenn da neue Leute hinziehen? 

Eine Mitarbeiterin von hier übernimmt gerne die Federführung, aber das wird nur funktionieren, wenn man vor Ort mitmacht. Das ist keine Veranstaltung, die wir vom Haus Nordschleswig aus durchführen, sondern die Leute vor Ort müssen in den Vorständen aktiv werden. Ich sage bewusst die Vorstände, denn irgendeiner weiß bestimmt, dass auf Straße X und in Weg Y jemand eingezogen ist. Wir wollen jetzt nicht unbedingt auf die Straße gehen und schauen, wer jetzt alles zugezogen ist. Aber der Sportverein, der hat drei Mitglieder, die wissen nicht unbedingt etwas von der Kirche, und die Kirche hat vier andere Mitglieder bekommen, die wissen nicht unbedingt vom Sozialdienst und vom Bücherbus, sodass man sich gegenseitig darauf aufmerksam macht. Deswegen ist das auch nichts, was wir für nächste Woche planen, sondern das hat einen längeren Vorlauf, damit die Leute auch davon erfahren.

Würde die BDN-Hauptzentrale hier denn Ressourcen zur Verfügung stellen, oder wie ist das in der Praxis angedacht?

Sally Flindt-Hansen, die beim BDN für Kommunikation und Projekte zuständig ist und seit Kurzem bei uns ist, soll das federführend leiten. Wir fangen erst einmal mit zwei, drei Pilotprojekten an. Ich weiß, sie ist gerade mit dem BDN-Ortsverein in Bau in Kontakt, und da haben sich auch noch zwei, drei andere bei der Vollversammlung gemeldet. Also, da arbeiten wir dran, und wir haben das ja auch schon gemacht. Zum Beispiel waren im Ortsverein in Renz-Jündewatt vor einem Jahr über 70 Leute, die das Kennenlernen mit Apfelsaftpressen bei Curt Jacobsen (BDN-Ortsvorsitzender in Renz-Jündewatt, Red.) kombiniert haben.

„Wenn man nach Nordschleswig zieht und sein Kind in einer deutschen Schule anmeldet, dann weiß man nicht unbedingt, dass es einen Ruderverein gibt“, sagt Uwe Jessen. Foto: Nils Baum

Wir möchten diejenigen, die länger bleiben

Auf der Informationsveranstaltung für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim BDN im September hast du gesagt, dass deutsche Familien aus Nordrhein-Westfalen nicht in Einrichtungen der deutschen Minderheit willkommen seien, wenn sie in vier Jahren wieder wegzögen; aber wenn sie hierblieben und Teil der Minderheit würden, dann seien sie willkommen.

Das habe ich höchstwahrscheinlich auch so gesagt, und natürlich prüft es keiner. Also, wir unterschreiben jetzt keinen Zehn-Jahres-Vertrag, so ist es nicht. Aber vor dem Hintergrund, dass wir volle Schulen und Klassen haben, würde ich, wenn wir wüssten, dass einige für immer hierherziehen und andere nur für zwei Jahre bei einem größeren Betrieb in Nordschleswig arbeiten wollen, dann würde ich die nehmen, die länger bleiben. Weil wir nicht eine internationale Schule für Leute in Kopenhagen sind. Wir sind auch nicht für Leute da, die nur kurz hier arbeiten und dann ziehen sie weiter, denn es gibt auch einfach immer Unruhe in den Klassen, wenn da ständig Neue kommen. Es ist nicht so gemeint, dass sie nicht willkommen sind, es ist aber so gemeint, dass wir natürlich gerne welche haben wollen, die uns dann auch aktiv wählen. Generell sind die Zuzüglerinnen und Zuzügler herzlich willkommen. Nur, der regelrechte Ansturm in den Schulen und Vereinen, das ist ja nichts, was wir in den vergangenen Jahrzehnten gewohnt gewesen sind. Das ist zwar sehr positiv, aber das gibt natürlich auch Herausforderungen mit den Klassengrößen, aber auch in den Vereinen, und daran muss man sich auch gewöhnen. Es ist natürlich besser, als wenn man mit fallenden Zahlen zu tun hat. Aber mit mehr Sprache, mit mehr Kultur gibt es auch eine Herausforderung. Wenn eine Schule plötzlich doppelt so viele Schülerinnen und Schüler hat, ist das ja was ganz anderes als vor einem halben Jahr, aber es ist interessant. 

Es sind viele, die berufstätig in der Minderheit sind, die in den Sechzigern und Siebzigern und so weiter als Lehrkräfte oder Pastoren oder irgendwas anderes hierhergekommen sind, und die sind heute auch Minderheit.

Uwe Jessen, BDN-Generalsekretär

Und wann bin ich Minderheit? Du hast eben so schön pointiert, dass der BDN nicht dafür da ist, um sich um Zugezogene zu kümmern, sondern er ist für die Minderheit da. Wann gehöre ich dazu?

Also, wenn du zum Beispiel dein Kind in eine Deutsche Schule tust, dann bist du Minderheit.

Und wenn ich mich als Kinderloser in einem Verein anmelde?

Dann bist du es auch. Wir haben viele, die glauben, dass alle die Kern-Minderheit sind, die schon über zehn Generationen hier leben. Aber es sind viele, die berufstätig in der Minderheit sind, die in den Sechzigern und Siebzigern und so weiter als Lehrkräfte oder Pastoren oder irgendwas anderes hierhergekommen sind, und die sind heute auch Minderheit. Wir haben nie selbst aus unseren eigenen Reihen genug Leute ausbilden können, die bei uns arbeiten. Von daher kommen immer wieder neue Leute zu uns.

Alle Informationen an einem Ort gesammelt

Eine Zuzüglerin hat mir gesagt, dass sie sich wünschen würde, dass man die Angebote der Minderheit besser über Google und die sozialen Medien finden kann. Mit anderen Worten wünscht sie sich eine bessere Online-Kommunikation. Wo kann der BDN nachbessern?

Der Hauptvorstand hat vor einem halben Jahr die Entwicklung einer neuen Internetseite beschlossen, das ist ein Riesenprojekt. Das ist eine Homepage für die gesamte Minderheit, für alle Verbände, für alle Vereine. Übergeordnet kommt eine nordschleswig.dk-Seite, auf der sich alle Verbände und Vereine präsentieren können. Es wird einen gemeinsamen Webshop geben, aber vor allem auch einen gemeinsamen Kalender für ganz Nordschleswig, wo du das dann filtern kannst, was kann ich beispielsweise in Bau machen. Du wirst dann alles auf nordschleswig.dk finden können.

Eine Website ist etwas, was man selbst aufsuchen muss. Wie sieht es aus mit Newsletter oder mehr Online-Kommunikation in den sozialen Medien?

Ich glaube, da muss man nochmal genau nachgucken, denn sowohl BDN, Jugendverband, Knivsberg als auch der „Nordschleswiger“ haben alle einen Facebook-Auftritt. Bei vielen kommt jetzt als nächstes Instagram, und mit Tik-Tok fängt der Jugendverband jetzt an. Ja, man kann immer mehr machen, aber ich finde auch, wir sind eigentlich in Arbeit damit. Also, man muss dann vielleicht nochmal ein bisschen mehr googeln. Aber es gibt uns.

Solange Menschen es wollen, wird es die Minderheit geben.

Uwe Jessen, BDN-Generalsekretär

Wie siehst du die Zukunft der Minderheit? Wird es sie auch in 20 Jahren noch geben?

Aber sicher. Das ist die kurze Antwort. Natürlich wird es die geben. Und da kommen wir eigentlich zur ersten Frage zurück. Solange Menschen es wollen, wird es die Minderheit geben. Da bin ich ganz sicher. Wenn die Leute aufhören, ihr Kind in die Schule der Minderheit zu tun, in den Sportverein, in die Kirche zu gehen, dann hört es natürlich irgendwann auf. Aber da sehe ich weder bei den Mitgliedszahlen noch in der Aktivität irgendeine Tendenz in diese Richtung. Eher im Gegenteil. Aber, und das sagen wir immer in Vorträgen und auch sonst, es ist natürlich eine andere Minderheit als 1950, 1970 oder 1990. Natürlich ist es ganz anders als früher. Und auch die, ich sage mal 200 Schülerinnen und Schüler mit ihren Eltern, die jetzt dazugekommen sind, die übrigens nicht alle Zugezogene sind, werden die Minderheit in eine bestimmte Richtung formen. Das wird anders sein, als wären sie nicht gekommen und hat natürlich einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Minderheit. Das, was heute passiert, da sehen wir den Erfolg oder Misserfolg in 30 Jahren. Ich denke, wir blicken in eine spannende Zukunft.

„Der Nordschleswiger“ veröffentlicht in dieser Woche täglich einen neuen Artikel zum Thema „Zugezogene“.

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