Folketingswahl

Die Jagd auf 50.000 persönliche Stimmen

Die Jagd auf 50.000 persönliche Stimmen

Die Jagd auf 50.000 persönliche Stimmen

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig/Kopenhagen
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Dieses Jahr dürfte sich in Bezug auf die Chancen der Kandidierenden in Nordschleswig einiges ändern. Foto: Karin Riggelsen

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Erdrutsch in Nordschleswig mit Führungswechsel durch die Sozialdemokratie: In seiner Wahlanalyse blickt Siegfried Matlok auf die Chancen der Kandidierenden und ihrer Parteien, Stimmen in Nordschleswig zu gewinnen.

Ein Ergebnis steht schon vor der Folketingswahl am Dienstag fest: In Nordschleswig gibt es einen Machtwechsel, dann wird die Sozialdemokratie mit großer Sicherheit diesmal Venstre vom traditionellen Wahlthron stürzen. Bei der vorigen Folketingswahl 2019 hatte Venstre noch mit 40.116 Stimmen auf Platz 1 in den vier nordschleswigschen Kommunen einen deutlichen Vorsprung vor den Sozialdemokraten (36.815). 

Auch bei der Folketingswahl 2019 zeigte sich wieder einmal, dass die Uhren in Nordschleswig anders ticken als im übrigen Land. Die vier nordschleswigschen Kommunen gehören seit der Kommunalreform bei Folketingswahlen zum Großwahlkreis Südjütland, und ein Vergleich der Wahlzahlen von 2019 zwischen der Landesebene und Südjütland zeigt unterschiedliche Ergebnisse für alle Listen. 

Die größten Abweichungen verzeichnete die Dänische Volkspartei (DF) mit einer Differenz von 3,7 Prozent der Stimmen, wobei der Anteil in Nordschleswig sogar noch höher lag als in Südjütland insgesamt.  

Die Wahlprognosen deuten darauf hin, dass es auch am Dienstag erhebliche Veränderungen geben wird. Dass Venstre im Verhältnis zur Wahl 2019 durch Personal-Krisen zurückgehen wird, dürfte keine Überraschung sein, aber vor allem zwei neue Parteien, die Moderaten des ehemaligen Venstre-Staatsministers Lars Løkke und die Dänemarkdemokraten von Inger Støjberg, werden die Ergebnisse von 2019 erheblich durcheinanderbringen. 

Erdrutsch in Jütland 

Von einer Erdrutsch-Wahl wie 1973 ist die Rede, und sehr wahrscheinlich wird es besonders zwischen den Ergebnissen in Kopenhagen und Jütland erhebliche Unterschiede geben, da für die Dänemarkdemokraten vorwiegend in Jütland hohe Gewinne zu erwarten sind. 

Auch bei dieser Wahl sind viele persönliche Stimmen auf dem freien Markt, denn große Namen stehen Dienstag nicht mehr auf dem Stimmzettel. Es handelt sich um knapp 50.000 Stimmen.

Der mit 23.124 persönlichen Stimmen klare Rekordinhaber bei der vorigen Wahl, DF-Chef Kristian Thulesen Dahl, hat seine Partei inzwischen verlassen und kandidiert ebenso wenig wie zwei frühere Venstre-Minister, Ellen Trane Nørby (13.477) und Ulla Tørnæs (6.974).

Vor allem der Rücktritt von Ellen Trane, die inzwischen dem Sonderburger Stadtrat angehört, ist ein großer Verlust für Venstre. Mit ihren 13.477 persönlichen Stimmen war sie die größte „Stimmenschluckerin“ in Nordschleswig vor dem Sozialdemokraten Benny Engelbrecht mit 12.267 Stimmen. 

Die Chancen von Parteien und Kandidierenden

Sozialdemokratie: Hier ist der frühere Minister Benny Engelbrecht aus Sonderburg (Sønderborg) klarer Favorit. Für die Mandate der Liste A sind jedoch auch der Haderslebener Forschungsminister Jesper Petersen (7.715), der aus Esbjerg stammende Innenminister Christian Rabjerg Madsen sowie die Abgeordneten Anders Kronborg und Birgitte Vind sichere Anwärter.  

Venstre: Die Partei hat bei der letzten Wahl wie die Sozialdemokraten sechs Mandate in Südjütland geholt, aber diesmal dürfte es ein Hauen und Stechen um die – möglicherweise – nur noch drei oder vier Mandate geben.

Ohne Ellen Trane scheinen die beiden früheren Minister, Hans Chr. Schmidt aus Woyens (Vojens) (11.126) und die aus Apenrade (Aabenraa) stammende Eva Kjer Hansen (9.531), die inzwischen dem Stadtrat von Kolding angehört, neben der Folketingsabgeordneten Anni Mathiesen (11.308) die besten Aussichten zu haben.

Bei Venstre sind angesichts der neuen Lage Überraschungen jedoch nicht ausgeschlossen – doch statt Kreismandat ist möglicherweise ein Zusatzmandat für Venstre fällig.  

Dänische Volkspartei: Die Partei wird ihre nordschleswigsche Hochburg mit drei Mandaten verlieren, zumal Thulesen Dahl nicht mehr antritt – ebenso wenig wie Krarup.

DF kämpft, um über die Zwei-Prozent-Sperrklausel zu kommen. Dabei ist der bisherige EU-Abgeordnete Peter Kofod aus Hadersleben (Haderslev) eine sichere Karte hier im Landesteil, zumal Kofod auch als möglicher Nachfolger von Parteichef Morten Messerschmidt gehandelt wird.

Ein Kreismandat scheint aber nicht in Reichweite, und deshalb wird Kofod am Wahlabend wohl zittern müssen, ob er wenigstens ein Zusatzmandat gewinnen kann. 

Einheitsliste: Seit 2015 war die Links-Partei durch den ehemaligen Gewerkschaftler Henning Hyllested (2.349) aus Esbjerg gut vertreten, aber Hyllested hat seinen Rücktritt mitgeteilt. Das Rennen um ein erneut sicheres Kreismandat für die Einheitsliste ist offen. 

Radikale Venstre: Die Partei wird es laut Prognosen schwer haben, ihr bisheriges Folketingsmandat – erobert von Lotte Rod aus Esbjerg – zu behaupten. Die aus Apenrade stammende Politikerin hatte mit 4.872 persönlichen Stimmen einen klaren Vorsprung in Südjütland.

Daneben hat sich auch Nils Sjøberg (1.411) profiliert, der sich besonders für Grenzland-Fragen eingesetzt hat. Nach den jüngsten Meinungsumfragen ist für die Radikalen statt ein Kreismandat höchstens ein Zusatzmandat drin.

Sozialistische Volkspartei: SF hat gute Chancen, in Südjütland möglicherweise sogar ein zweites Mandat zu gewinnen. Bisher ist SF durch die anerkannte Rechtspolitikerin Karina Lorentzen Dehnhardt aus Kolding (4.698) im Folketing vertreten, aber auch die Tonderanerin Nanna Bonde (3.709) kann sich berechtigte Hoffnungen machen, wenn sich die SF-Erwartungen am Wahlabend erfüllen.

Konservative: Der Absturz durch die persönliche Krise von Parteichef Søren Pape Poulsen wird die Konservativen auch in Südjütland hart treffen. Ihr Folketingsabgeordneter Niels Flemming Hansen aus Vejle gilt zwar parteiintern als sicher, muss aber dennoch um den Wiedereinzug auf Christiansborg bangen. Vielleicht reicht es ja für ein Zusatzmandat. 

Liberale Allianz: Die Partei könnte am Wahlabend positiv überraschen. Bisher ist sie durch Henrik Dahl (1.737) mit einem Zusatzmandat ausgestattet – vielleicht ist am Dienstag sogar ein Kreismandat möglich.

Nye Borgerlige: Bei der vorigen Wahl mit einem Debüt und mit einem beachtlichen persönlichen Top-Resultat für Parteichefin Pernille Vermund (13.319), die auch Dienstag wieder in Nordschleswig kandidiert. Sie hofft nicht unrealistisch, dass sie ihr bisheriges Zusatzmandat behalten kann, denn sonst würde sie aus dem Folketing fliegen.

Dänemarkdemokraten: Die erstmalig antretende Liste von Venstres Ex-Ministerin Inger Støjberg kann mit einem Erfolg in Südjütland rechnen. Auf der Liste stehen sogar zwei jetzige Folketings-Abgeordnete, die inzwischen aus Protest die Dänische Volkspartei verlassen haben: Karina Adsbøl und auch der erfahrene Søren Espersen. Einer von ihnen kann wohl eine neue Fahrkarte nach Christiansborg lösen. 

Moderate: Die Liste des ehemaligen Staatsministers Lars Løkke könnte auch in Südjütland/Nordschleswig zu den Wahlgewinnern zählen. Dem früheren Tonderaner Venstre-Bürgermeister Henrik Frandsen, der nach der Kommunalwahl tief enttäuscht das Ruder in der Wiedau-Stadt an Jørgen Popp-Petersen (SP) abgeben musste, könnte landespolitisch ein Comeback gelingen.

Der Großwahlkreis Südjütland, auch mit seinen vier nordschleswigschen Kommunen, ist seit 2019 mit 21 Abgeordneten auf den insgesamt 179 Sitzen im Folketing vertreten – ein Folketings-Mitglied mehr als 2015.  

Das Wahlsystem sichert dem Großwahlkreis Südjütland von vornherein 17 Kreismandate zu, aber Achtung: 

Bei den Zusatzmandaten („tillægsmandater“) sind nordschleswigsche Mandate im Zuge einer Wahlrechtsreform 2010 auch von den Stimmen auf Seeland abhängig. Seit der Kommunalreform gehören der Großwahlkreis Seeland, der Großwahlkreis Fünen und der Großwahlkreis Südjütland bei der Verteilung der Zusatzmandate bei Folketingswahlen zusammen: „Sjælland-Syddanmark“ stehen insgesamt 49 Kreismandate plus 15 Zusatzmandate zur Verfügung stehen.

Das Folketing hat 179 Sitze, davon landesweit 40 Zusatzmandate, um den kleineren Parteien beim Verhältniswahlrecht eine bessere Vertretungsmöglichkeit einzuräumen.

14 Listen in Südjütland  

Insgesamt stehen 14 Parteilisten zur Wahl, letztes Mal waren es 13.

Zu den bereits im Folketing vertretenen Parteien gehört „Alternativet“, in Südjütland aber noch ohne Mandat. Neben „Alternativet“ sind auch ”FrieGrønne” und „Kristendemokraterne“ auf dem Stimmzettel. Die Christlichen scheiterten 2019 mit 1,7 Prozent knapp an der Zwei-Prozent-Hürde, obwohl sie im Großwahlkreis Südjütland 2,2 Prozent verzeichneten und damit sogar vor Liberal Alliance (2,1) lagen. 

2019 wurden in Südjütland ohne Mandatsgewinne auf die rechte Liste „Stram-Kurs“ 7.869 Stimmen und auf Klaus Riskærs Solo-Liste 3.215 Stimmen abgegeben.

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