Kommentar

„Wie Wetterdaten meine Wind-Theorie wegpusten“

Wie Wetterdaten meine Wind-Theorie wegpusten

Wie Wetterdaten meine Wind-Theorie wegpusten

Apenrade
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Ein Fahrrad am Rapsfeld
Die Sonne scheint, der Raps blüht – aber auch der Ostwind weht kräftig. Foto: Gerrit Hencke

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Dieses Jahr ist es viel windiger als in den Vorjahren, meint Journalist Gerrit Hencke in seinem Kommentar. Doch leider lügen Statistiken nie. Am Ende sind es vielleicht nur schwache Radfahrer-Beine.

Meine These: Dieses Jahr pustet der Wind kräftiger als sonst. Kaum ein Tag ist bis heute vergangen, wo der Wind nicht mindestens kräftig von vorne oder von der Seite geweht hat − meist aus westlichen Richtungen, zuletzt auch stark aus Osten.

Nur um eines klarzustellen: Ich weiß, dass ich im Norden lebe. Dass hier eigentlich immer eine Brise geht, ist mir durchaus bewusst. Dass es auch windige Tage gibt, natürlich. Aber so wie in diesem Jahr? 

Rein subjektiv betrachtet habe ich auf dem Fahrrad selten so viele Gegenwindkilometer auf meinem Pendelweg erlebt. Liegt es an der exponierten Strecke zwischen Flensburg und Apenrade? Sie verläuft in Süd-Nord-Süd-Richtung, Seitenwind ist daher fast der Normalfall. Doch meine Kolleginnen und Kollegen empfinden es teilweise auch so. Also doch keine Einbildung?

Suche nach Belegen

Auf der Suche nach irgendeiner Evidenz frage ich zunächst einen Meteorologen aus meinem Bekanntenkreis. Es gab im Vergleich zum vergangenen Jahr weniger Sturmtage, sagt er. Auch 2023 bewertet er bei einem schnellen Blick auf die Daten sogar als leicht unterdurchschnittlich. Das darf nicht sein. 

Ich rede aber nicht von Sturm mit Orkanböen, sondern von mäßigem bis starkem Wind, der mich auf dem Rad schon einige Male hat böse Dinge sagen lassen. Auf meinem Strava-Account, das ist eine App zum Aufzeichnen von Fahrradstrecken und Aktivitäten, schrieb ich vor ein paar Wochen unter eine Pendelfahrt: „Gibt es denn gar keine Tage mehr ohne Wind?“

Der Wetterexperte muss zugeben, dass man bei den Daten nicht so gut differenzieren kann. Bei der Statistik wird erst ab Sturm oder Orkan gezählt. Das ist etwa ab 20,8 Metern pro Sekunde (m/s) der Fall. Auf der Beaufort-Skala ist das Stufe 9 von 12. 

Diesen Wind meine ich aber nicht. Fündig werde ich im Wetterarchiv des Dänischen Meteorologischen Instituts (DMI). Hier kann ich eine Übersicht für die Kommune Apenrade erstellen lassen. Sie zeigt die mittlere Windgeschwindigkeit, die höchsten 10-Minuten-Mittel und die stärksten Böen seit Januar. Jackpot?

Schwacher Wind oder steife Brise?

Zwar wird meine Theorie auf Basis der ausgespuckten Grafik nicht so wirklich bestätigt. Immerhin bekomme ich aber eine Vorahnung. Der Mittelwind beschreibt die mittlere Geschwindigkeit des Windes innerhalb eines 10-Minuten-Intervalls. Demnach lag die mittlere Windgeschwindigkeit in diesem Jahr zwischen schwachen 4,4 m/s im April und mäßigen 5,7 m/s im Mai. Auch der Januar mit 5,4 m/s und der Februar mit 4,9 m/s waren windig, aber die Werte sind lange kein Indiz für eine steife Brise oder gar einen Sturm.

Die höchsten gemessenen Intervall-Werte (Höchstwerte des 10-Minuten-Durchschnitts) hingegen zeigen, dass der Wind mitunter doch deutlich böiger wehte (Januar: 17,1 m/s, Februar 18,8 m/s, März, 17,5 m/s). Hier sprechen wir bereits von steifem bis stürmischem Wind. Von böigem Wind spricht man, wenn der 10-Minuten-Wert innerhalb eines Zeitraums von 3 bis 20 Sekunden um mindestens 5 m/s überschritten wird. Dieser Wert wird in der Kommune Apenrade an einigen Tagen sogar übertroffen.

Die stärksten Windböen, sie werden über einen Messzeitraum von 3 Sekunden ermittelt, wurden im Februar mit 31,5 m/s gemessen – Windstärke 11 dank Sturmtief „Otto“. 

Alles im Rahmen

Spannend wird es, blickt man auf die Windentwicklung im Vorjahresvergleich. Dort wird deutlich, dass die mittlere Windgeschwindigkeit dieses Jahr bislang auf leicht höherem Niveau liegt als 2022. Nur hat das Jahr erst angefangen. Immerhin: Das vergangene Jahr war stürmischer als 2021. Befinden wir uns also in einer windigen Aufwärtsspirale? Wohl kaum. Alles in allem liegen die mittleren Windgeschwindigkeiten in etwa auf dem Niveau der Vorjahre. 

Deutlich sticht 2013 hervor. Ende Oktober sorgte damals Orkan Allan (Christian) in mehreren europäischen Ländern für Schäden. Der stärkste Windstoß in Dänemark war in Nordschleswig mit 53,5 m/s gemessen worden – 193 km/h. Drei Menschen im Land verloren ihr Leben, einer davon in Hadersleben.

Schwache Beine?

Am Ende scheint es also wohl Einbildung zu sein, dass die windigen Tage mehr geworden sind. Der wettertechnisch launische April und der viele Regen zu Beginn des Jahres könnten die Wahrnehmung beeinflusst haben. Nach besonders steifer Brise klingen die Mittelwerte jedenfalls nicht. Vielleicht bekomme ich auf dem Rad aber vorzugsweise die höchsten Mittel ab. Böiger Wind kann dem Radpendler jedenfalls ordentlich zusetzen. Am Ende sind es aber vielleicht auch meine schwachen Beine, die nicht vermögen, dem Wind etwas entgegenzusetzen.

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