Minderheiten in Europa
Erregte Debatte auf FUEN-Kongress: Keine Kritik an Ungarn
Erregte Debatte auf FUEN-Kongress: Keine Kritik an Ungarn
Erregte Debatte auf FUEN-Kongress: Keine Kritik an Ungarn
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Das Europaparlament richtet scharfe Kritik an Orbáns Regierung – der Minderheiten-Dachverband tut dies gegen den Wunsch der Minderheiten aus Deutschland und Nordschleswig nicht. FUEN-Präsident Vincze will eine Spaltung der Organisation vermeiden – und sieht Ungarn in ein einseitiges Licht gerückt.
Sie war der Aufreger des diesjährigen FUEN-Kongresses in Berlin: Eine Debatte darüber, ob der europäische Minderheiten-Dachverband Ungarn dafür kritisieren solle, keine Demokratie mehr zu sein, wie es das Europaparlament Mitte September getan hatte.
Am Ende gab es die Auseinandersetzung mit dem Thema – aber keine Abstimmung und somit keine Resolution. Und das ärgerte vor allem Delegierte aus den Minderheitenverbänden aus Deutschland, die eine entsprechende Erklärung vorbereitet hatten, aber auch Vertreterinnen und Vertreter von Nachwuchsorganisationen und aus anderen Minderheiten.
Jürgensen: „Auch morgen in den Spiegel blicken können“
So zum Beispiel die deutsche Minderheit in Dänemark, deren Hauptvorsitzender Hinrich Jürgensen sich in seinem Redebeitrag wünschte, „auch morgen in den Spiegel blicken“ und sagen zu können, Mitglied einer Organisation zu sein, die zu ihren Prinzipien wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehe.
Hintergrund des Streits ist, dass Ungarn mit rund 500.000 Euro maßgeblich zum 1,2-Millionen-Haushalt der FUEN beiträgt – und das institutionell. Das bedeutet, dass die Mittel, anders als die rund 500.000 Euro aus Deutschland, nicht an Projekte gebunden sind. Zudem war Ungarn zentraler Förderer der Minderheitenrechte-Initiative MSPI. Im „Nordschleswiger“ hatte Ex-FUEN-Generalsekretär Jan Diedrichsen den Verband deshalb erst im August dazu aufgefordert, dass dieser die Förderung durch Orbáns Regime offen problematisieren müsse. Glaubwürdigkeit, so Diedrichsen, sei „in der Minderheitenpolitik das wichtigste Kapital“.
FUEN Präsident beharrlich: Allgemeine Regierungskritik nicht Aufgabe der Minderheiten
Doch der frisch wiedergewählte Präsident Loránt Vincze von den Ungarinnen und Ungarn in Rumänien sieht seinerseits just die Glaubwürdigkeit der FUEN in Gefahr, wenn sie sich in Angelegenheiten einmischt, die nicht spezifisch die Minderheiten betreffen.
Zudem betreibe Ungarn eine vorbildliche Minderheitenpolitik, so ein sichtlich bewegter Vincze, als er die Debatte in Berlin am Sonnabend quasi mit einem Machtwort beendete. „Es ist gut, eine Debatte über den Schutz von Minderheiten zu führen. Aber Ungarn unterstützt ohne Wenn und Aber den Schutz aller Minderheiten“, so Vincze zu den Delegierten.
Ungarn ist unser Verbündeter.
Loránt Vincze, FUEN-Präsident
Das Land sei wegen der MSPI gegen Europa vor Gericht gezogen, habe die FUEN vor dem Bankrott gerettet und fördere die ungarischen Minderheiten und die Minderheiten in Ungarn wie kein zweites Land. „Deswegen ist Ungarn unser Verbündeter“, so Vincze, der für eine Partei der Ungarinnen und Ungarn in Rumänien in der EVP-Fraktion im Europaparlament sitzt.
Vincze sieht eine „einseitige“ Berichterstattung über Ungarn
Er verstehe durchaus, dass es Bedarf gebe, das Thema Ungarn zu besprechen. „Jeder schaut Fernsehen, wo öffentliche Debatten über diese Themen geführt werden. Diese Debatten sind aber total einseitig; die andere Seite kommt nie zu Wort. Jene, die bei unserem Kongress diese Debatte führen wollten, werden angetrieben von dieser öffentlichen Diskussion“, so Vincze im Anschluss an die Debatte im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“.
„Es ist nicht gut, wenn solche ideologischen Kämpfe in die FUEN hineingetragen werden. Die Mitgliedsstaaten des Europarats sind alle Demokratien, aber sehr unterschiedliche. Alle Regierungen wurden in freien Wahlen gewählt – in all diesen Staaten“, erläutert er.
Leipner: Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind keine Ideologie
Dagegen, die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als „Ideologie“ zu bezeichnen, wie es von ungarischer Seite auch in der Debatte geschah, wehrte sich unterdessen Hartmut Leipner von den Lausitzer Sorben. „Man muss die Beziehung zwischen demokratischer Verfasstheit und Minderheitenpolitik immer wieder herstellen. Wie lange ist es dann so, dass eine gute Minderheitenpolitik geführt wird, wenn die demokratische Grundlage fehlt?“, fragte er.
Vincze jedoch wollte nicht von seinem Argument abrücken, dass die FUEN nur zu Themen Stellung beziehen solle, die ganz konkret die Minderheitenpolitik betreffen.
„Wir dürfen nicht in Debatten einsteigen, die im Europaparlament laufen. Wollen wir die Satzung der FUEN ändern und andere Ziele definieren? Dann würden wir die Einheit zerstören und nicht mehr fähig sein, den Minderheitenschutz voranzutreiben“, so sein Argument.
„Es ist nicht unsere Rolle, nicht in Italien, nicht in Schweden, nicht in einem anderen Land. Wir können diese Debatte führen. Jeder kann seine eigene Position haben, auch jede Organisation. Aber im Namen der FUEN möchte ich sie bitten, von politischen Diskussionen abzusehen.“
So beendete Vincze die Debatte. Die war auch dadurch angeheizt worden, dass die Erklärung nicht zur Abstimmung zugelassen wurde. Zunächst deshalb, weil der Urheber, der Minderheitenrat aus Deutschland, als solcher nicht Mitglied der FUEN ist.
Die regulär eingereichte Vorlage erreichte die FUEN später als zehn Wochen vor dem Kongress – und hätte somit als Eilresolution behandelt werden müssen. Doch dafür, so das Präsidium, habe die Dringlichkeit gefehlt.
Vize-Präsident aus Nordschleswig unterstützte die Erklärung
FUEN-Vizepräsident Gösta Toft aus Nordschleswig, ebenfalls frisch im Amt bestätigt, hatte unterdessen noch versucht, zumindest per Akklamation feststellen zu lassen, ob eine Resolution überhaupt mehrheitsfähig war. Auch dies lehnte Vinze ab. Zuvor hatte der Nordschleswiger seinem Präsidiumskollegen Bahne Bahnsen von den Nordfriesen in dessen Darlegung zugestimmt, dass Ungarn bisher in keiner Weise versucht habe, die FUEN zu beeinflussen.
Ich kann die Erklärung nur unterstützen, vor allem die Aufforderung, zur Demokratie zurückzukehren.
Gösta Toft
„Es ist in Ordnung, was ihr an Ungarn kritisiert. Aber da sehe ich keine Verbindung“, so der für die Finanzen zuständige Bahnsen, der insinuierte, dass die Mittel aus Budapest auch ohne Orbán fließen würden.
Toft unterstrich, dass Ungarn ein berechtigtes Interesse habe, die Minderheiten zu unterstützen. Doch zugleich verfolge er die „Entwicklung in Ungarn mit Besorgnis“, und es gelte, auch die dortigen Minderheitenverbände im Auge zu behalten. „Ich kann die Erklärung nur unterstützen, vor allem die Aufforderung, zur Demokratie zurückzukehren“, so Toft unter Applaus.
Applaus, wenngleich nicht unbedingt von denselben Delegierten, gab es jedoch auch für Vincze, der im „Nordschleswiger“-Interview unterstrich: „Wir sollten uns auf unsere Aufgabe konzentrieren, Minderheitenrechte einzufordern, und nur in diesem Zusammenhang Kritik an Regierungen üben.“Auf Nachfrage ergänzte er, dass dies auch für Ungarn gelten würde. „Würde ich sehen, dass Ungarn Minderheitenrechte verletzt, würde ich erst mit ihnen reden und dann die Sache in die FUEN bringen.“
Vor der Debatte hatte die Delegiertenversammlung zahlreiche Resolutionen verabschiedet, in denen auf minderheitenpolitische Probleme und Skandale hingewiesen wurde – etwa, dass Polen der deutschen Minderheit den Deutschunterricht zusammenstreicht oder dass der Krieg gegen die Ukraine dort eine Stärkung der Minderheitenrechte zur Folge haben müsse.