Unfälle auf dem Nord-Ostsee-Kanal

Pleiten, Pech und Pannen: Meistens waren Lotsen an Bord

Pleiten, Pech und Pannen: Meistens waren Lotsen an Bord

Pleiten, Pech und Pannen: Meistens waren Lotsen an Bord

Margret Kiosz/shz.de
Kiel
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Ein Mitarbeiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts telefoniert an der Nordkammer der Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals in Kiel-Holtenau. Ein Frachter krachte am 13. März 2021 in das Tor der Nordkammer. Foto: Axel Heimken/dpa

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Immer wieder gibt es auf der Wasserstraße Kollisionen – 277 Unfälle an den Kanal-Schleusen seit 2010.

Was ist nur los auf dem Nord-Ostsee-Kanal? Das fragen sich nicht nur die Reeder, die am Sonntag ihre Schiffe umlenken mussten. Statt den kurzen Weg durch den Kanal zu nehmen, wurde auf die Route rund Skagen ausgewichen. Acht Stunden Wartezeit in Kiel-Holtenau, wo nur noch eine einzige Schleusenkammer nach einer Havarie zur Verfügung stand, das war ihnen zu viel.

„Viele vergessen, dass der Kanal nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch für die Schifffahrt wichtig ist und funktionieren muss“, sagte Wirtschaftsminister Bernd Buchholz. Wenn Schiffe den längeren Weg um die Nordspitze Dänemarks nehmen, kostet das nicht nur Zeit, sondern es werde auch unnütz Diesel verheizt und Abgase würden durch die Schlote geschickt.

Ausfallzeiten des NOK nicht systematisch erfasst

Die Reedereien und Schiffsmakler klagen seit langem über fehlende Planbarkeit der Kanal-Passagen und die Unzuverlässigkeit der 125 Jahre alten Schleusen. Bislang gibt es aber nur „gefühlte“ Ausfallzeiten, weil die Ursachen für die vielen Schleusenausfälle und Zwischenfälle auf der 90 Kilometer langen, meistbefahrenen Wasserstraße der Welt nicht systematisch erfasst werden, wie kürzlich der Generaldirektor Wasserstraßen und Schifffahrt, Hans-Heinrich Witte, zugeben musste. Aber jetzt bringt zumindest die Antwort des Verkehrsministeriums auf eine kleine Anfrage der AfD etwas Licht in die Stau-Situation im Kanal und vor seinen Zufahrten in Kiel und Brunsbüttel.

Menschliches Versagen an Bord

Wie die Tabelle zeigt, gab es in den vergangenen zehn Jahren 277 Unfälle – mit vier Ausnahmen waren immer Lotsen an Bord, die durch ihre Gewässerkunde eigentlich eine sichere Passage garantieren sollen. Obwohl bei offiziellen Berichten über Unfälle sehr häufig von technischen Schwierigkeiten die Rede ist, zeigt die Tabelle, dass die Unfallursache in mehr als der Hälfte der 277 Fälle menschliches Versagen war.

Auffällig ist zudem, dass es an der Nordseeseite des Kanals deutlich häufiger kracht als im Bereich Kiel, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Tidenhub in Brunsbüttel die Manöver erschwert. Allerdings passieren Kollisionen mit Schleusentoren in Brunsbüttel und Kiel fast gleich häufig, und das in der Regel beim Einlaufen. Erstaunlich, denn seit 2015 müssen alle Schiffe vor dem Einschleusen ein Rückwärtsmanöver durchführen, um zu beweisen, dass das Schiff im Notfall rechtzeitig stoppen kann, und den positiven Test vorm Einlaufen dem Schleusenmeister melden.

Harte Kritik am Verkehrsminister und dem Kanalchef

Weil es ohne intakte Schleusentore nicht geht, fordert Schleswig-Holsteins Nautischer Verein schon seit Monaten, die beiden Ersatztore schnell betriebsfähig zu machen. Dass sechs Monate nach der Havarie noch immer kein Reparaturauftrag ausgeschrieben worden ist, wertet man als Skandal. Für den Kieler Bundestagsabgeordneten Mathias Stein (SPD) steht fest, wo die Schuldigen sitzen: Verkehrsminister Scheuer (CSU) und Kanalchef Witte kümmern sich zu wenig um Ersatz und Instandsetzung.

Das sieht das Ministerium ganz anders. Auf die AfD-Anfrage äußerte die Behörde, zwei Ersatztore reichten. „Darüber hinaus weitere Ersatz-Schiebetore vorzuhalten, kann in Anbetracht der hohen Kosten für die Anschaffung in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags bei der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit von Havarien nicht vertreten werden.“

Die Industrie- und Handelskammer Schleswig-Holstein spricht derweil von einem „weiteren Akt im Trauerspiel um die Kanaltore“. Hilferufe aus der Wirtschaft dürften nicht länger ignoriert werden. In Kiel sollen jetzt Schlepper die Schiffe in die Schleuse bringen. „Wir hoffen, dass wir dadurch das Sicherheitsniveau etwas erhöhen können“, erklärte gestern Detlef Wittmüß, Chef des Wasser- und Schifffahrtsamtes Kiel.

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