ALKOHOL, DROGEN, ZIGARETTEN

Mehr Süchtige durch Corona – auch in Schleswig-Holstein

Mehr Süchtige durch Corona – auch in Schleswig-Holstein

Mehr Süchtige durch Corona – auch in Schleswig-Holstein

Margret Kiosz/shz.de
Kiel
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Experten sehen immer mehr Menschen suchtgefährdet. Vor allem der Alkoholkonsum hat während der Pandemie signifikant zugenommen.

Erst allmählich werden bislang unerkannte Folgen der Pandemie sichtbar: Steigender Alkoholkonsum ist eine davon. „Die Corona-Pandemie hat sich auch auf die Trinkgewohnheiten vieler Menschen ausgewirkt“, erklärt der Experte der Landestelle für Suchtgefahren in Schleswig-Holstein, Björn Malchow, in Kiel.

 

 

 

Mehrere neue Studien lassen den Schluss zu, dass der Alkoholkonsum in Pandemiezeiten signifikant zugenommen hat. „Wir sehen in unseren Beratungsgesprächen, dass diejenigen, die schon vor Corona ein Problem hatten, jetzt besonders gefährdet sind“, erklärt Malchow. „Durch Isolation und Homeoffice fehlt bei vielen die soziale Kontrolle“.

Trinken in den eigenen vier Wänden

In diversen Studien nennen die Befragten als häufigste Gründe für das veränderte Trinkverhalten, in der Pandemie einfach „mehr Zeit dafür zu haben“ oder schlicht „Langeweile“. Andere wollen mit dem Alkohol Ängste und Sorgen kompensieren, die die Corona-Krise bei ihnen ausgelöst hat. Diese Angaben decken sich mit jüngsten Beobachtungen von Psychotherapeuten und Psychiatern, die in der Pandemie einen steigenden Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum und dadurch eine Zunahme psychischer Probleme beobachtet haben.

Die Pandemie hat auch die Orte verändert, an denen getrunken wird. „Weil Bars und Restaurants monatelang dicht waren, hat sich das Trinken einfach nach Hause verlagert“, erklärt Malchow. Einzelhandel und Onlineshops konnten ihre Umsätze deutlich steigern.

Anstieg in Schleswig-Holstein

Dabei hat der Teufel Alkohol schon vor der Pandemie im Norden verstärkt sein Unwesen getrieben. Knapp 50.000 Schleswig-Holsteiner haben laut Barmer Krankenkasse ein diagnostiziertes Alkoholproblem. „Leider ist deren Zahl innerhalb von fünf Jahren um rund zehn Prozent angestiegen“, sagt Bernd Hillebrandt, Landeschef der Barmer in Kiel. Während die Betroffenenrate der Frauen hierzulande mit 1,0 Prozent etwas über dem Bundesdurchschnitt von 0,9 Prozent liegt, ist sie bei den Männern deutlich erhöht. „In Schleswig-Holstein sind 2,3 Prozent der Männer alkoholabhängig, das sind sieben Prozent mehr als im Bundesschnitt“, erklärt der Kassenchef.  

Suchtexperte Malchow rät allen Nordlichtern, mindestens zwei Tage die Woche alkoholfrei zu bleiben.

 

Fehlgriff im Lockdown

Ein Kommentar von Margret Kiosz

Durch die Webcam riecht man keine Alkoholfahne. Deshalb bleibt die Sucht in Corona-Zeiten häufig unentdeckt. Langfristig verbergen kann man sie nicht. Spätestens wenn statt Homeoffice wieder Büro angesagt ist, offenbart sich das Elend. 

Die Prognosen der Experten sind alarmierend, weil überproportional viele Schleswig-Holsteiner schon vor der Pandemie zur Flasche gegriffen haben. Dass dieser Fehlgriff durch die Lockdown-Maßnahmen nun befördert wurde, zählt zu den bedauerlichen Kollateralschäden, genauso wie die Zunahme häuslicher Gewalt und die mentale Vernachlässigung der Kinder.

Die Einschränkung der persönlichen Kontakte führt in die Einsamkeit. Am hilfreichsten sind deshalb aufmerksame Mitmenschen, die zeigen, dass der treueste Freund nicht der hochprozentige ist, sondern der, der zuhört, präsent ist und notfalls Hilfe organisiert. Das geht auch mit Abstand und Maske.

 

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