Grenzland-Seminar
Aufwachsen in der Grenzregion: Identitätskonflikte und Mehrwerte
Aufwachsen in der Grenzregion: Identitätskonflikte und Mehrwerte
Leben in der Grenzregion: Identitätsprobleme und Mehrwerte
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Historikerinnen und Historiker beleuchteten bei einem Seminar die Identität der deutsch-dänischen Grenzregion nach 1955, und diskutierten über Ideen für neue Forschungsperspektiven. Für Jon Thulstrup war das Aufwachsen in der deutschen Minderheit nicht immer von Stolz geprägt, wie er bei dem Seminar berichtete.
Ein zweitägiges Forscherseminar mit 27 Historikerinnen und Historikern aus dem deutsch-dänischen Grenzland fand in der vergangenen Woche am Mittwoch und Donnerstag in Christianslyst statt. Dazu zum ersten Mal aufgerufen hatte Morten Pedersen vom Museum Sønderjylland. Thema des Seminars war die Identität und Politik im deutsch-dänischen Grenzland nach 1955 – und welche Aspekte dieser Zeit für zukünftige Forschungsprojekte interessant sein könnten.
Dass die nationale Identität und Zugehörigkeit bei Menschen der Grenzregion häufig hin und her wechselt, oder sowohl dänisch als auch deutsch sein kann. Das ist, glaube ich, vielen Menschen von außerhalb der Grenzregion gar nicht klar.
Morten Pedersen
Grenzland-Forschende diskutierten über unerforschte Kapitel
Jon Thulstrup, der Historiker und Forschungsleiter der deutschen Minderheit, kam Pedersens Einladung gerne nach. „Das waren interessante Tage mit einem intensiven und netten Austausch. So etwas gab es meiner Meinung nach bisher zu wenig. Es wurde über mögliche Forschungsperspektiven gesprochen, und darüber, was in Zukunft eventuell auch institutionsübergreifend gemacht werden könnte. Als Beispiel könnten wir unter anderem mit dem Museum Sønderjylland, aber auch mit der Zentralbibliothek der dänischen Minderheit zusammenarbeiten. Da gibt es viele Möglichkeiten“, sagt Thulstrup.
Vergangene Jahrzehnte bisher wenig erforscht
Dafür, dass die Zeit nach 1955 im deutsch-dänischen Grenzland das Interesse vieler Seminarteilnehmenden geweckt hat, gibt es laut Pedersen mehrere Gründe.
„Die Zeit nach 1955 wurde bisher noch nicht so viel besprochen und erforscht. Daher wollten wir ein Seminar durchführen, bei dem diese neuere Zeit im Mittelpunkt steht und diskutiert werden sollte. Das Interesse hierfür war sofort enorm – sowohl von nördlich als auch südlich der Grenze“, meint der Abteilungschef für Wissen und Sammlungen (Afdelingschef Viden & Samlinger) vom Museum Sønderjylland.
Nicht nur deutsch oder dänisch, sondern sowohl als auch
Seit zwei Jahren arbeitet Pedersen für das Museum Sønderjylland. Ursprünglich stammt er aus Nordjütland, weswegen er durch die Erzählungen der Teilnehmenden aus der deutsch-dänischen Grenzregion viele spannende und neue Einsichten bekommen habe.
„Dass die nationale Identität und Zugehörigkeit bei Menschen der Grenzregion häufig hin und her wechselt, oder sowohl dänisch als auch deutsch sein kann. Das ist, glaube ich, vielen Menschen von außerhalb der Grenzregion gar nicht klar. Ich bin der Meinung, dass wir viele interessante Geschichten zu erzählen haben, die nicht nur für die Menschen in Nord- und Südschleswig relevant sein könnten“, so Pedersen.
Identitätskonflikte in der deutschen Minderheit
Ein interessantes Forschungsthema könnten laut Thulstrup auch Identitätskonflikte innerhalb der Nachkriegs- sowie der darauffolgenden Generationen der deutschen Minderheit sein. Diese Idee stellte er auch beim Seminar vor.
Viele meiner Mitschüler und ich waren als Kinder lange nicht stolz auf unsere deutschen Wurzeln.
Jon Thulstrup
„Warum gab oder gibt es diese Identitätskonflikte? Wie sind sie mit der NS-Zeit verknüpft? Diese Idee habe ich beim Seminar vorgestellt und eine Parallele zu meiner Generation gezogen. Auch viele meiner Mitschüler und ich waren als Kinder lange nicht stolz auf unsere deutschen Wurzeln und haben Deutsch als „Tabersprog“ (Verlierersprache) betrachtet“, sagt der im Jahr 1989 geborene Forschungsleiter der deutschen Minderheit und Historiker vom Deutschen Museum Nordschleswig.
Aufwachsen in der Minderheit als Mehrwert
Ihm und seinen ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschülern der deutschen Schulen in Nordschleswig sei erst viel später klargeworden, was für ein Mehrwert es sei, in der deutschen Minderheit groß geworden und mit zwei Sprachen aufgewachsen zu sein.
„Das habe ich erst in meiner Nachschulzeit erkannt. Da kam ich plötzlich in Kontakt mit Mitschülern aus dem ganzen Land, die sagten, ist das toll, dass du Deutsch sprichst und sowohl eine deutsche als auch eine dänische Identität hast“, erzählt Thulstrup.
Laut dem ehemaligen Schüler der Deutschen Schule Tingleff und des Deutschen Gymnasiums Nordschleswig in Apenrade (Abitur 2009) wäre ein interessanter Forschungsansatz somit auch, inwiefern Identitätskonflikte innerhalb der Nachkriegsgeneration an die darauffolgenden Generationen in der Minderheit weitergegeben wurden.