Corona-Krise

Zehntklässler fühlen sich ihrer Jugend beraubt

Zehntklässler fühlen sich ihrer Jugend beraubt

Zehntklässler fühlen sich ihrer Jugend beraubt

Silke Schlüter/shz.de
Viöl
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„Wenn ich zu Hause allein in meinem Zimmer sitze, gibt es 1000 Dinge, die mich vom Lernen abhalten“. Einige Schüler sind inzwischen froh über die Tage, an denen sie in die Schule kommen dürfen. Foto: Silke Schlüter

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Was macht Corona eigentlich mit mir? Zehntklässler aus Viöl geben ganz persönliche Antworten.

Das Ende der Schulzeit ist für die meisten Jugendlichen ein ganz zentraler Punkt im Leben. Zum einen sollen sie noch einmal so richtig zur Höchstform auflaufen, einen tollen Abschluss hinlegen und einen Ausbildungsplatz finden. Zum anderen sind sie nun in einem Alter, in dem die erste Liebe für große Gefühle sorgt, in der man den Führerschein macht, mobil oder gleich flügge wird.  

Vor allem aber das Leben noch einmal so richtig feiert, das sich mit dem Berufsleben noch früh genug von seiner ernsthaften Seite zeigen wird. Vieles davon hat Corona inzwischen zunichte gemacht, finden die Zehntklässler der Gemeinschaftsschule in Viöl. Sie haben sich mit der Frage beschäftigt: „Was macht Corona eigentlich mit mir?“

Viele haben Homeschooling satt

Nachdem das Homeschooling anfangs noch reizvoll erschien, haben die meisten das Lernen zu Hause längst satt. Einige kommen gut damit klar, andere nicht: „Zuhause in meinem Zimmer gibt es 1000 Dinge, die mich vom Lernen abhalten“, gibt Justin zu und ist froh über die Tage, an denen er in die Schule kommen darf. Salidat tut sich mit Videokonferenzen schwer, bei denen sie ihre Kamera ausschalten soll: „Wenn ich nicht gesehen werde, bin ich am Handy oder passe nicht richtig auf“, gesteht sie.

Salidat gibt zu, dass sie im Videounterricht manchmal abgelenkt ist. Hinzu kommt, dass sie ohne ihren Minijob im Fitnesscenter weniger Geld zur Verfügung hat. Foto: Privat

Marc hingegen gefällt das Lernen auf Distanz: „Ich kann mir die Arbeit frei einteilen“, sagt er. Da er seine Freizeit ohnehin am liebsten in einer Werkstatt verbringt, fühlt er sich von Corona nicht besonders eingeschränkt. Das ist Marc aber die Ausnahme.  

Fahrunterricht auf Eis

Viele seiner Klassenkameraden würden jetzt gerne den Führerschein machen, um rechtzeitig zu Beginn der Ausbildung mobil zu sein – gerade auf dem Land ist das ein elementarer Punkt. Doch wer im vergangenen Jahr mit dem Fahrunterricht angefangen hat, saß seit Beginn des Lockdowns nicht mehr am Steuer. Das heißt, dass der Führerschein teurer wird, weil zusätzliche Stunden nötig sein werden.  

Gleichzeitig werden die Wartelisten in den Fahrschulen immer länger, so dass diejenigen, die jetzt starten wollen, vielleicht „ewig“ auf ihre ersten Fahrstunden warten müssen. Für Leonie ist das mit Blick auf ihre beruflichen Pläne eine Katastrophe: „Ich brauche ein Auto, um nach Flensburg und Niebüll zu kommen“, sagt sie.

Leonie kann aktuell keinen Führerschein machen und vermisst das Akkordeonspielen in ihrem Orchester. Foto: Privat

Alle vermissen Kontakte

Pauline hatte kürzlich ein Bewerbungsgespräch per Videokonferenz. Die dafür genutzte Plattform war ihr fremd und das W-Lan spielte nicht mit. Was blieb, war das ungute Gefühl, dass das Gespräch für sie nicht gut gelaufen ist. Svea möchte weiter zur Schule gehen und hätte sich ihre Favoriten vorher gerne angesehen, doch das war nicht möglich. Jetzt kann sie nur hoffen, sich für die richtige Schule entschieden zu haben.

Abgesehen davon vermissen alle irgendjemanden. Cristianas Familie lebt weit weg in Rumänien, Madita hat ihre Großeltern in Nordrhein-Westfalen seit über einem Jahr nicht gesehen. Vilje fühlt sich ihrer Jugend beraubt: „In unserem Alter brauchen wir die sozialen Kontakte“, meint sie. Salidat stimmt ihr zu: „Es gibt auch Jugendliche, die unter Depressionen leiden und sich ohne ihre Freunde jetzt sehr einsam fühlen“, sagt sie.

Erste Liebe? Gut, wer sie schon gefunden hat

Justin hat während des Lockdowns entdeckt, dass es ganz cool sein kann, mit der Familie zusammen zu sein. Kilian ist froh, dass er eine Freundin hat, mit der er sich treffen kann. Die Beiden kannten sich schon vor Corona. Zum Glück, wie er sagt, denn in Zeiten wie diesen sei es schwer, jemanden kennenzulernen. „Wenn ich sie nicht hätte und wenn am Ende nur noch die Schule bleibt, dann ist es schwer, etwas zu finden, was einem noch Spaß macht“, sagt er.

Fakt ist: Den anfänglichen Spaß am Herumdaddeln und Nichtstun haben alle längst verloren. Ob Fußball-, Handball-, Tanztraining oder Proben mit dem Akkordeonorchester: Fast jeder der rund 45 Schüler vermisst irgendeine Nachmittagsaktivität, weiß diese inzwischen aber auch mehr zu schätzen.

Minijob kann nicht stattfinden

Wo früher aus Bequemlichkeit mal ein Training geschwänzt wurde, wäre jetzt jeder froh, wenigstens ab und zu mal rauszukommen. Milla spielt Fußball und weiß nach mehr als vier trainingsfreien Monaten, dass ihr das nicht gut tut: „Ich merke, dass ich inzwischen viel schneller aus der Puste bin“, gesteht sie. Dass ihr Fitnessstudio schon seit Monaten geschlossen ist, wirft auch Salidats Pläne total durcheinander: „Ich hatte dort einen Minijob angenommen, um nach der Schule mit einem finanziellen Polster starten zu können.“ Daraus wird jetzt wohl nichts.

Ob es zum Schulabschluss im Frühsommer einen Chaostag und einen Ball geben wird, ist für den Abschlussjahrgang die ganz große Frage. Viele von ihnen würden dann zum ersten Mal einen Anzug oder ein Abendkleid tragen. Auf den Kauf dieser Robe freuen sich die Mädchen schon lange und sind dementsprechend bedrückt: „Es wäre schade, wenn wir unser erstes Abendkleid jetzt im Internet kaufen müssten – wenn es überhaupt soweit kommt.“

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