1971

Flensburgerin über Demos in Berlin und die Frauenbewegung

Flensburgerin über Demos in Berlin und die Frauenbewegung

Flensburgerin über Demos in Berlin und die Frauenbewegung

Lea Pook/shz.de
Flensburg
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Eva Freudenreich-Kolb
Eva Freudenreich-Kolb bei sich zu Hause auf dem Sofa. Foto: Lea Pook

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Eva Freudenreich-Kolb war mittendrin: Aus der Kleinstadt kommend, fand sie sich 1971 mit großen Augen in Berlin auf einer Demo gegen den §218 StGB wieder. Was sie heute darüber denkt, hat sie shz.de im Interview erzählt.

Am 6. Juni 1971 erschien die legendäre Ausgabe des Stern, in der 374 Frauen öffentlich bekannten, ihre Schwangerschaft abgebrochen und damit gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Dieser Tabubruch war ein Meilenstein der damaligen Frauenbewegung und der Anstoß für viele Gruppen, sich gegen den §218 StGB einzusetzen, der Schwangerschaftsabbrüche seit 150 Jahren als rechtswidrig festlegt.

Eva Freudenreich-Kolb, geboren 1950 und seit über 40 Jahren Wahl-Flensburgerin, hat damals die Zeit miterlebt. Im Interview mit shz.de erzählt sie, was die Stern-Ausgabe für sie damals bedeutete und wie sie die Situation heute, genau 50 Jahre später, in Flensburg bewertet.

Wie war das damals, als diese Ausgabe „Wir haben abgetrieben!“ im Stern erschien? Was hat das für Gefühle ausgelöst und wie war die Stimmung?

Es war etwas ganz Revolutionäres und Aufrührendes. Ich weiß nicht mehr, welches Gefühl ich hatte, aber ich habe noch das Bild vor Augen von der Ausgabe. Ich bin kein Stern-Leser – dass ich mich daran noch erinnern kann – nach 50 Jahren – finde ich erstaunlich.

 

Und wie erinnern Sie generell die gesellschaftliche Stimmung rund um das Thema der Abtreibung?

Ich bin ja ein Nachkriegskind – groß geworden in einer Zeit mit einer sehr großen moralischen Enge. Ich hatte viel Angst schwanger zu werden. Und ich habe mich erst getraut kurz vor meiner Hochzeit zu einem Frauenarzt zu gehen und mir die Pille verschreiben zu lassen und das sogar in einer anderen Stadt. Das drückt eigentlich das Klima aus.

Ich komme aus Nordhessen. 1971 bin ich nach Berlin gegangen, habe an der Fachhochschule Sozialarbeit studiert und bin da in eine Welle der Befreiung gekommen – direkt in das offene, freie Leben. Dort war es möglich mit anderen über Sexualität zu sprechen – alles hatte einen ganz anderen Rahmen. Ich war allerdings damals frisch verheiratet – und wenn man sich überlegt, zeigt auch das das Klima: Ich war 19, noch nicht volljährig – man machte das einfach, damit man zusammen sein konnte.

Das ist etwas, was – ich glaube – heute junge Frauen oder Männer sich gar nicht mehr vorstellen können: Welcher moralische Druck da war – welche Tabus. Sexualität war ein ganz großes Tabu.
Eva Freudenreich-Kolb

Die Bewegung für Schwangerschaftsabbrüche war eingebunden in die Gesamtforderung nach mehr Selbstbestimmung. Meine erste Großdemonstration in Berlin – das muss ‘71 gewesen sein – war tatsächlich gegen den §218. Natürlich auch noch mit großen Augen guckend, aus einer Kleinstadt kommend, beeindruckt, von der Kraft der Frauen – von so einer Frauensolidarität.

Weiterlesen: Wiebke Tischler und Andrea Pabst fordern: Abtreibung muss raus aus dem Strafgesetzbuch

Das war etwas Neues?

Ja, etwas ganz Neues. Die Frauen im Stern haben das damals wirklich an die Öffentlichkeit gebracht, dieses Tabu ein Stück gebrochen und deutlich gemacht: Ich stehe dazu, ich zeige das. Letztlich wurde damit deutlich: Das kann jeder Frau passieren.

Die Frauenbewegung ist da nochmal wie explodiert und viele Frauengruppen sind entstanden. Diese Zeit hat auch in mir viel in Bewegung gebracht.

Eva Freudenreich-Kolb
Eva Freudenreich-Kolb sitzt auf der Couch und erzählt über die 70er Jahre. Foto: Lea Pook

Und wie haben Sie sich damals die Zukunft vorgestellt in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche und feministische Themen – was war die Idee, wie es weitergehen würde?

Es war auf jeden Fall ein Aufbruch und dieses Gefühl: Wir Frauen, uns gehört die Hälfte des Himmels. Während der Studentenbewegung vorher haben die Frauen den Männern sozusagen alles nett gemacht und standen im Hintergrund. Die Frauenbewegung ist dann aus dem Motiv entstanden: Wir sind auch hier und wir sind wichtig. Bei mir ist damals ein größeres Selbstwertgefühl als Frau entstanden.

Ich glaube, zu der Zeit musste die Frauenbewegung so massiv sein, um überhaupt was in Bewegung zu bringen. Und wir dachten, das Thema der Abtreibungen würde heute durch Reformen und Gesetze geregelt sein und sich liberalisiert haben.

 

Den Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche in Flensburg im Kopf – wie ist es jetzt, sich an diese Stern-Ausgabe zu erinnern?

Heute denke ich: Meine Güte nochmal, das ist immer noch ein Thema! Das finde ich unfassbar: Nach 50 Jahren wird hier in Frage gestellt, einen Schwangerschaftsabbruch in der Klinik durchzuführen.

Dass man eine rechtlich verankerte Abtreibung im Krankenhaus in Frage stellt, dass man darüber überhaupt nachdenkt, ist doch eigentlich ein Unding.
Eva Freudenreich-Kolb

Es ist eigentlich gar nicht zu glauben: Grade hier oben in Flensburg kommt das katholische Franziskus so durch. Das ist etwas, was ich mir eigentlich nicht mehr vorstellen kann.

Und da finde ich, dass deutlich wird: Wir Frauen können uns nie auf das verlassen, was wir erreicht haben, sondern es geht immer wieder darum, dass wir unsere Rechte einfordern. Ich finde es daher super, dass sich derzeit in Flensburg viele junge Frauen des Themas annehmen.

Letztlich ist ja die Frage: Weshalb ist das überhaupt noch strafbar? Weshalb kann der §218 nicht ganz abgeschafft werden?

Wie sehen Sie jetzt die Zukunft in Bezug auf diese Themen? Was ist eine realistische und was eine utopische Vision?

Also die realistische ist, dass es konservative Kräfte gibt, die stärker werden. Rechte Kreise und auch die Spitze der katholischen Kirche haben nach wie vor diese Haltung. Die Utopie, dass dieser Paragraph gestrichen wird, wird wohl noch länger dauern. Deswegen glaube ich, dass es darum geht, dass auch die jungen Frauen sich nicht darauf ausruhen, was alles schon in der Frauenbewegung erreicht worden ist, sondern jede Generation von Frauen wieder neu für sich gucken muss: Was ist es, was wir brauchen? An welchem Punkten sollen wir uns nicht mit dem zufrieden geben, was wir haben und wo werden Rechte gestrichen?

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