Leitartikel

„Mink-Affäre: Versagen des Staatsapparates rüttelt am Fundament“

Mink-Affäre: Versagen des Staatsapparates rüttelt am Fundament

Versagen des Staatsapparates rüttelt am Fundament

Kopenhagen
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Die Beamtinnen und Beamten der dänischen Zentralverwaltung sind dafür bekannt, sachlich und juristisch sauber Regierungen unterschiedlicher Couleur zu dienen. Bei der Mink-Affäre konnten sie jedoch der übereifrigen und machtvollen Regierung von Mette Frederiksen nicht standhalten, meint Walter Turnowsky.

Welche Folgen der Bericht der Minkkommission für Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) haben wird, müssen die politischen Auseinandersetzungen und taktischen Manöver der kommenden Tage zeigen.

Ungeschoren wird sie nicht davonkommen, aber es kann durchaus mit einer weichen Landung in Form einer Verwarnung, in der dänischen Polit-Sprache „Nase“ genannt, enden. Der damalige Nahrungsmittelminister Mogens Jensen (Soz.) musste bereits im November 2020 wegen der Affäre zurücktreten.

Konsequenzen, zum Teil vermutlich von der schwerwiegenden Sorte, dürfte der Bericht für eine Reihe von Beamtinnen und Beamten an der absoluten Spitzen des Staatsapparates haben. Bei ganzen zehn von ihnen verortet die Kommission „schwere Dienstversäumnisse“ und kommt zu dem Ergebnis, sie könnten zur Rechenschaft gezogen werden. Dies kann sie die Stelle kosten, aber in groben Fällen auch zu einem Strafverfahren führen.

Unter den zehn Beamten finden wir die Departementschefin (Staatssekretärin) des Staatsministeriums, Barbara Bertelsen, den Departementschef des Justizministeriums, Johan Legart, sowie Reichspolizeichef Thorkild Fogde. Bertelsen ist als Verwaltungschefin des Staatsministeriums die machtvollste Beamtin Dänemarks überhaupt. Die Kritik an ihr ist nicht nur scharf, sondern vernichtend: „Bertelsen, selbst Juristin, hätte gegenüber dem Ressortministerium die Frage nach einer Gesetzesgrundlage stellen müssen, in jedem Falle vor der Pressekonferenz der Staatsministerin am 4. November 2022, um sicherzustellen, dass es die notwendige gesetzliche Grundlage gab.“

Doch auch das Versagen des obersten Polizeichefs und des Chefs des Justizministeriums ist bemerkenswert. Sie hätten die Notbremse nicht nur ziehen können, sondern müssen. Getan haben sie das Gegenteil und bei der Durchsetzung der illegalen Anordnung kräftig mitgeholfen.

Im Gegensatz zum politischen System in Deutschland gibt es in Dänemark keine politisch ernannten Staatsekretäre (oder Staatsminister, nicht mit der dänischen Regierungschefin zu verwechseln). Die Departementschefs müssen dafür sorgen, dass Beschlüsse ihrer Ministerinnen und Minister auf einer sachlichen, informierten und vor allem legalen Grundlage aufbauen. Häufig bleiben sie auch nach einem Regierungswechsel in ihrem Ministerium, und daher brauchen sie auch politisches Gespür, denn sie sollen ja die Politik der jeweiligen Regierung umsetzen.

Das ist selbstverständlich immer ein Balanceakt zwischen Sachlichkeit und politischer Sensibilität. Bei der Mink-Affäre ist diese Balance vollkommen zusammengebrochen. Im Eifer, die Politik einer machtvollen Regierungschefin umzusetzen, haben die Spitzenbeamten die Rücksicht auf die Legalität nicht lediglich hintenan gestellt, sondern vollkommen vernachlässigt. So etwas rüttelt am Fundament des Rechtsstaates.

Es ist erklärtes Ziel von Mette Frederiksen gewesen, die Macht der Verwaltung einzuschränken und auf einem uneingeschränktem Primat der Politik zu bestehen. Gleichzeitig hat sie die Macht des Staatsministeriums ausgebaut. Um diese Ziele umzusetzen, hat sie Barbara Bertelsen, die sie während ihrer Zeit als Justizministerin kennengelernt hatte, aus eben diesem Ministerium geholt. In ihr sah sie eine Departementschefin neuen Schlages.

Aber genau hier hat das neue System versagt. Bertelsen war fast ausschließlich darauf erpicht, die Politik ihrer politischen Chefin umzusetzen. Die naheliegende Frage „Dürfen wir das überhaupt?“ stellte die Juristin nicht. Vieles deutet darauf hin, dass sie dafür einen hohen Preis zahlen wird.

Doch letztendlich liegt die Verantwortung dafür, das System umzukrempeln, bei der Regierungschefin. Sie war es auch, die in der kritischen Phase im November 2020 so großen Druck auf das System ausübte, dass es nicht standhalten konnte.

Die Corona-Krise und die potenzielle Bedrohung durch die Ausbreitung des Virus unter den Minks kann da als Entschuldigung nicht herhalten. Denn gerade in Krisenzeiten müssen wir uns als Bevölkerung darauf verlassen können, dass Behörden und Regierung ausschließlich im Rahmen des Gesetzes agieren.

Dass dieses Vertrauen beschädigt worden ist, ist langfristig vielleicht die schwerwiegendste Konsequenz der Mink-Affäre.

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