Diese Woche in Kopenhagen

„Sex, Fragen und Wanzen“

Sex, Fragen und Wanzen

Sex, Fragen und Wanzen

Kopenhagen
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Der Fall um den wegen Hochverrat bezichtigten Chef des Geheimdienstes FE, Lars Findsen, wird immer verworrener. Walter Turnowsky erklärt, wie die jüngsten Entwicklungen zuzuordnen sind.

Ein ehemaliger Chef des polizeilichen Nachrichtendienstes PET hat den derzeitigen PET-Chef angezeigt, weil dieser Informationen über das Sexleben des Chefs des militärischen Nachrichtendienstes FE ausgeplaudert haben soll.

Hätte man John LeCarre das als Idee für einen neuen Roman präsentiert, hätte er diese vermutlich als viel zu abstrus abgewiesen. Nichtsdestotrotz ist das die jüngste Entwicklung im Fall um den beurlaubten FE-Chef Lars Findsen.

Ihm wurde zunächst vorgeworfen, seine Behörde habe dem US-Nachrichtendienst NSA widerrechtlich Zugang zu dänischen Datenleitungen genehmigt. Wenige Tage bevor eine Kommission diesen Verdacht widerlegte, wurde Findsen verhaftet. Jetzt wurde ihm vorgeworfen, streng vertrauliche Informationen weitergegeben zu haben.

Am Mittwoch berichtete „Berlingske“ dann, der PET-Chef Finn Borch Andersen habe bei Briefings mit Parteivorsitzenden über das mögliche Strafverfahren gegen Findsen erzählt, dieser würde sadomasochistischen Sex betreiben.

Der ehemalige operative Chef von PET, Hans Jørgen Bonnichsen, meint, diese Information sei für das Verfahren nicht relevant und habe daher nicht geteilt werden dürfen. Daher hat er Borch Andersen angezeigt.

Um trotz spärlicher Informationen ein wenig davon zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, müssen wir uns zurück zum 24. August 2020 begeben. Die Aufsichtsbehörde TET kritisiert, FE würde ihr Informationen vorenthalten und falsche Informationen geben. Lars Findsen und vier weitere leitende Mitarbeiter von FE wurden von der damaligen Verteidigungsministerin Trine Bramsen (Soz.) vom Dienst befreit.

Mehrere Medien berichten in den folgenden Wochen, es gehe um eine Zusammenarbeit zur Überwachung von Datenleitungen mit dem amerikanischen Nachrichtendienst NSA. Ein von der Regierung eingesetzter Untersuchung kommt am 13. Dezember 2021 zu dem Ergebnis, die Vorwürfe der TET-Behörde seien gegenstandslos.

Was die Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ist, dass FE-Chef Findsen am 8. Dezember von der Aktionseinheit der Polizei am Kopenhagener Flughafen nach der Heimkehr von einer Dienstreise verhaftet worden ist. Ihm wird vorgeworfen, hochsensible Informationen weitergegeben zu haben. Er soll einen selten benutzten Paragrafen über Hochverrat übertreten haben.

Dies ist entscheidend, denn wie „DR“ und „Berlingske“ berichtet haben, hat PET Findsen abgehört. Nicht nur seine Telefone, auch sein Haus und Ferienhaus waren verwanzt. Ein Verdacht auf Verletzung der Schweigepflicht hätte vermutlich nicht dafür gereicht, dass ein Gericht eine so umfassende Überwachung genehmigt. Erst mit dem viel schwerwiegenderen Paragrafen wurde dies möglich.

Es ist aufgrund dieser Überwachung, dass PET die intimen Details aus Findsens Privatleben kennt. Also jene, von denen der Chef der Behörde, Borch Andersen, angeblich den Parteivorsitzenden berichtet hat, als er sie über die Vorwürfe von Verrat von hochsensiblen Informationen in Kenntnis setzte.

Wie diese Vorwürfe lauten, wissen wir offiziell nicht, denn die Haftprüfungstermine des im Februar freigelassenen Findsen haben hinter doppelt verschlossenen Türen stattgefunden. Das heißt, dass die Öffentlichkeit den Inhalt der Bezichtigung nicht erfahren darf.

Einige Informationen gibt es jedoch. PET hat im Januar einige Chefredakteure aufgesucht und sie gewarnt, dass sie ebenfalls einer Verletzung des Paragrafen über Hochverrat schuldig machen könnten, sollten sie sensible Informationen verbreiten. Erwähnt wurde unter anderem die Datenleitungs-Zusammenarbeit mit den USA.

Berlingske“ berichtete aufgrund umfassender Recherchen im Juni, dass es bei vier der Punkte, wegen derer Findsen bezichtigt wird, um Gespräche mit Journalistinnen oder Journalisten gehen soll. Bei vier weiteren ist von Unterhaltungen mit Freunden und Verwandten die Rede, die eine davon mit seiner Mutter. Ein Verdacht, dass er Informationen an fremde Mächte gegeben haben soll, liegt nicht vor. Juraprofessor Lasse Lund Madsen von der Universität Aarhus nennt die Beweislage gegenüber „Berlingske“ dünn.

Also bleiben vor allem Fragen:

Warum haben die Ermittlungsbehörden den schwerwiegenden Hochverrat-Paragrafen gezückt?

Warum die spektakuläre Verhaftung im Flughafen, wo alles doch so geheim sein sollte?

Was haben die intimen Details aus Findsens Privatleben mit dem Strafverfahren gegen ihn zu tun? PET-Chef will dazu nichts sagen, teilt jedoch mit, er habe nur sachliche und relevante Informationen geteilt.

Ist man wegen sexuellen Praktiken in den eigenen vier Wänden heutzutage noch erpressbar, solange diese legal sind?

Selbst wenn Findsen deswegen erpressbar sein sollte, warum ist das dann nicht ausschließlich ein dienstrechtliches Anliegen?

Findsen ist einer der erfahrensten Geheimdienstler des Landes. Er war von 2001 bis 2007 Chef von PET, von 2007 bis 2015 Departementschef (Staatssekretär) im Justizministerium und ist seither FE-Chef. Warum hat bei den Sicherheitsclearings niemand etwas entdeckt, sollte er erpressbar sein?

Eine Frage lässt sich leider nur allzu leicht beantworten, nämlich die, ob die Affäre der Arbeit der Geheimdienste geschadet habe. Und den Schaden würde auch kein George Smiley beheben können.

 

 

 

 

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