Europäische Union

Historischer Kurswechsel bei EU-Strategie hat ihren Preis

Historischer Kurswechsel bei EU-Strategie hat ihren Preis

Historischer Kurswechsel bei EU-Strategie hat ihren Preis

Ritzau/nb
Kopenhagen
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Außenminister Lars Løkke Rasmussen am Dienstagmittag an der Universität Kopenhagen, wo er die neue außen- und sicherheitspolitische Strategie der Regierung präsentierte. Foto: Ida Marie Odgaard/Ritzau Scanpix

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Außenminister Lars Løkke Rasmussen hat am Dienstag eine neue sicherheitspolitische Strategie zur EU-Außenpolitik vorgestellt. Darin spricht sich die Regierung auch zur Aufnahme weiterer osteuropäischer Staaten in die EU aus. Eine pragmatischere EU-Politik könne es allerdings nicht zum Nulltarif geben, dennoch sei sie unumgänglich, meint der Experte Flemming Splidsboel.

Mehr Unterstützung bei der Aufnahme osteuropäischer Staaten in die EU. So lautet eine der Kernbotschaften in der neuen EU-Strategie, die Außenminister Lars Løkke Rasmussen (Moderate) in einer am Dienstag vorgetragenen Rede an der Universität Kopenhagen vorstellte.

Hoffnung auf EU-Mitgliedschaft unterstützen

So müsse Dänemark Länder wie die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien sowie die Staaten auf dem Westbalkan in ihrem Bestreben nach einer Aufnahme in die Europäische Union (EU) stärker unterstützen. Sie alle seien von Versuchen Russlands betroffen, ihre Unabhängigkeit zu beeinflussen.

„Wir wollen unser Engagement in den östlichen Staaten verstärken, die direkt an Russland grenzen, sodass sie ein Teil der europäischen Familie werden können“, sagt Løkke. Mit Verweis auf Georgien, in dem 80 Prozent der Menschen eine Mitgliedschaft des Landes in der EU und Nato unterstützen, fügt der Außenminister hinzu: „Das ist Ausdruck einer Hoffnung, und wir müssen dabei helfen, sie in die Realität umzusetzen.“

Splidsboel: „Historisch“

Als „historisch“ bezeichnet Flemming Splidsboel, Seniorforscher am Dänischen Institut für Internationale Studien, Dänemarks neue außen- und sicherheitspolitische Strategie. „Sie spiegelt die veränderte Situation wider, in der Europa und daran angrenzende Gebiete seit Russlands Invasion in der Ukraine stehen. In diesem Lichte handelt es sich um eine historische Kursänderung, aber auch um eine, die notwendig ist“, sagt er.

Wir wollen unser Engagement in den östlichen Staaten verstärken, die direkt an Russland grenzen, sodass sie ein Teil der europäischen Familie werden können.

Lars Løkke Rasmussen (Moderate), Außenminister

Bislang habe Dänemark es vermieden, sich mit Blick auf die osteuropäischen Länder zu positionieren, so Splidsboel. „Und das möglicherweise aus gutem Grund. Für uns war das schwierig, teuer und weit weg. Aber jetzt müssen wir die Dinge anders angehen.“

Hohe Kosten

Die Ukraine stehe ganz oben auf der Liste für einen EU-Beitritt, gefolgt von Georgien und der Republik Moldau. Dies sei mit hohen Kosten verbunden.

„Mehrere dieser Länder sind vergleichsweise arm und benötigen finanzielle Hilfen, um auf unser Niveau und ohne Hürden in die EU zu kommen. Das gilt insbesondere für ein großes Land wie die Ukraine, während Georgien und die Republik Moldau vergleichsweise klein sind“, sagt Splidsboel.

Jetzt müssen wir die Dinge anders angehen.

Flemming Splidsboel, Seniorforscher, Dänisches Institut für Internationale Studien

Dadurch ändern sich auch die gegenwärtigen finanziellen Verpflichtungen mehrerer EU-Mitgliedsstaaten. „Einige der Länder, die heute Geld von der EU erhalten, werden plötzlich zu Beitragszahlern. Und Dänemark, das bereits heute Geld an die EU bezahlt, wird künftig möglicherweise noch mehr zahlen müssen. Aber wenn wir uns dieser Debatte nicht stellen, sind die warmen Worte gegenüber der Ukraine ja nichts als heiße Luft“, sagte Løkke im Anschluss an seine Präsentation.

Ein starkes Signal an die Welt

Aus Sicht von Flemming Splidsboel sende Dänemark trotz seiner überschaubaren Größe und der Tatsache, dass die neue Strategie zunächst nicht viel bewegen kann, damit ein starkes Signal in die Welt. „Wir machen deutlich, worauf wir setzen. Das kann anderswo für Inspiration sorgen. Es kann eine Resonanz und einen verstärkenden Effekt haben.“

Auch sende es ein Signal an Länder wie die Republik Moldau und Georgien, dass Dänemark sie nicht vergessen hat.

Wir müssen nur dafür sorgen, dass Russland den Krieg verliert. Sollte das der Fall sein, wird eine ganze Reihe osteuropäischer Länder darauf warten, Mitglied zu werden.

Flemming Splidsboel, Seniorforscher, Dänisches Institut für Internationale Studien

Zudem hänge die Entwicklung vom Ausgang des Krieges in der Ukraine ab. „Alles befindet sich noch in einem frühen Stadium, denn wir wissen nicht, was passieren wird. Wir müssen nur dafür sorgen, dass Russland den Krieg verliert. Sollte das der Fall sein, wird eine ganze Reihe osteuropäischer Länder darauf warten, Mitglied zu werden“, so Splidsboel.

Mehrheitsentscheidungen künftig unumgänglich

Ein Teil der neuen strategischen Ausrichtung für die Aufnahme weiterer Staaten in die EU erfordert nach Überzeugung von Lars Løkke Rasmussen auch einen größeren Pragmatismus. Statt alles einstimmig zu entscheiden, müsse es künftig Mehrheitsentscheidungen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen geben.

Damit zeichnet sich eine Kehrtwende in der bisherigen EU-Politik Dänemarks ab. Bislang hat die Sozialdemokratie kategorisch ausgeschlossen, das Vetorecht bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen auf EU-Ebene abzuschaffen. Zwar unterstreichen die drei Koalitionsparteien, dass noch nichts entschieden sei, aber in der sozialdemokratischen Partei zeigt man sich offen.

Wenn wir uns dieser Debatte nicht stellen, sind die warmen Worte gegenüber der Ukraine ja nichts als heiße Luft.

Lars Løkke Rasmussen (Moderate), Außenminister

Noch nichts entschieden

„Es ist nicht sicher, dass wir dort landen werden. Die Regierung hat noch keinen Entschluss gefasst. Aber eine starke europäische Zusammenarbeit zur Verteidigung unserer Interessen und Werte sowie der Umgang mit der sicherheitspolitischen Herausforderung durch Russland machen diese Debatte relevant“, sagt der außenpolitische Sprecher der Partei, Jesper Petersen.

Nach Angaben von Lars Løkke Rasmussen hat die Regierung vor Kurzem beschlossen, der deutschen Initiative „Freunde für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen EU Außen- und Sicherheitspolitik“ als Beobachter beizutreten.

Deutsche Außenministerin ebenfalls für einfachere Verfahren

Bereits Mitte Februar hatte sich die deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock (Grüne), in ihrer „Stuttgarter Rede“ dafür ausgesprochen, außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen auf EU-Ebene zu vereinfachen. Jetzt sei der richtige Moment, Mehrheitsentscheidungen einzuführen, um so die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu stärken.

Baerbock sagte damals ebenfalls, sie sei überzeugt davon, dass die EU eines Tages aus über 30 Mitgliedern bestehen werde, darunter der Ukraine, der Republik Moldau und den Staaten auf dem Westbalkan.

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